03/10/2018

alt herbst neu

Wilhelm Hengstler zum Festival steirischer herbst 2018 unter neuer Intendanz.

"... Überhaupt hat es politisch gemeinte Kunst schwer in einer Konsumgesellschaft, die noch aus den vehementesten Angriffen auf sich selbst erst recht Unterhaltungswerte und damit Nutzen zieht." ... (W.H.)

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03/10/2018

Bread & Puppet Theater, The Underneath the Above Parade, 2018.
Foto: Jasper Kettner

May Day rally of the KPÖ on the Vienna Ringstrasse. March of workers of Waagner-Biro AG, May 1, 1953. Photographer unknown. Source: OeNB

Roman Osminkin, Putsch (After D. A. Prigov), 2018. Foto: Jasper Kettner

Laibach, Laibach’s Sound of Music, 2018. Foto: Jasper Kettner

Irina Korina, Schnee von Gestern, 2018. Foto: Liz Eve

Ines Doujak: Ökonomien der Verzweiflung, 2018. Foto: Liz Eve

Ekaterina Degot mobilisierte die Volksfront unter reger Teilnahme am Europaplatz (Hauptbahnhof). Dabei fand sie bei der Eröffnung ihres ersten steirischen herbst bemerkenswert markige Worte gegen alles Rechtsgerichtete, um sich am Ende manierlich bei Geldgebern und Sponsoren zu bedanken. Veronica Kaup-Haslers Eröffnungen klangen bei ähnlicher Entschiedenheit verbindlicher und der Dank an die Sponsoren wurde größer gespielt – aber im Prinzip die alten Lieder.
Anschließend schwang die legendäre „Bread and Puppet Company“ unter Assistenz heimischer Kräfte ihre Fahnen und präsentierte vaudevillemäßig auf Schautafeln ironisch erfundene Götter und bittere Nachrichten zur Lage der Welt. Danach ging es die Keplerstraße hinunter bis ins Stadtzentrum, alles gut bis auf das Verkehrsgetöse, in dem Worte untergingen. Eine mobile Verstärkeranlage hätte geholfen.
Nächtlicher Höhepunkt war dann ein Konzert von 'Laibach' in den Kasematten, ein Erlebnis allein schon der Blick aus der Seilbahn hinunter auf das nächtliche Graz. Die Brachial-Gruppe 'Laibach', die schon vor zig Jahren im steirischen herbst gastierte, hinterfragte diesmal Heimat in einer Adaption des Weltkitschklassikers The Sound of Music. Im Rahmen einer etwas simplen Dramaturgie folgte auf eine Streicherversion der Trapp-Lieder jeweils die 'Laibach'-Variante. Aber das Süßliche war dann nicht süß genug und das Bum-Bumm von Laibach weniger heavy als gewohnt. Es gab auch einen Kinderchor, aber seine Inszenierung lag der Gruppe anscheinend weniger am Herzen, als die Videos, darunter ziemlich wüste aus Nordkorea. Man kann 'Laibach' mögen oder nicht, aber ihr brutaler Sound, faschistisch oder antifaschistisch gemeint, eignet sich kaum als analytisches Besteck. 
Naturgemäß wird dieser „neue“ steirische herbst unter Ekaterina Degot an der zwölfjährigen Ära von Veronika Kaup-Hasler gemessen. Zumindest was das Visuelle angeht, ist die Neue besser als die Alte. Die halb abstrakten schwarzen Formen auf den weißen Plakaten erinnern an Revolutionsgrafik. Gleichzeitig provozieren sie die  Frage nach ihrem „Sinn“.
Seit der Intendanz von Hans Georg Haberl ist der steirische herbst nicht mehr so unverwechselbar präsentiert worden. Ekaterina Degot hat ihr Versprechen, den steirischen herbst zu einer über die ganze Stadt verteilten Ausstellung zu machen, ziemlich eingelöst.
Das schönste Beispiel für Degots visuelles Design ist der nackte, schwarz drapierte Eingangsbereich der Listhalle. Die großen ineinander verschlungenen Objekte von Irina Korina im Hauptraum und ihre mit Kompressoren aufgeblasenen Baumtorsi setzen den großflächigen Minimalismus fort. Wobei die Künstlerinn ihren Anspruch, Heimat a la Peter Rosegger zu paraphrasieren, eher zaghaft einlöst.
Auch die verstreuten, eigenständige KuIturinstitutionen – Kunsthaus, Kunstverein, etc – werden nun in Ekaterina Degots stadtumfassendem Ausstellungskonzept sinnfällig. Um nur einige zu nennen: die einfach wirkenden, aber virtuosen bildnerischen Kommentare im >rotor< zur traurigen Gegenwart. Und bei den Minoriten vor allem Ines Doujak mit ihrer Ökonomie der Verzweiflung. Die aus Kärnten stammende Künstlerin setzt neben medizinische Bilder von Hautkrankheiten statistische Fakten. Letztere, schon wieder lyrisch in ihrer lapidaren Bitterkeit, ergeben neben den altmeisterlich wirkenden Bildern einen unheimlichen Effekt. Das 'studio ASYNCHROME' in der Kunsthalle ermöglicht schließlich mit ihren Grafiken auf Plexiglastafeln ein durchaus unterhaltsames Durchschauen kapitalistischer Mechanismen.

Der herbst-Katalog heißt jetzt folgerichtig Guide, und ist, das muss man sagen, von seltener Übersichtlichkeit. Der Guide setzt altmodisch auf soliden Gebrauchswert, die Projektbeschreibungen sind sachlicher, allerdings findet sich auch einiges politisches Geschwurbel darunter. 60% Unterhaltung, 20 % Nachdenken, 10% Theater 10% Religion… die rot-weißen Kataloghefte der vergangenen Ära mit ihrer Kurzbeschreibung der einzelnen Projekte glichen dagegen Werbeträgern einer Angebotswirtschaft.
Ein Paradigmenwechsel auch der diesjährige gratis-herbst, in dem mit einem preisgünstigem Festivalpass der Besuch fast aller Veranstaltungen gratis ist. Dieser Pass – ein weißes Plastikkärtchen mit eingeprägten Namen – macht die Inhaber sozusagen zu Teilen einer Gemeinschaft. Der frühere Ehrgeiz, möglichst viele Besucher zu erreichen bzw. Karten zu verkaufen, wird damit relativiert.
Ekaterina Degot zeigt anscheinend ein geschickteres Händchen für Bildende Kunst als ihre Vorgängerin.
Dass Ekatarina Degot mit ihrer Brachialrhetorik zur herbst-Intendantin gemacht wurde, ist bemerkenswert. Dem Landeshauptmann, der seinen geschätzten sozialistischen Reformpartner mit der Drohung, ansonsten mit der FPÖ zu koalieren, zum Verzicht gedrängt hat, können Sympathien für Links kaum vorgeworfen werden. Und der stellvertretende FPÖ-Bürgermeister der Stadt arbeitet am Umbau des Forum Stadtpark in ein Cafe: ausgerechnet jenes Haus, das von Beginn an wichtiger Motor und Akteur des steirischen herbst war.
Das lässt an der Stärke der Marke Volksfront zweifeln. Dient sie einfach als Kulisse, hinter der sich gemütlich ein allgemeiner Rechtsruck fortsetzt? Wird linke Kunst instrumentiert, um rechte Politik zu legitimieren? Gelten Ekaterina Degots Volksfont-Spiele sowieso als irrelevant? Oder, was am wahrscheinlichsten ist, man weiß gar nicht so genau was da läuft. Überhaupt hat es politisch gemeinte Kunst schwer in einer Konsumgesellschaft, die noch aus den vehementesten Angriffen auf sich selbst erst recht Unterhaltungswerte und damit Nutzen zieht. 
Kaup-Hasler leitete den herbst ab 2006, Degot beginnt heuer, 2018. Damals, vor zwölf Jahren hielt eine mädchenhafte Intendantin in hohen Pumps und exquisit gekleidet ihre Eröffnungsrede. Das strapaziöse Schuhwerk wich die Jahre über einem bequemeren, aber der lässige Schick, das beste einer Warenwelt signalisierend, zu der er gleichzeitig eine Distanz signalisiert, blieb. Ekaterina Degot repräsentiert dagegen die modische Gegenthese: praktische Kleidung, durchaus in Primärfarben und stofflich nur ein bisschen zu dünn, um aus dem Fundus einer Volksarmee zu stammen. Meist flache Schuhe und eine Irgendwiefrisur statt der schwarz schimmernden Haarpracht ihrer Vorgängerin. Die neue Intendantin personifiziert damit nicht nur ihren künstlerischen Ansatz, Volksfront genannt, sie gesellt sich damit auch zur größer werdenden Schar der Jungen, die auf Kleidung keinen besonderen Wert mehr legen (können).
Was der alte und der neue herbst sicher gemeinsam haben ist die Abwesenheit von Film, der nur als Teil der bildenden Kunst vorkommt. Und großartige Adaptionen von Literatur wie Michel Vandeveldes Performance Human Landscapes – Book I nach dem türkischen Romancier Nazim Hikmet im Orpheum können nicht über das Fehlen eines literarischen Diskurses hinwegtäuschen. In Lampedusas Der Leopard sagt der Fürst: „Man muss manchmal etwas ändern, damit alles beim Gleichen bleibt.“

Little Troublemaker

Bei allen Äußerlichkeiten, möchte ich auch auf den falschen Namen hinweisen: es heißt Ekaterina nicht Ekatarina Degot.

Sa. 06/10/2018 7:40 Permalink
Little Troublemaker

"...Schar der Jungen, die auf Kleidung keinen besonderen Wert mehr legen (können)." Wer sowas glaubt, hat offensichtlich von der "jungen" Generation nix verstanden! ENDLICH gibt es eine Bewegung in der Mode, in der alles erlaubt ist, ohne jegliche Konventionen. Der Mensch und die Persönlichkeit, die dahinter steckt, steht im Vordergrund. Das nenne ich Freiheit, wenn man heute den Hosenanzug beim Joggen anziehen kann und die Jogginghose beim Meeting. Aber was dieses Urteil über die "Jungen" hier im gat.st verloren hat, ist mir sowieso ein Rätsel...

Sa. 06/10/2018 7:31 Permalink
Elisabeth Kabelis-Lechner

Danke für den guten Kommentar. Jedoch finde ich den Modestilvergleich zwischen Kaup-Hasler und Degot sehr entbehrlich und ehrlich gesagt geschmacklos.
Wären die Personen Männer, würde so ein Verlgeich der Äußerlichkeiten sicherlich nicht vorkommen.
Noch ein Grund mehr, warum es richtig und wichig ist, das 2. Frauenvolksbegehren zu unterschreiben. Das kann Frau/Mann noch bis 8.10. unterschreiben

Fr. 05/10/2018 8:44 Permalink
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