13/04/2016

Franz Denk, Sprecher der IG-Architektur, über die Wohnungsfrage und innovative Lösungsansätze (nicht nur) für Ankommende. Welche Rolle spielt Raumplanung in der aktuellen Krise der Asylpolitik?

Dieser Artikel erscheint im Rahmen des GAT-Schwerpunkts Raumplanung.

13/04/2016

friedliche Aneignung belebt das Quartier

©: Franz Denk

Vordere Zollamtstraße, Wien: Refugium für Ankommende. Im Rahmen des Projekts „displaced“ arbeiten Architekturstudierende der TU Wien an der Verbesserung der Aufenthaltsqualität.

©: Franz Denk

Wandgestaltungen im Gemeinschaftsraum, Vordere Zollamtsstraße, 2015

©: Displaced. Space for Change

Wohnhaus im 10. Bezirk, Wien: Wo MigrantInnen an ImmoblienspekulantInnen geraten, droht Vernachlässigung.

©: Franz Denk

Umgang mit zu wenig Wohnraum, Zinshaus im 16. Bezirk, Wien

©: Franz Denk

sichtbare Obdachlosigkeit im öffentlichen Raum

©: DSP-Architekten

das Laufen als Fluchtmetapher

©: Franz Denk

Vielleicht sind Architekturschaffende schlechte Föderalisten, aber mit Sicherheit führt föderalistische Migrationspolitik zu nachteiliger Raumentwicklung

Ankommen
In den Leitgedanken des BMEIA-Integrationsberichts 2015 kommt „Wohnen“ nur marginal vor. Das irritiert, denn im Zuge eines Asylverfahrens durchlaufen Ankommende drei Wohnphasen. In der ersten Phase sollen Erstaufnahmezentren eine menschenwürdige Unterbringung unter hygienischen Mindeststandards gewährleisten. Massenquartiere und Lager, die die globale Notunterkunftindustrie anbietet, sind nur für Ausnahmesituationen zur Verhinderung akuter Obdachlosigkeit tauglich, denn sie generieren Abschottungsarchitekturen und Exklusionsräume ohne Integrationspotenzial. Container sind gesamtwirtschaftlich so teuer, dass, so Peter Haslinger von der Leibniz Universität Hannover, Deutschland auf diese Form der Unterbringung künftig verzichten will. Als Erstunterkünfte haben sich große bauliche Strukturen wie Kasernen, Kraftwerke, Sporthallen, etc., häufig in exponierten Lagen, als wenig geeignet erwiesen. Die differenzierten Raumstrukturen zentraler (asbestfreier) leerer Büro- und Verwaltungsbauten funktionieren aufgrund einfacherer Adaptierungsmöglichkeiten wesentlich besser. Viele Initiativen von Architekturschaffenden (displaced, Kein.Ort.Nirgends, usf.), meist in Kooperation mit Hilfsorganisationen, konnten in solchen Räumen seit Herbst 2015 durch gemeinschaftliche Sozialisations- und Aushandlungsprojekte erste und unmittelbare Integrationsprozesse in Gang setzen. Eine Rolle der FachplanerInnen ist es also, niederschwellige Projekte zu entwickeln und umzusetzen. Dabei haben sich Universitäten, Vereine und kleinteilige Strukturen als erfolgreich erwiesen.

Zwischenwohnen
Die zweite Stufe bilden die Verteilerquartiere der Länder und Gemeinden. Hier trifft permanentes Ankommen-und-Weggehen auf den Bedarf nach Rückzug und Geborgenheit. Für viele säumige Gemeinden sprang seit 2015 die österreichische Zivilgesellschaft ein, verursachte aber damit teilweise neue Probleme durch isolierende Unterbringung. Besser geeignet für diese temporäre Wohnphase sind zentrale Lagen und Leerstände, auch bzw. besonders in zigtausenden Erdgeschoßen. Laut Leerstandskonferenz 2015 sind rund 500 disponible Gebäude in öffentlichem Besitz. Würde man Miet- und Baurecht (temporär) lockern, könnte man allein hier alle Ankommenden in den nächsten Jahren unterbringen. Da außer Container- und Fertigteilbauten noch keine nennenswerten Beispiele bekannt sind, die sich mit bestehenden Quartieren und Gebäuden baulich auseinandersetzen, muss man vorerst auf Entwürfe und Projekte –  meist Hochschulinitiativen –  zurückgreifen. Wie vielfältig bestehende Areale und Gebäude entwickelt werden könnten, zeigt beispielsweise die von Jörg Friedrich et al. herausgegebene Publikation Refugees Welcome auf: Hier tummeln sich Aufstockungen von Großstrukturen der Nachkriegsmoderne (Universitäten, Parkhäuser, Einkaufszentren), verbaute Kleinstbaulücken, Wohnformen auf dem Wasser, Verdichtungen in Randlagen, Siedlungsentwicklungen in ehemaligen brown-fields, usf. Solche innovativen Lösungen sind ohne Anpassungen der Raumentwicklungsziele, Umwidmungen sowie Bauordnungs- und Mietrechtsänderungen nicht möglich.

Die Wohnungsfrage betrifft nicht nur Ankommende
Spätestens vier Monate nach Zustellung des positiven Asylbescheids werden Personen mit Schutzstatus in den freien Wohnungsmarkt „entlassen“. Das verschärft die ohnehin angespannte Marktlage, denn laut Hermann Schuster, Immo-Beauftragtem der Caritas Wien, wurde im letzten Jahrzehnt viel zu wenig gebaut. Wien und Niederösterreich weisen einen Fehlstand von 40.000 Wohnungen auf. Der Zugang zu geförderten oder Gemeindewohnungen ist restriktiv (die Wartezeit in Wien beträgt mindestens zwei Jahre). Die moderne Migrationsforschung weist darauf hin, dass ankommende und fluktuierende Personen urbane Lagen beleben und lokale ökonomische Impulse bewirken. Stadtregionen sind daher besonders als arrival-space geeignet, ländliche Gebiete nur bei ausreichend vorhandenen Folgeeinrichtungen. Eine inkludente Wohnungspolitik für die steigende Zahl von MigrantInnen UND ortsansässigen Wohnungssuchenden ist eine der wichtigsten Herausforderungen an unsere Gesellschaft.

Ländermodelle
Einen vielversprechenden Lösungsansatz bietet das Projekt Transfer Wohnraum Vorarlberg. Auf Baurechtsbasis errichten Genossenschaften mit lokalen Firmen kleinere Einheiten (10-15 Wohnungen) und Anlagen, die mit Baukosten von 2.000 Euro/m² ortsüblichen Wohnstandards entsprechen. Selbstausbau und private Gartenbetreuung helfen, Kosten zu sparen. Entscheidend ist, dass diese Häuser nicht nur für Ankommende, sondern auch für Ortsansässige gebaut werden und damit die gesellschaftliche Akzeptanz vergrößern. Auch das Bundesland Salzburg geht ähnliche Wege. Das Refugium, für ortskernnahe Lagen konzipiert, lässt durch Demontierbarkeit künftige räumliche Entwicklungen offen. Beide Initiativen vermeiden sowohl „ländliche Segregation“ als auch städtische Enklavenbildung. Sie fördern soziale und räumliche Integration und bieten ortsübliche Wohnstandards mit ansprechenden Architekturen. Oberösterreich zielt mit dem heftig kritisierten „Standardausstattungskatalog“ für den geförderten Wohnbau auf Baukostenreduktionen ab. Tirol setzt auf niedrige Errichtungskosten, ebenso Niederösterreich mit einer Mietdeckelung auf 4,20 Euro/m². Beide Länder riskieren mit dieser monetären Schwerpunktlegung raumplanerische und soziale „Kollateralschäden“. Der Fehlstart der Wohn.Chance.NÖ mit barackenartigen Häusern mit teuren Stellplätzen (!) hat gezeigt, wie wenig überlegt viele dieser gut gemeinten Ansätze sind. Wien ergänzt sein kluges Smart-Wohnbauprogramm (kleinere Wohnungen, Kompensationsflächen, Mietobergrenzen), mit einem noch nicht näher vorgestellten Holzbau-Sonderprogramm, hoffentlich nicht unter Ausschluss von PlanerInnen. Denn die genannten – guten wie schlechten – Lösungsversuche zeigen, dass nachhaltige Migrationspolitik unter Einbeziehung von Architektur und Raumplanung erfolgreicher sind.

Lösungsansätze
Viele Lösungsversuche auf Länderebene lassen befürchten, dass mit neuen Billigwohnbauten statt nachhaltiger Siedlungsentwicklung die Dörfer und Regionen vorwiegend nach Verfügbarkeit, oft co-finanziert durch Fördergelder, zersiedelt werden. Bodenvergeudung, Exklusion, Ghettoisierung und hohe Nachfolgekosten für die Allgemeinheit sind mögliche Folgen. Ähnlich der Werkstatt „Flucht nach Vorne – Wo und wie sollen Flüchtlinge wohnen?“ des BDA Bayern und der Bundesstiftung Baukultur (München, März 2016) könnte eine österreichweite „Raum-Konferenz“ übergeordnete Gesamtstrategien für die bauliche Einbindung neuer Wohnhabitate entwickeln, unter Einbeziehung von Integrationsleitbildern (vgl. das vorbildliche Basel) und erfolgreichen landesspezifischen Experimenten/Erfahrungen. Anstelle der extremen „Hysterisierung“ (Kenan Güngör in dérive Nr.37, S.28) muss die Migrationsdebatte entschleunigt werden. Sie wird uns noch lange beschäftigen, daher ist überlegtes Handeln gefragt. Da die Errichtung von Wohnraum im Schnitt drei bis sieben Jahre dauert, sollen die Verfahren gekürzt werden, etwa durch schlankere Widmungsprozesse. Durch die Vergabe von Superädifikaten und Baurechten, wie das in den Niederlanden üblich ist, könnte man Grundstückskosten reduzieren und fehlende Bodenreserven kompensieren. Die (fällige) Rücknahme von Gesetzen und überzogenen technischen Standards wurde in Wien, so ein Vertreter der Baudirektion, schon gestartet. Es braucht dringend eine Vereinheitlichung der Vorschriften statt kontraproduktiver OIB-Alleingänge (wie in NÖ). Bei gutem Willen ist vieles machbar: Oberösterreich und Salzburg haben kurzfristige Sonderbestimmungen im Baurecht (Verfahrens- und Bewilligungsfreiheit) beschlossen, Vorarlberg hat temporär Raumordnungsbestimmungen (kein Ortsbildschutz, keine notwendige Übereinstimmung mit der Widmung!) weitreichend eingeschränkt. Vor allem müssen Wohnbaufördergelder wieder widmungskonform verwendet und durch Fokussierung auf Lageeignung, Dispersität, Durchmischung und Privatinitiativen (Baugruppen) treffsicherer werden. Eine wichtige Frage ist die Verteilung des neuerrichteten Wohnraums. Laut Kilian Kleinschmid, Berater der österreichischen Bundesregierung, drängen 80% der Ankommenden in die Ballungsräume und überfordern diese, denn die meist kleinen Zentren der österreichischen Städte haben nur beschränkte Aufnahmekapazitäten. Und Randzonen von Ballungsräumen bieten üblicherweise keine guten räumlichen Voraussetzungen für erfolgversprechende Integration (Zwischenstadt, Einfamilienhaussiedlungen, Speckgürtel). Stadtsoziologische Forschungen bestätigen, dass die innerstädtische Verteilung von Gesellschaften durch kleinmaßstäbliche Fragmentierung erfolgreicher ist als durch „ethnische Inseln“. Zu große oder zu gering durchmischte ethnische Quartiere laufen Gefahr, „unter sich zu bleiben“, weil dort Integration entweder nicht gewollt wird oder nicht erreicht werden kann, wenn die lokale Bevölkerung diese Räume meidet. „Ankommende tragen zur kulturellen Produktivität der Stadt bei“ (Walter Siebel in Die Kultur der Stadt, S.341). Wo Arbeits- Kinderversorgungs-, Schulungsplätze, öffentlicher Verkehr und Freizeitangebot fehlen, ist die Ansiedlung von Ankommenden in Randlagen und schrumpfenden Regionen ungeeignet. Daher sind Aufteilungsschlüssel („1% Ankommende in jeder Gemeinde“) wenig sinnvoll. Vielversprechende Ansätze für leistbares Wohnen liegen auch außerhalb der Raumplanung: z.B. im mühlviertlerischen Gutau, wo MigrantInnen von BewohnerInnen Minikredite zur Verfügung gestellt bekommen.

Chancen wahrnehmen
Die Schaffung gemischter Quartiere mit lokaler Verankerung in den Nachbarschaften, kulturelle und kommunikative Sorgfalt, Nutzung vorhandener Infrastruktur, baukulturelle Ansprüche und die Einbeziehung von ExpertInnen werden darüber entscheiden, ob und wie erfolgreich der Weg in unsere Zukunft gelingen wird. In diesem Sinne ist zu fordern, dass zur Erstellung des Integrationsberichtes 2016 auch PlanerInnen eingeladen werden!

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