21/09/2003
21/09/2003

20 09 2003 DER STANDARD > Album >

Space-Barbies Sarkophag

"Friendly Alien" nennen die Architekten Peter Cook und Colin Fournier ihr Kunsthaus Graz, das kommenden Samstag zwar noch nicht fertig ist, aber sicherheitshalber eröffnet wird - und bereits heftige Kontroversen auslöst. Vom Galaktischen, sagt Ute Woltron, blieb kaum eine Spur, der Extraterrestrische verröchelte beim Eintritt in die irdische Biosphäre an seiner Eigenlast.

Graz ist ein sehr erdnahes Städtchen. Nicht zu groß, nicht zu klein. Alt und schön gewachsen, die neuen Architekturen fast immer sorgfältig und gut gemacht. Die Leute: Lustig, vital, freundlich.

Einen "Freundlichen Außerirdischen" wollten sie denn auch in ihrer Mitte aufnehmen, ein Kunsthaus der besonderen Art. Unternommen hatte man bereits mehrere Anläufe, die Zeit wurde langsam knapp. 2003 stand im Zeichen der Kunst und der Kultur, der Außerirdische sollte rechtzeitig in diesem festlichen Jahr landen, als einer der Höhepunkte gewissermaßen. Die freundlichen Grazer begannen zu hudeln, der Außerirdische zu trudeln, das Resultat steht nun bruchgelandet am Murufer, und das ist nicht schön anzuschauen.

Das Kunsthaus Graz, entworfen von den britischen Architekten Peter Cook und Colin Fournier, ausgeführt von einer ganzen Planer-, Architekten- und Krisenmanagementriege, ist in jetzt quasi fertig gestelltem Zustand nur noch die Ahnung der Idee, die einmal dahinter steckte.

Diese Idee des Fließenden, Transluzenten, des Raumgewoges und des Amorphen ging zugrunde, weil man die wichtigsten Faktoren jedes Transportes durch den Raum in der Alien-Euphorie außer Acht ließ: die der Zeit, der Kosten und nicht zuletzt der Möglichkeiten.

Als die beiden Architekten im April 2000 den Architekturwettbewerb Kunsthaus Graz mit ihrem spektakulären bläulichen Blasengebilde gewannen, erklärte Colin Fournier dem STANDARD gegenüber noch hoffnungsfroh: "Die Form und das Design des Objektes sind eigentlich simpel, dafür haben wir alle Raffinesse in die Haut gelegt."

Bedauerlicherweise erwiesen sich diese Raffinessen als optimistische Gedankenspielerei, aber als nicht umsetzbar. Jedenfalls nicht bis 2003. Bei gleichzeitiger Beibehaltung simpler Form und simplen Designs blieb dabei freilich recht wenig übrig.

Material und Konstruktion dieses Gebäudes hätten eins sein sollen: Die Hülle war als mehrschichtiges, in sich gekrümmtes Laminat geplant, als Haut, die in bis zu 100 Quadratmeter große Stücke hätte gegossen werden sollen, ein Material, aus dem normalerweise Segelyachten gebaut werden. Fournier damals: "In dieses Material können auch innen und außen Displays eingegossen werden sowie alle erforderlichen Leitungen." Transluzent hätte diese Haut sein sollen, oder dann wieder blickdicht, jedenfalls veränderbar, auch in ihrer Farbe.

Nichts dergleichen hat die Landung des Hauses überlebt. Die Gnade des Fernblicks vom anderen Murufer und des Herbstes, der die Blätter noch nicht abgeworfen hat und damit sanft die Sockelzone verhüllt, lässt noch hoffen. Das quallige Konstrukt fügt sich vom Schlossberg aus betrachtet recht interessant in die umgebende alte Dachlandschaft ein. Doch jeder Schritt näher offenbart größere Qual.

Die vormals so elegant geplante Haut wurde zur Schuppenoberfläche fragmentiert. 1280 in sich gekrümmte Acrylglasscheiben, von denen keine der anderen gleicht, bedecken den Leib. Keine Frage, hier wurde aufwändigste technische Meisterarbeit geleistet, doch was bringt sie? Hinter dieser Schicht schichtet es sich weiter, und zwar in Stahl und Folie und anderen Materialien, sodass die Innenräume zu zappendusteren Höhlen degradieren.

Der Alien wird in sich zum Troglodyt. Da nutzen auch die so genannten "Nossels" nichts, diese fetten schneckenfühlerartigen Ausstülpungen in der Dachhaut. Wozu die gut sind, kann heute eigentlich keiner mehr so recht sagen, denn auch am wolkenlosen, strahlenden Herbsttag fällt kaum Licht in den darunter liegenden Ausstellungsraum. Die angekündigten Nossel-Spielereien mit allerlei Linsen, die das Licht bündeln und je nach Bedarf hätten disziplinieren sollen, wurden aus Geldmangel nicht umgesetzt.

Doch schon bevor der Besucher in dieses kleine Reich der Finsternis eindringt, springt ihn erst einmal die formale Katastrophe des Sockelbereichs nachgerade mit Wut an. Was oben blasenartig rundlich in Acryl quillt, ruht unten auf scharf facettiertem Glas. Auf der dem Murufer abgewandten Seite wächst der Sockel erst in gebogenen Stahlplatten empor, mündet in plane Glasscheiben, wächst zur Blase aus - der gebaute Beweis dafür, dass die Not nicht immer zur Tugend wird. Irgendwie wirkt das Ganze so, als ob Space-Barbie auf einem Sarkophag kalter deutscher Bankarchitektur zu Grabe getragen würde.

Immerhin hat man sich bemüht, die Blase auch im Foyer spürbar zu machen: Sie setzt sich über den Köpfen der Besucher fort, eine lange Rolltreppe führt in ihr Inneres. An dieser Stelle hält man erstmals inne und hofft angesichts der offen liegenden Acrylschuppen, dass die Stadt Graz ein eigenes Kunsthaus-Budget für die laufenden Wartungsarbeiten eingerichtet hat.

Denn wie diese Dinger innenflächig zu putzen sein werden ist eine interessante Frage für sich. Und unter den Außenschuppen befinden sich Hunderte Leuchtstoffröhren, die das Konstrukt abends zum Glühen bringen sollen. Ihre Lebensdauer ist mit sieben Jahren begrenzt. Auswechseln kann man sie nur, indem die Platten abmontiert werden - ein enormer Aufwand beim Glühbirnenwechseln.

Von diesen düsteren Gedanken umwölkt gleitet man über die Rolltreppe gemächlich in den ersten Ausstellungsraum, über den es wenig zu sagen gibt. Die Blase ist hier nicht spürbar, die Innenwände wurden mit dunkelgrauen, in Dreiecken aufgerasterten Stahlgewebepaneelen überzogen. Für eine echte Innenhaut reichte einmal mehr das Geld nicht. Eine verloren wirkende, ebenfalls dreieckige Fensteröffnung stellt den einzigen Bezug zur Grazer Außenwelt dar. Sie zu schließen und das Ding in eine Black Bubble zu verwandeln dürfte kein Problem darstellen.

Über den oben gelegenen Ausstellungsraum gibt es letztlich ebenfalls wenig zu sagen. Ein bisschen rundlich, absolut düster, alles grau in grau und stahlnetzbespannt. Bis auf die Nossels. Wo die sich auszustülpen beginnen, endet die Bespannung. Hier liegen die Stahlrippen kläglich offen. Was soll man sagen, das Geld hat nicht gereicht.

Dem Besucher bleibt wenig mehr als die Flucht in den - nur von innen betrachtet - einzig schönen Raum. Der heißt Chillout-Zone und befindet sich murseits als schmale Glasnadel in die Blase eingeschoben über den Baumwipfeln. Der Blick ist fantastisch, Graz eine Pracht. Hier kann verweilen, wer von Kunst und Blaseninnerem genug hat. Kaffee gibt's keinen, die Bar ist anderswo. Und so fesch der Raum mit Blick von innen ist: Von außen betrachtet ist die "Nadel" in der Blase formal unverständlich, überflüssig, störend.

Peter Pakesch wird als Intendant des Joanneum das neue Haus nun denn bespielen. Er habe Erfahrung mit schwierigen Räumlichkeiten, meint er, und er freue sich auf die Herausforderung. Die Grazer werden in ihrem Kunsthaus sicherlich manch schöne Ausstellung betrachten dürfen, doch diese Möglichkeit hätten sie in anders gestalteten Häusern mindestens ebenso gut gehabt. Wahrscheinlich sogar besser.

Was die Baukosten anbelangt, so bewegte man sich trotz konstruktiver Herausforderungen sonder Zahl im vorgegebenen Rahmen, nach derzeitiger Sicht belaufen sie sich auf 37,5 Millionen Euro (netto und vor Schlussrechnung).

Fazit: Das Experiment Kunsthaus wurde durchgeführt, gelingen wollte es nicht. Konzept und tatsächliche Umsetzung klaffen zu weit auseinander, das Visionäre in der Architektur blieb außerirdisch, es zerschellte an den Grenzen irdischer Umsetzbarkeit. Darum wird Graz von Bilbao, dessen Effekt man sich so erhoffte, wohl weit entfernt bleiben. []

architektur@derStandard.at

Ute Woltron ist Kommunikationsleiterin der
Bundesimmobiliengesellschaft BIG.

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