05/11/2013

Jeden ersten Dienstag im Monat veröffentlicht GAT in der Kolumne "Aber Hallo!" Anmerkungen von Karin Tschavgova zu aktuellen Themen von Architektur und gebauter Umwelt.

05/11/2013

Karin Tschavgova, Architekturpublizistin und -vermittlerin, Graz

©: Karin Tschavgova

Lückenschluss total in Graz, meist mit Wohnungsbau. Wird dabei grundsätzlich gedacht?

Schön, würde wieder mehr über Wohnqualität geredet werden. Nach der Premiere des Films von Reinhard Seiß, in dem er vier Wohnquartiere als besonders lebenswerte Wohnmodelle präsentiert, gab es heftige Diskussionen am Tresen darüber, ob der Regisseur hier ausreichend kritisch hinterfragt hat und ob wirklich alle als positive Beispiele gesehen werden können. Ein Rundmail von Otto Kapfinger am nächsten Morgen und mehrere rasche Reaktionen darauf erweckten die Hoffnung, dass die Diskussion zum Thema mehr an Drive bekommt.
Und in Graz? Ausstellung und Buch über die Arbeiten der Werkgruppe rücken die Terrassenhaussiedlung ins Blickfeld. Das könnte Anlass sein, sich auch hierorts im größeren Rahmen kritisch mit aktuellen Entwicklungen im Wohnungsbau zu befassen. Die Terrassenhaussiedlung wurde konzeptionell gedacht, ebenso wie die spätere Wienerbergersiedlung nebenan, bei der Rieß und Erskine ihre Erkenntnisse zur Identifikation mit dem Zuhause, zur Milieubildung und Wohnzufriedenheit baulich umsetzen konnten. Das alles war im Rahmen von gefördertem Wohnungsbau möglich. Voraussetzung dafür waren aber Planer, die Neues und Besseres wollten und mit Engagement und mit Verve zur Sache gingen. Machen sich Architekten, die heute zu unverschämt hohen Honorarnachlässen genötigt werden, überhaupt noch Gedanken über Grundsätze guten Wohnungs- und Siedlungsbaus? Erarbeiten sie Konzepte? Und wollen Bauträger überhaupt Grundlagenforschung? Von dieser Seite darf man sich wohl kaum einen kritischen Impetus erwarten – wozu das bisschen Mehr, wenn auch der Durchschnitt verkaufbar ist. „Bringt uns des was?“
Das zeigt uns auch die Geschichte: Grundsätzliche Verbesserungen brauchen Bewusstseinsbildung und Einsicht. Oder Vorgaben. Auf die hofft man meist vergebens oder sie kommen erst dann, wenn die Zustände unerträglich geworden sind. So weit sind wir im Land der kleinen Missständerln nie. Also auf den St. Nimmerleinstag warten?
Inzwischen wird munter gebaut und ein Großteil des Bauvolumens, das derzeit in Graz in die Höhe schießt, ist Wohnungsbau. Jede zentrumsnahe Lücke wird verbaut und die meisten der harmlos netten Renderings auf den Bautafeln wären austauschbar – einseitige Orientierung der Wohnungen, tiefe Balkone (auch an der St. Peter Hauptstraße) und zurückgesetzte Staffelgeschoße. Klar, Penthäuser lassen sich ebenso gut verkaufen wie Wohnungen zu ebener Erde mit Grünflächenanteil. Und so baut man sie, auch wenn es unangebracht ist, einer Handvoll an Bewohnern das zuzuschlagen, was man der Mehrheit vorenthält – ausreichend Grünanlagen und Spielflächen. Auch wenn es unangebracht ist, Wohnraum in Erdgeschoßzonen unterzubringen bei städtischer Dichte, Verkehr und Gehwegen. Wer das nicht kennt, dem sei geraten, mit offenen Augen durch den Bezirk Geidorf in Murnähe zu gehen oder sich die Stadtentwicklung Richtung Südosten anzuschauen.
Der Investor baut, was er glaubt, verkaufen zu können. Das Beste fürs Gemeinwohl ist das nicht (siehe Pfauengartenverbauung). Hier müsste über Anreizsysteme oder strikte Vorgaben gesteuert werden. Es kann doch nicht so schwierig sein, über die Stadtplanungsinstrumente zu untersagen, zentrumsnah, in dicht verbauten Gebieten, Erdgeschoßwohnungen zu errichten. Marginal vielleicht im Diskurs über Wohnungsbau und Wohnqualitäten. Aber ein Anfang. Sie wollen andere Themen zum aktuellen Wohnungsbau diskutieren? Gerne, aber fangen wir an.

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