04/10/2016

Ode an leere Plätze

Jeden ersten Dienstag im Monat veröffentlicht GAT in der Kolumne Aber Hallo! Anmerkungen von Karin Tschavgova zu aktuellen Themen von Architektur und gebauter Umwelt.

04/10/2016
©: Karin Tschavgova

Dass die Grazer und Grazerinnen sich mit „leeren“ Plätzen nicht anfreunden können oder wollen, wird mir bei meinen Stadtrundgängen immer wieder bewusst. Nichts führt so schnell zur Diskussion wie die Platzgestaltung beim neuen Besucherzentrum des Joanneums – besser gesagt: der Platz über dem gemeinsamen Zugang zum Joanneum, zum Naturkundemuseum und zur Landesbibliothek. Ist der Platz vollgestellt mit behelfsmäßigen Hütten als Bar, verloren herumstehenden Hochsitzen, die Barhocker sein sollen, und Kabeltassen, so wie jüngst beim sommerlichen Belebungsversuch des Joanneumsviertels, so gibt diese Scheußlichkeit weniger Anlass zu Einwänden gegen die Gestaltung des Platzes als derselbige in aufgeräumtem Zustand. Zu leer, zu wenig Grün, heißt es dann. Und: warum setzt man keine Bäume?
Der Verweis auf gleichermaßen beliebte wie berühmte italienische Plätze wie jener in Siena oder die unzähligen namenlosen in Süditalien oder Sizilien, die der Dorfjugend zum samstäglichen Aufmarsch samt Eheanbahnung dienen, – meist vergeblich. Der Einheimische scheint das Bankerl unterm Baum und Blumenrabatte zu brauchen wie sein Hund die Wiese.
Heute noch muss ich lachen, wenn ich die sorgfältig umzäunten Minigrünflächen am Tummelplatz sehe, ein nachträglicher Einbau der Stadtgärtner zum Schutz der drei Quadtratmeter Rabatte unter den Bäumen in der Reihe am Rand. Letztere waren Teil des Gestaltungskonzepts von Fredl Bramberger, der den Platz unter den Baumkronen hindurch fließen lassen wollte. Der Weite und Großzügigkeit anstrebte und eben keine Unterteilung à la Kleingartengestaltung.
Durch solcherart Gestaltungsdrang scheint der Grazer Hauptplatz nicht mehr gefährdet, seit Bürgermeister Nagl eingesehen hat, dass man mit Kirschlorbeerbäumchen und Kordeln niemanden davon abhalten kann, den Hauptplatz und seinen Brunnen als feuchtfröhliches Meeting zu nützen.
Was seit Monaten den Hauptplatz im Dauermodus belegt, ist weit schlimmer, auch wenn die lautstarken, den Platz füllenden Events möglicherweise eine strategische Planung der Stadtpolitik gegen Obdachlose und Sandler sind. Die Präsentation der Landjugend mit Motorsägenwettbewerb, die längste Genusstafel (der Welt?) – Superlativen müssen sein! –, der GKK-Tag der Bewegung, FPÖ-Aufmärsche, dann das wunderbar traditionelle Aufsteirern, der Biobauerntag und was sonst noch alles den Platz verstellt. Es ist ein Gräuel, selbst für jene Gäste aus dem In- und Ausland, die nichts anderes wollen als die besondere Atmosphäre unserer mediterranen Stadt an einem frühherbstlich strahlenden Samstag kennenzulernen.
Als Guide muss man an solchen Tagen einen weiten Bogen um den Hauptplatz machen – zu hässlich ist er mit Plastikgroßzelten, überdimensionierten Behelfsbühnen, ohrenbetäubendem Lärm und Holzhütten(gaudi) vollgestellt.
Dabei ist er in seiner geschlossen wirkenden, leicht trapezförmigen Figuration, mit den lückenlos an einander gereihten Häuserfronten, der frei stehenden Brunnenplastik und dem Ausblick auf den Uhrturm ein Kleinod, das keinem Gast vorenthalten werden sollte. Fünf Jahrhunderte der Gestaltung mit hohem Anspruch. Wie gut kann man seinem Beispiel illustrieren, warum die Grazer Altstadt ein Weltkulturerbe ist, dass das Weiterbauen und Erneuern sie lebendig hält. Der Hauptplatz bleibt Ausdruck des Selbstbewusstseins seiner Bürger, auch und nur wenn der Platz leer und frei von Animateuren und Schankburschen ist. Er wäre eine Attraktion, wenn man den Blick frei schweifen lassen könnte. Damit es klar ist: es geht nicht darum, alles immer zu belassen, wie es war. Aber was zu viel ist, ist zu viel. Noch dazu, wenn das die Stadt so unansehnlich und dabei unerträglich macht, dass man sich als Gastgeber dafür schämen muss.

wohnblogAt

Mein Wunsch für öffentliche Plätze: Menschen sollten sich auf den Plätzen aufhalten und miteinander kommunizieren wollen, auch die BewohnerInnen der Stadt: Was braucht es dazu? Vielleicht etwas zum Sitzen, zum Beschatten, zum Skaten, zum Abhängen ... also doch Möblierung der öffentlichen Räume?

Mi. 05/10/2016 7:52 Permalink
Laukhardt

Zuerst hat man beim so gründlich misslungenen Umbau seiner großartigen Museums-Gründung die historischen ´und repräsentativen Haupteingänge in Raubergasse und Neutorgasse durch eine Loch- und Rolltreppenarchitektur ersetzt, die den Unfug des Hinauf-Hinüber-Hinab-Hinauf des Hauptbahnhofes nur knapp verfehlt und den Besucher über Lieferantentreppen Einlass gewährt. Damit hat man gleichzeitig den idyllischen, kleinen Park, den Rest des einst bis zum Jakominiplatz reichenden botanischen Gartens, in dem Magnolien- und andere Bäumchen Trost und Schatten spendeten, einer kahlen mineralisch-spanischen Flüsterstein-Pflasterung geopfert. Nur zur Erinnerung: die Architekturszene war von den Plänen begeistert, man sah ein zweites Wiener Museumsquartier entstehen, vielleicht gar den Pariser Louvre? Kritik aus Bürgersicht wurde nicht einmal ignoriert!
Den für die Steiermark so verdienten Habsburger-Spross lässt man nun auch noch auf einen Platz hinunterschauen, dessen Dramaturgie kaum das Niveau eines Feuerwehrfestes in der tiefsten Provinz erreicht. Er, Johann, muss das alles geahnt haben, sonst hätte er sich wohl nicht weit weg - in Schenna bei Meran - begraben lassen.

Di. 04/10/2016 2:07 Permalink
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