07/04/2004
07/04/2004

Feiner Laden

Kennen Sie Herrn Bernschütz? Ehrlich gesagt, ich kenne ihn auch nicht. Alles, was ich von ihm weiß, ist, dass er Schneider ist, vermutlich Herrenschneider, und dass er ein kleines Gassenatelier in der Naglergasse unweit der Herz Jesu Kirche hat. Meine Vermutung begründet sich darauf, dass im Laden von Herrn Bernschütz ausschließlich feine Tuchware – Herrenanzugsstoffe als Meterware – feilgeboten wird. Falls Sie nicht wissen, was Meterware ist: so wurden im Kaufhaus meiner Großmutter und meiner Mutter die Stoffe genannt, die, akkurat auf ein Holzbrett aufgeschlagen und exakt auf Kante geschichtet, nach Metern verkauft wurden. Aber zurück zu Herrn Bernschütz. Der führt ausschließlich Ware für den Herren, zählt also zur aussterbenden Spezies der Spezialisten, die sich lebenslang auf eine Sache konzentrieren und danach trachten, die so gut als möglich zu machen.
Am erstaunlichsten ist, dass sein kleines feines Atelier im reinsten 50er-Jahre Design erhalten - eingekleidet - ist, sozusagen. Das beginnt beim Portal mit dem elegant geschwungenen Namenszug. Drinnen, liebevoll arrangiert, plastikbezogene Stühlchen in verschiedenen Farben um den obligaten Nierentisch, ein geschwungenes Verkaufspult mit Polsterung in Steppoptik, himmelblaue Hängelampen mit perforiertem Metallschirm im Schaufenster und ein zeitlos schöner Messingluster mit einer Vielzahl von nackten Glühbirnen.
Nichts deutet im Laden von Herrn B. auf Betriebsamkeit, auf Kundenverkehr hin und der Verdacht ist nicht unbegründet, dass hier trotz voller Regale nichts mehr angemessen und nichts mehr verkauft wird. Aber der Laden ist weder verstaubt noch verödet. Ganz im Gegenteil: frische Gartenblumen in der Vase zeugen von liebevollem Hang zur Dekoration. Feinsäuberlich hält hier jemand Ordnung und die Illusion aufrecht, es gäbe noch einen aktiven Schneider Bernschütz. Es scheint, als wehrte sich hier jemand gegen das Vergessen beziehungsweise das Vergessen werden.
Und tatsächlich, wie wenige Beispiele jener hohen Bau- und Einrichtungskultur der 50er-Jahre haben sich in Graz erhalten? Die kleine Tankstelle in der Elisabethstraße – abgerissen, weil nicht mehr kundengerecht. Nicht einmal dem Großkritiker in Sachen Architektur Friedrich Achleitner schien sie erhaltenswert. Die kleinen Eissalons, Burian, Hoke und wie sie alle hießen - erst dem Modernisierungs- und dann dem Rationalisierungsdruck zum Opfer gefallen. Die Thalia, bald nur mehr ein Zerrbild des Denkmalschutzes und falsch verstandener Erhaltung, weil sie überbaut und untergraben wird, als wäre Proportion keine architektonische Qualität, die zu erhalten sich lohnte. Als wäre die liebevolle Exotik eines terrassierten Flamingo-Gartens mit Goldfischteich durch eine unterirdische Shopping Mall zu ersetzen. Dieses Juwel wird brutal zerstört, auch wenn es als eingezwängte Hülle stehen bleibt.
Daher: Nur weiter so, Herr Bernschütz, halten Sie die Stellung und weichen Sie nicht den Barbaren. Meine Sympathie haben Sie.

Verfasser/in:
Karin Tschavgova
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16. + 17.11.2023
 
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