06/08/2009
06/08/2009

Modellfragment. Foto: Daniela Klappacher

Themenstellung: Anti-Cocooning

Zwischenpräsentation. Foto: jt

Städtebauliches Konzept der Studierenden

Schlusspräsentation. Foto: jt

Historischer Lageplan des Areals (mit Überlagerung StudentInnenentwurf)

Entwerfen 4 / SS 2009, im Wohnbaulabor der TU Graz, Institut für Wohnbau
Leitung: Jördis Tornquist

DAS THEMA: Anti-Cocooning
Die Konsum- und Freizeitgesellschaft führt zu einem Vitalitätsverlust in der Stadt. Leben in komfortablen Kokons, Urbanität fußfrei von der Dachterrasse, vernetzt und doch isoliert. Lift von der Wohnung zur Tiefgarage. Ab zum Flughafen. Der öffentliche Raum ist nur mehr als Kulisse für touristische Exkurse interessant. Jedes in Kontakttreten mit anderen Menschen ist selektiv und muss meistens erkauft werden.

Es gibt aber auch Menschen, die nicht dieser Konsum– und Freizeitgesellschaft angehören: MigrantInnenfamilien, Ältere, Teilzeitarbeitslose, oder Menschen, die wegen ihrer Verpflichtung gegenüber anderen, oder wegen psychischer oder körperlicher Einschränkungen einen geringeren Bewegungsradius haben.

Diese Leute machen keine Urlaube, haben keine Zweitwohnsitze. Sie sind das ganze Jahr über auf ihr Wohnumfeld angewiesen. Entgegen gängiger Middle-Class-Klischees sind diese Menschen für die Stadtentwicklung von großer Bedeutung. Sie beleben in zwangloser Weise Quartiere, sie schaffen Netze des Vertrauens und der Verbindlichkeit. Es entsteht subjektive Sicherheit und eine objektiv wahrnehmbare Belebung des öffentlichen Raumes.

Diese Faktoren ziehen ihrerseits neue Bevölkerungsgruppen an (Studierende, raumsuchende Kreative…) und befördern damit die Erneuerung der Stadt.

DAS GEBIET: Zwischen Bar und Beet
Das Gebiet rund um die „Siemensgründe“ zwischen Alte-Post-Straße und Wagner-Biro-Straße wird von der Rasterstruktur des ehemaligen Kasernenviertels westlich des Bahnhofes bestimmt. Reste gewerblicher Nutzung funktionieren hier Seite an Seite mit Rotlichtbetrieben, Büros und Schrebergärten. Im westlichen Teil befindet sich die Remise II der Grazer Verkehrsbetriebe. Es gibt einen großen Parkplatz für die Bediensteten der Siemens-Fahrzeugtechnik.

Im Zuge der Umstrukturierung des Hauptbahnhofes als Nahverkehrsdrehscheibe wird nun für die Straßenbahnlinien 3 und 6 in diesem Gebiet eine Endhaltestelle mit Umkehrschleife eingerichtet und in der Verlängerung der Achse Daumgasse – Wasserturm (erbaut 1921) wird ein Personentunnel zum Bahnhofsvorplatz geführt werden. Dadurch wird das Gebiet eine neue Aufmerksamkeit erfahren.

DAS ERGEBNIS: Die Kleeblattgründe
Die Gruppe aus 15 Studierenden entwickelte ein Stadtgebiet mit 370 WE (für +/- 1.000 EinwohnerInnen). Die mögliche Bruttogeschoßfläche (BGF) wurde zu 86% ausgenützt, Outdoor-Ergänzungsflächen für jede Wohnung wurden gestaltet und 3,8 ha allgemein zugänglicher Grünraum geschaffen.
Städtebauliches Konzept (Ergebnis der Gruppenarbeit):
Das Gelände wird in der Draufsicht in 12 Baufelder mit organischer Geometrie gegliedert. In den Zwischenräumen entsteht somit ein netzartiges Grünraum- und Verkehrskontinuum. Zusätzlich werden die Geländehöhen modelliert. Die Niveaugestaltung ergibt eine Gliederung des Öffentlichkeitsgrades der einzelnen Bereiche. Die Verkehrswege liegen auf dem Nullniveau und stellen den Normalfall von „Öffentlichkeit“ dar. Von dort aus sind die tiefer gelegenen Grünflächen und Plätze gut einsehbar. Die zu den Wohnungen gehörenden Flächen liegen hingegen oberhalb der Nullebene und entziehen sich dadurch teilweise dem Einblick von der Verkehrsfläche. So werden die Erdgeschosszonen für das Wohnen nutzbar. An den Kreuzungen des Wegenetzes stehen Bäume.
Am Wasserturm (am Bahngelände) entsteht eine Piazza, als Entreé zum Gebiet, vom Hauptbahnhof kommend.

Die neue Endhaltestelle für die Linien 3 und 6 werden im Nordwesten des Gebietes, in der Nähe des Sparmarktes als Ergänzung des schon vorhandenen kleinen Subzentrums angeordnet.
Der Individualverkehr wird rund um das Quartier geführt. Die Parkierung für jeweils 3 Wohnprojekte in Sammelgaragen komprimiert. Entlang der Eggenbergerstraße sind Alleebäume vorgesehen sowie ein erhöhter Park und zwei Bürogebäude.

Die 14 individuellen Wohnbauprojekte mit durchschnittlich 25 Wohneinheiten (d=1,13) bieten einen reichen Wohnungsmix - vom Großfamilienwohnen (z.B. MigrantInnen) über Singlewohnen, StudentInnenwohnen, Wohnen+Arbeiten, etc.

Jede Wohneinheit hat eine Aktivitätsmöglichkeit außerhalb der eigenen vier Wände als Outdoor-Ergänzungsfläche, die Neuinterpretation von Kleingärten. Die Ideen reichen von Grillplätzen über Beete, Kleintiergehege, Werkstätten, Liegewiesen, Lernnischen bis zu Gemeinschaftsteich, Künstlerhaus und Sportfeld.

So könnte ein Quartier für Menschen entstehen, die sich in der Stadt wohlfühlen können, je nach Lebensabschnitt innerhalb des Quartiers ihre Wohnsituation wechseln, in dem es zwischen den privaten und den öffentlichen Räumen eine Vielzahl von Übergangszonen und Interaktionsbereichen gibt. Ausgehend von dieser hohen Dichte an sozialen Bezügen entsteht Identifikation und Verantwortung.

STUDIERENDE:
Verena Auer, Doris Becker, Eva Beyer, Selma Catic, Philipp Dobrowsky, Hannes Haas, Adnan Halilovic, Marianne Heiling, Daniela Klappacher Michael Novak, Hermina Orascanin, Marie-Christine Sauer, Anna Magdalena Vukan, Reinhold Weinberger, Christina Windisch

Leitung: Jördis Tornquist
Gastkommentator/innen: Carita Merenmies und Johannes Fiedler
Schlusskorrektur: Marlies Nograsek, Wolfgang Purt und Johannes Fiedler

Zeitgleich wurde im Auftrag der Stadt Graz eine Studie ("Entwicklungskonzept Bahnhofsviertel, Graz") erarbeitet, die nun für uns als interessanter Vergleich herangezogen werden kann (siehe LINK).

JÖRDIS TORNQUIST
Studium und Diplom an der Architekturfakultät der TU Graz
Bürogemeinschaft mit Johannes Fiedler (fiedler.tornquist arch+urb, Graz)
Seit 2008 Mitglied des Gestaltungsbeirates Bahnhofsvorplatzes Graz, Nahverkehrsdrehscheibe
KONTAKT: tornquist@arch-urb.at

Verfasser/in:
Jördis Tornquist, Bericht
Netzwerktreffen
16. + 17.11.2023
 
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