28/11/2019

Anarchie erinnern

Bettina Landl zur Ausstellung Alphabet des anarchistischen Amateurs – eine künstlerische Antwort auf soziale, politische, ökologische und ökonomische Fragen.

bis 31.01.2020

Die von einem umfangreichen Rahmenprogramm begleitete Ausstellung nimmt den 2007 von der Grazer Germanistin Beatrix Müller-Kampel herausgegebenen Band Aphorismen, Sentenzen und Betrachtungen von Herbert Müller-Guttenbrunn zum Anlass, sich anhand von historischen und zeitgenössischen künstlerischen Positionen Gedanken zur Aktualität des Themas Anarchismus zu machen.

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28/11/2019

Alphabet des anarchistischen Amateurs' – Ausstellung im < rotor

©: Thomas Raggam

Ausstellungsansicht

©: Thomas Raggam

Herbert Müller-Guttenbrunn: Alphabet des anarchistischen Amateurs

©: Thomas Raggam

Seit 1999 widmet sich < rotor > Zentrum für zeitgenössische Kunst Gegenentwürfen und damit den sozialen, politischen, ökologischen und ökonomischen Fragen unserer Gegenwart, um sie mittels zeitgenössischer Kunst zur Diskussion zu stellen. Dabei geht es stets um die Suche nach geeigneten Methoden der Zusammenarbeit, um das Provozieren eines Umdenkens und die Möglichkeiten der Teilnahme an (künstlerischen) Prozessen. Der öffentliche Raum spielt hierfür eine entscheidende Rolle, denn das Verlassen der Grenzen des Kunstraumes wird dazu genutzt, Menschen aktiv mit Kunst in Kontakt zu bringen, urbane Transformationen zum Thema zu machen und einen konstruktiven Beitrag zum Zusammenleben zu leisten.

Unter dem Titel Alphabet des anarchistischen Amateurs versammelt die von Margarethe Makovec und Anton Lederer kuratierte Ausstellung eine Fülle von Arbeiten zeigenössischer KünstlerInnen. Sie umfasst Positionen wie die des kroatischen Konzeptkünstlers Mladen Stilinović (1947-2016), dessen Arbeiten Sprache und ihr Verhältnis zu Ideologie verhandeln und untersuchen, wie sich Politik und Macht in unserer Alltagssprache manifestieren, diese regelrecht kontaminieren. Er stellte traditionelle Auffassungen von Kunst infrage und betonte die Notwendigkeit, sich mit der unmittelbaren Realität im Sinne eines sozialen Engagements auseinanderzusetzen. Dem zur Seite gestellt wurden Arbeiten zeitgenössischer KünstlerInnen wie jene von RESANTITA (Anita Fuchs und Resa Pernthaller), die sich mit gesellschaftlichen Themen wie Klimawandel, Terror, Migration, Geschichte, globale Ökonomie und Politik befassen. Diese Dichte spannt einen weiten Bogen um das Thema Anarchismus und nimmt direkten Bezug auf den 2007 von der Grazer Germanistin Beatrix Müller-Kampel herausgegeben Band Aphorismen, Sentenzen und Betrachtungen von Herbert Müller-Guttenbrunn, der von 1923 bis 1929 in Thoneben im Gemeindegebiet von Semriach (nördlich von Graz) lebte. Von hier aus arbeitete er auch an seinem Periodikum Das Nebelhorn. Alphabet des anarchistischen Amateurs setzt seine Schriften mit den Werken zeitgenössischer KünstlerInnen in Dialog und liefert, in einer Zeit, in der nationalistische Verengungen und totalitaristische Tendenzen wieder um sich greifen, wichtige Anstöße zur Auseinandersetzung mit dem Anarchismus.

Dass abstrakte Begriffe (Ideen) schwer zu fassen und generell paradox erscheinen, dürfte ein unüberwindbares Problem darstellen, dem die menschliche Vernunft nicht „Herr“ zu werden imstande ist. Ein Umstand, der für sich genommen schon eine Form von Anarchismus bedeutet. Theoretiker wie M. Stirner oder J.H. Mackay forderten etwa „unbeschränktes Freiheitsrecht für den Einzelnen“, was als „individualistischer Anarchismus“ (wie behauptet wird) entweder zur Selbstisolation oder zum bellum omnium contra omnes führt und demnach bloß „Utopie“ bleiben wird. Der „kommunitäre Anarchismus“ hingegen, vertreten von P.J. Proudhon, M.A. Bakunin, P.A. Kropotkin u.a. erstrebt „Aufhebung des Privateigentums“ und ist eine von vielen denkbareren Möglichkeiten uns „anders“ zu „organisieren“. Seitdem gab es etliche AnarchistInnen und Bemühungen, das Modell eines „geeigneten gesellschaftlichen Rahmens für eine größtmögliche individuelle Freiheit“ zu schaffen, bei zugleich „größtmöglicher Gleichheit und Gerechtigkeit“. Bleibt dabei nicht bloß die Forderung nach einer Neudefinition von Begriffen (der Grundlage aller „Weltkonstruktion“) oder bedarf es nicht vielmehr deren Überwindung?

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