02/10/2018

Jeden ersten Dienstag im Monat veröffentlicht GAT in der Kolumne Aber Hallo! Anmerkungen von Karin Tschavgova zu aktuellen Themen von Architektur und gebauter Umwelt.

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02/10/2018
©: Karin Tschavgova

Warum es spannender sein kann, gewohnte Denkbahnen zu verlassen und sich nicht jedes gute Objekt als Bauherrenpreis eignet.

Vielleicht eine Alterserscheinung: Was mich interessiert, sind mehr und mehr jene Themen oder Ereignisse, die mich selbstredend zum (Nach-)Denken anregen. Die mich zwingen, meine Einstellungen, meine Haltung zu überdenken. Ein Beispiel zum Verständnis: Wie verhält man sich als Frau, die immer Entscheidungen selbstständig und emanzipiert getroffen hat, gegenüber dem Kopftuchverbot in Schulen? Dafür kann nicht sein, wer generell gegen eine Verbots-(un)kultur ist, weil diese Eigenentscheidungen einschränkt, auch wenn sie keinem anderen schaden. Dagegen, obwohl anzunehmen ist, dass das Kopftuch kleiner Musliminnen kaum selbstbestimmt gewählt wird? Eine schwierige Frage.
Doch nun zur Architektur und zum aktuellen Anlass: Der Bauherrenpreis 2018 wird am 19. Oktober im Orpheum in Graz vergeben. Eine Kollegin erzählte mir kürzlich, dass sie sich als Jurymitglied des Bauherrenpreises dafür rechtfertigen musste, warum eine durchaus gut gelungene und deshalb nominierte Schule nicht den Bauherrenpreis erhalten hatte. Ihre Erklärung war, dass der Bauherr sich zwar bei diesem Projekt vorbildlich verhalten hatte, dass derselbe Bauherr jedoch in allen nachfolgenden Projekten diese Kultur, was den Prozess der Projektfindung und der Realisierung betraf, vermissen lässt. Meine erste, spontane Reaktion war Verständnis über die Enttäuschung der planenden Architektin, deren Bauwerk deswegen nicht ausgezeichnet wurde. Beim Nachdenken fiel mir ein steirisches Beispiel ein, das für den Bauherrenpreis 2018 eingereicht wurde. Es machte die Argumentation meiner Freundin für mich anschaulich, weil sie auch dafür zutrifft.
Hochkarätige Jurien des Bauherrenpreises „beurteilen nicht primär Bauwerke, sondern Prozesse und Resultate eines dialektischen Vorgangs zwischen Architekt und Bauherrn, der sich in qualitätsvoller, unkonventioneller, an- und aufregender, exemplarischer und zukunftsweisender Architektur und gemeinsamer Aktion niederschlägt – oft gegen große Widerstände“ (aus dem Manifest zum Bauherrenpreis von Hans Hollein)
Nun denn, aber eine Schwalbe macht noch keinen Sommer.
Betreibt ein Bauherr sein Haupt-Business as usual nicht als „Bauvorhaben, welche in der Verwirklichung ihrer Bauaufgabe, der Ausführung, der architektonischen Gestalt, in ihrem gesellschaftlichen Engagement und innovatorischen Charakter als vorbildlich zu bezeichnen sind“ (Manifest), so ist eines solchen Preises nicht würdig.
Wer 800 Kleinstwohnungen in minderwertiger, wohnunverträglicher Lage, ausschließlich an Anleger adressiert zu verkaufen trachtet (die diese angeblich meist nur am Papier anschauen, bevor sie kaufen), der hat als einziges Ziel die maximale Wertsteigerung seines Investments. Maximalen Gewinn. Lässt dieser Bauherr sich dann sein eigenes Headquarter, als Solitär nebenan, von preisgekrönten Architekten wie Innocad planen, die aufgrund ihrer innovativen neuen Bürowelt für Microsoft in aller Munde sind, dann soll das wohl für Reputation als seriöser Immobilienentwickler sorgen.
Ich sehe darin nicht mehr als Spekulation. In dieser Logik kann er vielleicht am 18. Oktober 2018 als österreichischer „Immobilien-Oscar“ in der Preisverleihung des 1.FIABCI Prix d’Excellence Austria reussieren, nicht aber beim Bauherrenpreis.
Sorry, geschätzte Kollegen im Architekturbüro. Dank an die Mitglieder der heurigen Landesjury, die diese Einreichung nicht für den österreichweiten Bauherrenpreis nominiert haben. Dank an Dich, teure Freundin, die Du mich zum Nachdenken gebracht hast mit deiner Argumentation. Du hast damit erreicht, dass ich nicht vorschnell – aus dem Bauch heraus, – ein Urteil gefällt habe. In gewohnten Bahnen zu denken ist verlockend, weil bequem. Sie zu verlassen, kann allerdings spannender sein. Eine Alterserscheinung?

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