02/02/2021

Jeden ersten Dienstag im Monat veröffentlicht GAT in der Kolumne Aber Hallo! Anmerkungen von Karin Tschavgova zu aktuellen Themen von Architektur und gebauter Umwelt.

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02/02/2021
©: Karin Tschavgova

Risiko und Fælleskab

Es war eine kleine Nachricht am Ende eines 5-Minuten Blocks. Studenten beklagten sich, dass sie aus ihren Mietverträgen nicht vorzeitig aussteigen konnten, obwohl sie die Zeit des Lockdowns mit Online-Learning bei ihren Familien verbringen wollten. Distance-Learning mit Vollverpflegung im heimatlichen Jugendzimmer. Ihre Wünsche nach vorzeitiger Kündigung wurden von den Heimträgern, die meisten von ihnen gemeinnützige Unternehmen, mit dem Hinweis, dass Heimträger auch mit Corona zu kämpfen haben, abgelehnt. Die Sprecherin der WIST-Heime (WIST = Wirtschaftshilfe für Studierende Steiermark) meinte dazu, dass jeder gemeinnützige Heimträger Verantwortung für die nächsten Generationen von Studenten hat, und erklärte die Ablehnung damit, dass mit steigender Anzahl der Leerstände in Heimen auch der Heimpreis für das nächste Studienjahr höher kalkuliert werden müsse.

Das leuchtete mir ein, zumindest vorerst, arbeiten Heimträger doch mit Krediten, wenn sie neue Heime errichten. Kredite bedeuten finanzielle Verpflichtungen, auch wenn gemeinnützige Heimträger in der Steiermark für ihre Wohnheime mit Wohnbauförderung rechnen können. Nun war sicher nicht nur mir aufgefallen, dass in Graz in den letzten Jahren neue Studentenheime wie Pilze in guten Schwammerljahren aus dem Boden geschossen sind, dass dafür teils bekannte historische Bauwerke wie das Palais Kees am Glacis, die ehemalige Hauptpost in der Neutorgasse oder die Neue Dominikanerkaserne aufgekauft und umgebaut wurden. Manch ein gemeinnütziger Heimträger verwaltet 4 bis 6 Heime und eine Serviceseite der Universität listet allein in Graz zirka 6000 Heimplätze auf. Wohnheime für Studenten scheinen also auch ein gutes Geschäftsmodell zu sein, mit allen Einschränkungen der Gemeinnützigkeit.

Was mir allerdings nicht einleuchtet, ist, dass das Risiko des Leerstands allein auf die HeimbewohnerInnen übergehen soll. Kann es für eine nicht gelingende Vollauslastung nicht immer Gründe geben? Man denke an die Finanzkrise und ihre Folgen, an eine mögliche Trendumkehr, in der wieder mehr junge Menschen sich anderen, „handfesteren“ Berufsausbildungen als dem Studium zuwenden oder eben eine Pandemie wie die jetzige, die eine Rezession nach sich ziehen wird. Dass also jetzt ein höherer Prozentsatz dieser neuen Heimplätze wieder am Markt angeboten wird, ist vielleicht erstmalig, aber sicher nicht einmalig.
Die offiziellen Zahlen des Amts für Statistik der Stadt Graz zeigten im Juni 2020 eine überdurchschnittlich hohe Anzahl an Abmeldungen von Wohnsitzen in Graz, hauptsächlich Nebenwohnsitze, wie sie meist von Studierenden angemeldet werden. Im Oktober letzten Jahres wurden allerdings nicht wie die letzten zehn Jahre davor neue Spitzenwerte bei der Anmeldung von Wohnsitzen erreicht, sondern ein Minus gegenüber dem Jahr davor.

Man helfe mir bitte, zu verstehen, wie gemeinnützige Träger als Unternehmer ihr Investment kalkulieren und wieso das Risiko fehlender Einnahmen, wie es jetzt in dieser Krise offensichtlich eingetreten ist, nur durch höhere Heimpreise in den Folgejahren kompensiert werden soll. Als Kaufmann kann ich die Preise auch nicht willkürlich erhöhen, wenn meine Einnahmen aus irgendeinem Grund schrumpfen, ganz einfach, weil dann noch weniger Menschen bei mir einkaufen werden.
Nachsatz: Dass Studenten im Lockdown gleich wieder ins Elternhaus zurückkehren, ist für mich auch nicht verständlich. Bedeutet das Studium in einer anderen, einer neuen Stadt nicht mehr als Präsenzunterricht? Wird der Ort des Studiums heute nicht mehr zum Lebensmittelpunkt? Nie wäre mir während meines Studiums eingefallen, wieder in den Schoß der Familie zurückzukehren. Vielleicht bedingt das eine, das Wohnen im Einzelzimmer des Studentenheims, das andere, die Rückkehr ins Elternhaus, nicht ursächlich. Möglicherweise aber doch! Fehlen in allen diesen neuen Heimen mit Reinigungsservice nicht Treffpunkte des Alltags – große Gemeinschaftsküchen oder Studierräume? Räume, die Gemeinschaft bilden, die Kommunikation und Zusammengehörigkeitsgefühl fördern?
Ich erinnere mich: Was für ein Gefühl, das wirklich großartige Studentenwohnheim Tietgenkollegiet (Architekten: Lundgaard & Tranberg) anlässlich einer Architekturreise nach Kopenhagen besucht zu haben. Einige von uns wären am liebsten dageblieben und hätten sich wieder für ein Studium eingeschrieben. Was für eine im Leben einmalige Zeit des Studierens, und was für ein Haus für 360 BewohnerInnen in Fælleskab, sprich: Gemeinschaft! Ob dort im Ausnahmejahr 2020 auch reihenweise vorzeitig Kündigungen angestrebt wurden? Ganz sicher nicht.

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