02/06/2020

Jeden ersten Dienstag im Monat veröffentlicht GAT in der Kolumne Aber Hallo! Anmerkungen von Karin Tschavgova zu aktuellen Themen von Architektur und gebauter Umwelt.

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Steiner’s Diary.
Über Architektur seit 1959
park books, 2016

02/06/2020
©: Karin Tschavgova

Von der Lust, gegen den Mainstream zu argumentieren.
Zum Tod von Dietmar Steiner

Die Schalkhaftigkeit, die er bisweilen auch hervorkehrte, hat Dietmar Steiner vermutlich noch vom Orbit aus fruchtbar einsetzen können dafür, dass es am Pfingstsonntag heuer arschkalt werden sollte. So kalt und unfreundlich, dass viele von uns wohl zuhause blieben und eine knappe Stunde lang konzentriert vor dem Radio saßen, als er in den Menschenbildern auf Ö1, in einer Wiederholung aus 2014 von sich und seinem Leben erzählte.
Und das war gut und richtig, denn von einem Menschen, der sich für Qualität in der Architektur mit stets über jedes Bequemlichkeits-Maß hinausgehendem Engagement und derart großer Energie eingesetzt hat, verabschiedet man sich nicht zwischen zwei Kurzmeldungen im Kulturjournal oder beim Lesen einer Parte im Standard. Dass Dietmar Steiner die Zeit nach seiner Verabschiedung als Gründer und Langzeitdirektor des Az W nicht mehr lange auf dem mühevoll jahrelang renovierten Hof in Grein an der Donau genießen konnte, ist bitter. Er starb mit 68.
Bitter ist es auch für alle, die ihn als unerbittlichen Denker und Quergeist geschätzt haben, als einen, der unbeugsam eine Meinung vertreten hat, auch wenn sie der allgemein vorherrschenden Stimmung diametral entgegengesetzt war. Seine Gegner warfen ihm deswegen Sturheit vor, trotz seiner immer schlüssigen Argumentation. Steiners exponierte Haltung im Umbau und Ausbau des InterContinal, wo er den Entwurf des brasilianischen Architekten Isay Weinfeld als nicht nur städtebaulich bestes Projekt verteidigte, kostete ihn, wie er in einem Gespräch mit Gerald Matt 2017 freimütig erzählte, alte Freundschaften. War da ein sekundenkurzes Bedauern in seinem Ton? Nicht doch, denn sogleich folgte der Nachsatz: „Die Verteidigung des Intercont-Projekts von Weinfeld zahlt sich aus.“  In den 1980ern war Dietmar Steiner gemeinsam mit Otto Kapfinger als Architekturkritiker in der "Presse“ tätig. Mit Kritik an seiner Person hatte er zu diesem Zeitpunkt also bereits langjährige Erfahrung. „Wer sich zur Architektur äußerst und den Kopf aus dem Fenster hängt, der muss mit vorbeifliegenden Rasenmähern rechnen“ meinte er einmal lapidar. „Beschimpft wurde ich auch schon vorher“.
Bedauert hat er vielleicht, dass er unter Kollegen nicht als "Reibebaum“ gesehen und geschätzt wurde, der dazu anregt, vereinfachende Kategorisierungen (wie: der böse Investor) und eingefahrene Denkmuster offen und umfassend zu betrachten und fallweise zu verlassen.
Trotzdem – und das ist beileibe kein Widerspruch – vertrat er leidenschaftlich die Auffassung, dass das Wie von Architektur und Städtebau immer eine Frage der politischen Verantwortung ist. Folgerichtig stand die gesellschaftliche Rolle der Architektur immer im Zentrum seiner kuratorischen Tätigkeit im Az W.
Haltung, ja, aber starre Programmatik? Die war nicht Steiners Ding, denn er sah die Gesellschaft noch im postmodernen Zustand, in dem vieles an Stilen, an Ansichten, an Lebensmodellen nebeneinander möglich ist. Falsch gedacht, wer glaubt, dass er sich nur nicht festlegen wollte. Es war seine Neugierde und sein Entdeckergeist, die ihn „sein Ohr auf die Schienen legen“ ließ, wie ein Freund es nannte, um Trends und Bewegungen vorauszusehen oder früh zu erkennen. So haben wir durch ihn Bekanntschaft gemacht mit Lacaton & Vassal, mit den ethischen Lehrsätzen des Rural Studio im hintersten Alabama und mit der Sowjetmoderne, mit der wir bis dahin nur einzelne Namen und Bauten verbunden haben.
Seinen Kritikern ins Notizbuch geschrieben: ja, Dietmar Steiner vertrat seine Positionen bestimmt und mit Eloquenz, aber mit Absolutheitsanspruch nur dort, wo es galt, den Beruf der Architekten und die umfassende gesellschaftliche Bedeutung ihrer Arbeit zu verteidigen. Der zunehmenden, wie eine Seuche grassierenden Normierung und dem immer höheren Einsatz an Technik und Material, um den Energieverbrauch von Gebäuden zu minimieren, stand er mit immer größer werdender Skepsis gegenüber. Smart Cities, die darauf aufgebaut werden, hielt er schlicht für „an Schaß“.
In vielem, etwa, dass er gegen Spekulation mit Grundstückspreisen und noch mehr, überhaupt gegen privates Grundeigentum war, hatte er sich Radikalität in der Sichtweise erhalten. Mir war seine unverblümte, direkte Art, Stellung zu beziehen, sympathisch, auch gefiel mir die Ruhe, die er dabei bewahrte, und dass er dabei auch in frühen Jahren nie auf seine Karriere schielte. Und ich denke, dass er Kritik – das "Gegen den Strich bürsten“ – mit einem gewissen Lustgewinn betrieb.
Jemand wie Dietmar Steiner braucht ein Gegenüber, mit dem so ein intellektueller Pingpong möglich und fruchtbringend stattfinden kann. Wie mir scheint, wird der "Typus des Machers“, der selbstsicher und durchaus laut Stellung bezieht, weil er in seinem öffentlichen Amt, in seiner Position und der Zeit, die ihm dafür gegeben ist, mitgestalten, etwas für die Gesellschaft weiterbringen und erreichen will, jedoch rar (um nicht zu behaupten, dass er ausstirbt).
Dietmar Steiner hatte sich, wohl auch aufgrund einer Erkrankung, 2016 und pünktlich mit 65, als Direktor des Az W verabschiedet. In den Ruhestand wollte er nicht treten. Er hatte noch viel vor. Öffentliche Kommentare zum Zeitgeschehen und der gesellschaftlichen Aufgabe von Architektur hätte man von ihm nicht mehr erwarten können, aber in kleinerer Runde hätte er sich sicher weiter Denkanstöße geliefert. Nun ist er tot und uns bleibt, uns in seine Essays und Kommentare zu vertiefen, die keineswegs Patina angesetzt haben.

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