06/09/2007
06/09/2007

Anke Strittmatter, Installation "nicht wirklich"

Die Interviewreihe der Regisseurin Siegmar Zacharias führt den Prozess weiter, den International Festival The Theater im Januar 2006 begonnen hat, als 40 Künstlerinnen, ArchitektInnen, Regisseurinnen, Theoretikerinnen, DJs, DesignerInnen von International Festival (Spangberg/Lindstrand) eingeladen wurden, The Theater zu entwickeln. Ein temporäres, mobiles Theater, das als Performance gedacht ist und als solche 3 Jahre lang auf Tour gehen wird. The Theater hat beim steirischen herbst 07 Premiere, danach ist es nach London, Montpellier, Stockholm und Berlin eingeladen.
Mit Theater ist... lädt SZ lokale Größen der jeweiligen Standorte ein, sich an dem Prozess zu beteiligen. Fragen, die bei der Entstehung von The Theatre wichtig waren, werden aufgenommen und aus der jeweiligen Perspektive des Gesprächpartners weitergedacht.

"Subversive Architektur und die Lizenz zum Schmunzeln" - Siegmar Zacharias im Gespräch mit Anke Strittmatter.

SZ: Vielleicht können wir damit anfangen, dass du unter der Klammer von Inszenierung, illegale Architektur und Humor etwas von deiner Arbeit erzählst.

AS: Wobei dieses Illegale etwas ist, was vorkommt innerhalb meiner Arbeit, oder der Arbeit der Gruppe osa, office for subversive architecture, von welcher ich eines von acht Mitgliedern, verteilt auf Deutschland, England und Österreich, bin. Wir haben uns nicht aufs Banner geschrieben, illegale Projekte zu machen, sondern es passiert eben, dass Projekte nicht genehmigt sind, oder dass wir aus gutem Grund Projekte absichtlich nicht genehmigen lassen. Es hat sich im Laufe der Jahre herausgestellt, dass, wenn man durch die Mühlen der Genehmigung gehen muss, es auch gelegentlich dazu kommen kann, dass Projekte von behördlicher Seite so verformt werden, dass sie nicht mehr die Essenz haben, die man sich vorgestellt hat.
Es gibt aber auch Projekte, bei denen man ursprünglich einen ganz offiziellen Weg einschlagen wollte und es letztlich ungenehmigt macht. Meine beiden Kollegen von osa, Bernd Truempler und Karsten Huneck zum Beispiel, wollten eine Installation mit einem Stellwerk der London Railway machen, für die sie ein relativ großes Budget gebraucht hätten. INTACT wurde jedoch von London Railway aus stadtpolitischen Gründen nicht unterstützt. Dann hat osa sich entschieden, das Ganze trotzdem in einer etwas veränderten Version durchzuführen. Das Stellwerkhäuschen wurde nur restauriert und nicht, wie geplant in eine transparente Kugel gepackt. Das Haus wurde also ohne Genehmigung gestrichen, und es wurden Blumenkästen in die Fenster gehängt. Es wurde daraufhin für die OpenHouse Party ausgewählt, die einmal im Jahr im London stattfindet, bei der Architekturen zugänglich gemacht werden und es wurde ein Film darüber gedreht, der auf Channel 4 lief. Obwohl es ein illegales Projekt war, ist bis zum heutigen Tage keine Anzeige gekommen. Und aus solchen illegalen Projekten entstehen dann durchaus auch Folgeaufträge. In diesem Fall einer, bei dem es um eine Marketingaktion einer englischen Werbeagentur ging.

SZ: Was war dann das kommerzielle Folgeprojekt?

AS: The Hoegaarden urban oasis war eine interaktive Outdoor Installation, in der die Beziehung zwischen urbaner und natürlicher Umgebung befragt wurde. Es war ein Stück Natur in Form eines Pubs im urbanen Raum, wo Passanten an Grastischen und -stühlen Platz nahmen und ein Bier trinken konnten.

SZ: Wird die Arbeit von office for subversive architecture nicht „desubversiviert“, wenn man mit höchst kommerziellen Partnern zusammenarbeitet wie mit Hoegaarden?

AS: Ja, das haben wir uns natürlich auch gefragt. Letztlich war aber explizit ein osa-Projekt angefragt worden, und das bedeutet, dass wir inhaltlich totale Freiheiten gefordert und bekommen hatten, sonst wären wir ausgestiegen.

SZ: Was bei dem INTACT Projekt auffällt ist, dass es quasi umgekehrter Vandalismus ist. Die verbotene Verhübschung des Hauses. Obwohl es spezifisch auf das Haus bezogen wiederherstellt, also alles wieder in Ordnung bringt, bewegt sich das Projekt ja im größeren Kontext von Ordnungswidrigkeit.

AS: Diese nicht genehmigten Aktionen sind heikel, nicht nur weil sie ja auch verbunden sind mit einem Straftatbestand und möglichen Anzeigen und Zahlungen, die man zu leisten hat, sondern auch, weil man sich in einer Grauzone bewegt. Wenn ich zum Beispiel innerhalb meiner Lehrtätigkeit mit meinen Studierenden Aktionen mache, deren Umsetzungen möglicherweise nicht genehmigte Installationen sind, so sind wir ja durch die Universität doch erkennbar. Grundsätzlich kann ich sagen, dass ich bei allen nicht genehmigten Aktionen nichts dafür tue, dass niemand weiß, wer ich bin. Ich habe jetzt gerade eine Aktion gemacht, Treasure Hunt Konsum und Stadt, mit Studierenden der TU Graz in Kooperation mit dem Haus der Architektur und diese Inszenierungen, die die Studierenden vorbereitet und durchgeführt haben, waren größtenteils nicht angemeldet. Da ging es zum Beispiel um eine Aktion in einem der Grazer Kaufhäuser, dem Kastner und Öhler, diese Installation hätte einfach nicht funktioniert, wenn jemand davon gewusst hätte. Da ging es wieder nicht darum etwas Illegales zu machen, sondern es war sogar eine Umkehrfigur. Aufgabe war es, ein Produkt in das Kaufhaus hineinzuschmuggeln, ohne dabei erwischt zu werden. Auch hier gab es wieder Öffentlichkeit im Sinne von Presse und trotzdem bekamen wir keinerlei Ärger.

SZ: Die Frage ist, was ist denn der Mehrwert des Nicht-Angemeldeten? Oder anders gefragt: Was für Energien setzt dieser illegale Rahmen bei den Rezipienten frei?

AS: Auf der einen Seite ist der Mehrwert von unangemeldeten Aktionen sicherlich die Verhinderung dessen, dass das Projekt möglicherweise gebeugt wird; auf der anderen Seite habe ich schon beobachtet, dass gerade die Konfrontation einer Aktion im öffentlichen Raum, wo ja erst einmal Polizei oder private Security für einen reibungslosen Ablauf zuständig sind, deswegen auch so spannend ist, weil deren Verhalten sich innerhalb kürzester Zeit gerade ins Umgekehrte verwandeln kann. Wir haben zum Beispiel vor einigen Jahren eine nicht angemeldete Aktion auf dem Trafalgar Square in London gemacht. Da sind 250 Menschen zur gleichen Zeit auf dem Trafalgar Square zusammen gerufen worden, haben weiße Papieranzüge angezogen und einen schwarzen Regenschirm aufgespannt und zwar in unterschiedlichen Formationen. Dieses Projekt hieß London Roof und uns ging es darum, dass ein schwarzer Schirm in London ein stark raumbildendes Element ist, das überall auf der Straße tausendfach vorkommt und wir gesagt haben, wir inszenieren ganz bestimmte räumliche Qualitäten. Obwohl es ja nicht verboten ist, sich auf dem Trafalgar Square zu treffen und dort Schirme aufzuspannen, ist sofort die Security gekommen und hat uns mit einer Strafe von mehreren tausend Pfund gedroht. Sie haben uns dann Richtung Buckingham Palast geschickt. Wir sind aber nach einer halben Stunde wieder zurück auf den Trafalgar Square gegangen, weil wir das, was wir uns vorgestellt hatten, auch durchziehen wollten. Als wir nach einer halben Stunde wieder auftauchten, hatte sich die Aufregung gelegt und die Security hat sich plötzlich völlig anders verhalten. Als ein Betrunkener die Formation stören wollte, haben sie ihn gebeten, uns nicht zu behindern!
Es gibt also dieses Phänomen, dass da was passiert, was nicht angemeldet ist, aber nicht gegen die Obrigkeit oder den Staat gerichtet ist, und die Polizei gar nicht die Rolle des Ordnungshüters ausüben muss. Es geht bei diesen Arbeiten nicht darum, in irgendeiner Form schon mit einer Spannung in die Situation hineinzugehen. Ganz im Gegenteil. Der Ansatz ist eigentlich immer zu fragen: Was ist hier eigentlich vorhanden? Welchen Raum gibt es? Welche Qualitäten hat er? Wie kann man ihn aufladen? Und im Weiteren um einen liebevollen und humorvollen Umgang mit ihm.

SZ: Du hast gesagt, dass, wenn die Aktion angemeldet und genehmigt gewesen wäre, sich die Security Leute nie so verhalten hätten. Wenn die Aktion genehmigt gewesen wäre, hätten sie sich nur innerhalb ihres ihnen offiziell zuerkannten Protokolls verhalten können. Das wirft ja die Frage auf, ob dieses Nicht-Genehmigte Spielräume des Verhaltens eröffnet, in denen die Akteure sich anders performen können. Wobei die Passanten, die Polizei, das so genannte Publikum zu Akteuren ihrerseits werden.
Inwieweit erzeugt die Genehmigung immer auch eine Rahmung, die sich selbst abgrenzt und deren Grenzen beschützt werden müssen. Während das Ungenehmigte an den Rändern ausfranst und seine Grenzen durchlässiger sind?

AS: Interessanterweise geht es ja bei solchen Aktionen immer auch darum, Territorien in Besitz zu nehmen. Die Orte werden dadurch hybrid, indem sie diese Möglichkeit des Sowohl-als-Auch zulassen. Bei INTACT zum Beispiel spielten die Themen Vereinnahmung und Territorium eine große Rolle. Bei den Inhouse Parties, die ja eigentlich Zugang zu Architekturen bieten sollen, funktionierte das Stellwerkhäuschen bei uns bloß als Demarkationszeichen und Legitimation für die Benutzung des Ortes in einer Art und Weise, wie er sonst nie benutzt wird.
Auf der anderen Seite gab es ganz andere territoriale Auseinandersetzungen mit den ortsansässigen Jugendgangs. Bernd und Karsten hatten eine Zeitschaltuhr für eine Glühbirne in dem Stellwerk angebracht, und konnten dann in der Dämmerung als sie hingingen, um zu sehen, ob das funktioniert, beobachten, dass Mitglieder einer Quartiersgang vor diesem Häuschen standen und es mit irgendetwas bewarfen und beschimpften, in der Vermutung, dass sich dort jemand auf ihrem Territorium häuslich eingerichtet hätte. Als das Licht dann plötzlich anging sind sie weggerannt. Das Interessante hierbei ist ja, dass das Haus plötzlich zum Akteur wird. Die haben also mit einem Haus gekämpft.
Interessanterweise ist es während des Zeitraums der Installation auch drei Mal zerstört worden. Wobei es von kleineren Zwischenfällen wie der Beschädigung der Blumenkästen bis zu massiven Eingriffen kam, bei denen das Dach zum Einstürzen gebracht wurde. Wir vermuten, dass es die Befürchtung gab, dass da wirklich jemand einziehen könnte, und es deshalb unbewohnbar gemacht werden sollte.
Was ganz interessant ist, ist, dass dieses Häuschen zu einem Selbstläufer geworden ist, zu einer Ikone von Dream-House. Es ist ja keine von uns entworfene und gebaute Architektur, sondern es ist was es ist, und wir haben es nur ins rechte Licht gerückt. Es ist aber als Ikone so wirksam, weil man unglaublich viel hineininterpretieren kann. Es scheint seine eigenen Geschichten und Bilder zu generieren.

SZ: Das bringt uns noch mal auf die Frage der Dokumentation und die Frage, wer der Adressat von Projekten im öffentlichen Raum ist.

AS: Erst mal machen wir es für uns, weil wir den Ort aufladen und ihn in seiner räumlichen Ausprägung erleben wollen. Interessanter Weise kann man bei unseren Projekten oft im Nachhinein, wenn wir ein Bild der Installation vor uns haben, nicht mehr unterscheiden, ob es die realisierte Installation ist, oder die Photoshop Ideenillustration aus dem Vorfeld. Wir haben deshalb neulich auch scherzhalber vorgeschlagen, die Projekte nur noch als Photoshopvariante zu machen und das als Dokumentation einer Realisierung zu publizieren. Also auf Publikationsbene würde es gar keinen Unterschied machen.
Aber natürlich passiert eine ganz andere, größtenteils unvorhersehbare Interaktion auf der Ebene der Konfrontation mit Menschen im Realraum, also den Protagonisten dieser Orte, seien es zufällige Passanten, oder Leute, die mit dem Ort verbunden sind. Und was da geschieht, sind ganz individuelle Filme in den Köpfen. Einerseits während der Installation und andererseits im Nachhinein, wenn der Ort scheinbar wieder das ist, was er war, bzw. wenn Teilnehmer mit einer Form der Dokumentation konfrontiert werden, und diese ähnlich der Funktion eines Multiple als Mittel der Erinnerung fungieren.

SZ: Gibt es einen Unterschied in eurer Arbeit, wenn der Fokus auf der raumästhetischen Ebene liegt, oder wenn er auf der sozial interaktiven Ebene liegt?

AS: Manchmal erlebt man einen Raum und hat sofort ein Bild davon, was er eigentlich noch ist. Die Ebene, was es bei anderen auslöst, oder die Komponente der sozialen Kritik ergibt sich meist in der Arbeit. Dazu vielleicht noch ein Beispiel eines Projektes von osa, 3ZKB. Dabei ging es um eine Fußgängerunterführung in Darmstadt. Diese Unterführung ist ein Ort, der objektiv funktioniert, insofern ist er ein „guter“ Ort. Aber die Passanten gehen dort unglaublich schnell und ungern durch. Es ist unangenehm, und es ist dunkel. Es gibt mehrere große Glaskästen, die als Werbekästen gedacht waren, aber nie wirklich funktioniert haben. Die damaligen Mitglieder von osa wollten unbedingt etwas mit dem Raum machen. Dann wurde die gesamte Unterführung nebst Kästen geputzt. Und in jeden dieser Kästen wurde ein Zimmer gebaut, daher der Name 3ZKB: drei Zimmer Küche Bad. Der Ort wurde über ein paar Wochen bespielt bis hin zu fließendem Wasser im Bad. Es war ganz interessant, dass man eine extreme Veränderung der Passanten bemerkt hat und auch der Besitzer der umliegenden Geschäfte. Die fanden das so großartig, dass an diesem Ort etwas Positives passiert, dass sie für die unterschiedlichen Events wie Einweihungsparty oder Kaffeeklatsch, mal Blumen, mal Würstchen sponserten. Manche Leute haben sich sogar die Schuhe an dem ausgelegten Fußabtreter abgeputzt. Das heißt, die Idee, eine Wohnung in einen höchst öffentlichen Bereich zu implementieren, hat auf einer subtil nachprüfbaren Weise funktioniert. Passanten haben also das Spielangebot häufig angenommen und für sich ausgeweitet.

SZ: Das bringt mich auf die letzte Frage, die an unsere anfängliche Klammer anschließt, nämlich die nach dem Verhältnis zwischen Lesbarkeit und Humor.

AS: Viele der Arbeiten, die ich jetzt beschrieben habe sind natürlich unglaublich plakativ und insofern leicht lesbar. Subtile Wahrnehmung spielt natürlich auch eine Rolle, aber eher in Hinblick auf eine Wertung, oder was es mit dir macht. Zum einen gibt es immer sehr deutliche räumliche Veränderungen, die auffallen müssen. Es gibt aber natürlich immer auch Passanten, die bereit sind, das zu ignorieren. Ich denke, unsere Projekte schaffen alle eine gewisse Irritation, wenn man sich als zufälliger Passant auf sie einlässt. Aber es sind nie unangenehme Situationen, die wir herstellen. Wir schaffen keinen Zwang.
Die Irritation verursacht idealer Weise einen Wechsel des Standpunktes, ein Abrücken von ausgetretenen Sichtweisen und Erwartungen bei der Bewegung durch den öffentlichen Raum. Und so eine Irritation bringt dich dazu, innezuhalten, dich mit dem, was da passiert zu beschäftigen; manchmal provoziert es ein Schmunzeln, manchmal ein Kopfschütteln und im besten Fall verlässt man den Ort mit einem guten Gefühl.
Für mich ist Humor in der Arbeit wichtig, das ist sogar eine meiner Hauptantriebsfedern. Was mir immer wieder auffällt ist, dass im Kunstgeschäft häufig die Meinung vorherrscht, dass künstlerisches Arbeiten, wenn es gut sein soll, nichts mit Humor zu tun haben darf. Als ob Humor quasi das Gegenteil von Qualität ist. Das erscheint mir doch ziemlich absurd.

SZ: Vielen Dank für dieses Gespräch.Anke Strittmatter, geb. 1965, Architektin, seit 1997 eigenes Studio für Architektur und Städtebau, Mitglied von osa_office for subversive architecture, Mitglied von f.o.g._forum öffentlicher gegenwartskultur, derzeit Lehrbeauftragte am Fachbereich Architektur der TU Graz, Hauptbetätigungsfelder: Architektur und Stadtentwicklung, perfomative Architektur im (öffentlichen) Raum, interdisziplinäre und internationale Lehrprojekte an der Schnittstelle von Architektur, Städtebau und Kunst.
www.osa-online.net

Verfasser/in:
Siegmar Zacharias
/ The Theatre
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