01/12/2022

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Architekt Wilhelm Scherübl Jr. veröffentlicht in unregelmäßigen Abständen architektonische Utopien, die Zitate aus der aktuellen Medienlandschaft zum Ausgangspunkt haben.

01/12/2022

„Wels will schreiende Kinder von Spielplätzen verbannen“, puls24

©: Wilhelm Scherübl Jr.
©: Wilhelm Scherübl Jr.

Die Kaffeemaschine piepst und dampft noch einmal aus den Düsen und fertig ist der Cappuccino. Mit dem warmen Kaffee in der Hand kurz durchatmen, bevor die Kinder wach werden. Auf dem Tisch liegt die neue Ausgabe der monatlichen Welser Zeitung. „Wir haben es wieder geschafft – Wels zum wiederholten Male als lebenswerteste Stadt der Welt gekürt!“, prangt auf der Titelseite. Das darunter positionierte Bild zeigt unser stolzes Gemeindeoberhaupt: „Die Auszeichnung haben wir unseren freiheitlichen Werten zu verdanken“, ist dazu zu lesen.

Schon lange hat unsere kleine Stadt zahlreiche Metropolen überholt und steht an der Spitze des Rankings! Wir sind eine homogene Gesellschaft, in der sich alle verstehen – zumindest sprechen alle dieselbe Sprache.

Das alles haben wir unserer Hausordnung zu verdanken, die vor einigen Jahren eingeführt wurde und durch die wir uns ordentlich herausgeputzt haben. Anfangs erhielten wir dafür Spott und wurden über die Absurdität gerügt. Doch jetzt zeigt sie Wirkung und wir ernten die Lorbeeren dafür, dass wir brave Bürger*innen sind.

Wir funktionieren alle besser, seitdem wir uns diesen Regeln untergeordnet haben und uns so verhalten, wie uns von oben vorgegeben wird. Es gibt keine Konflikte mehr und allgemein scheint unsere Stadt viel harmonischer.

Anfangs versuchten noch einige, gegen die neuen Vorgaben zu rebellieren. Diese wurden jedoch schnell stumm, vielleicht durch die immensen Strafsummen oder weil sie eingesehen haben, dass die Regeln den richtigen Weg weisen! Inzwischen sind auch die horrenden Strafen nicht mehr notwendig – wir alle denken gar nicht mehr daran, die Hausordnung zu missachten!

Mein Armband vibriert – ganz leise, ohne jemanden zu stören. Der Wecker, der mir signalisiert: Es ist Zeit, die Kinder zu wecken. Wir haben heute geplant, auf den Spielplatz zu gehen. Im Zimmer der Kinder angelangt, reicht ein kurzes Tippen auf die Schulter und die zwei stehen auf, begeben sich ins Bad, ziehen sich an und machen sich für den Tag fertig. Dieser Gehorsam, der uns antrainiert wurde, macht das Leben in Vielem so leicht.

Nachdem sie ihr Frühstück verzehrt haben, machen wir uns auf den Weg und begeben uns zu einem der Spielplätze der Stadt. Wie schön, ruhig und sauber es hier in Wels ist, ist wirklich wunderbar und jedes Mal aufs Neue überraschend. Wir wandern die Straße entlang und kommen noch an einem ausgeklügelten Mülltrennsystem vorbei, bevor wir zum Spielplatz abbiegen. An der Eingangstür hat sich eine kleine Schlange gebildet. Hier muss natürlich zuerst überprüft werden, ob wir die Kriterien zum Betreten erfüllen. Wir warten in Reih und Glied, bis wir dran sind. Am Eingang werden die Deutschkenntnisse von uns überprüft, die notwendig sind, um öffentliche Einrichtungen zu besuchen. Diese erfolgreich bestätigt, betreten wir den Spielplatz, der nach außen abgeschottet ist, damit die Anwohner*innen vom Lärm, der beim Spielen entsteht, nicht belästigt werden. Diese Vorkehrung war vor ein paar Jahren vielleicht nicht notwendig, inzwischen spielen unsere Kinder schon von ganz allein, ohne dabei herumzuschreien oder irgendwie zu stören. Wir können froh sein, dass hier Zucht und Ordnung herrschen, Wels die lebenswerteste Stadt der Welt ist.

______ Quellen ______

Zitat:
„Wels will schreiende Kinder von Spielplätzen verbannen.“
www.puls24.at, 3.11.2022

Weitere Quellen:
The Global Liveability Index 2022,

www.eiu.com

Quality of living city ranking
www.mobilityexchange.mercer.com

Wien zum 10. Mal lebenswerteste Stadt der Welt!
www.wien.info

Baltic Street Adventure Playground
www.assemblestudio.co.uk

Draußen spielen: Studie zu einem unterschätzten Motor der kindlichen Entwicklung, www.familienhandbuch.de

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