16/10/2007
16/10/2007

Die Diskussion zur Ausstellung fand inmitten der gezeigten Bilder statt.

Am Podium (v. li.): Otto Kapfinger, Gerrit Confurius, Gabu Heindl (Moderation), Klemens Ortmeyer, Karin Tschavgova, Martina Löw und Riklef Rambow.

Gerrit Confurius, 1989 Redakteur der Architekturzeitschrift „Bauwelt“; 1992 Chefredakteur der zweisprachigen Zeitschrift für Architektur und Kunst „Daidalos“, bis zur Einstellung 2000. Seitdem freier Journalist und Autor, Vorträge, Lehrveranstaltungen, Kongresse, Ausstellungen. Veröffentlichungen; D

Otto Kapfinger, freiberuflicher Architekturforscher und -kritiker und Autor zahlreicher Publikationen zur österreichischen Architektur im 20. Jhdt. Er war u.a. Rezensent der Tageszeitung „Die Presse“, Mitbegründer der Architekturgruppe „Missing Link“; Wien

Links im Bild: Martina Löw, Hochschullehrerin an der TU Darmstadt für Soziologie, zuvor TU Berlin, Martin-Luther Universität Halle-Wittenberg, Institut für Sozialforschung Frankfurt/M., Gastprofessuren und Fellowships in Wien am IFK, Paris und St. Gallen. Forschungsschwerpunkte: Stadt, Geschlecht, Raum. Rechts im Bild: Riklef Rambow, Psychologe; wiss. Ass. am Lehrstuhl Theorie der Architektur der BTU Cottbus mit den Arbeitsgebieten Architekturwahrnehmung, Gebäudeevaluation, Architekturvermittlung. Fotos. Florian Lierzer

Links im Bild: Klemens Ortmeyer, freiberufl. Architekturfotograf, Braunschweig (D). Von 1999 bis 2003 Lehraufträge für Architekturphotografie an der FH Oldenburg und der FH Hildesheim. Seit 2002 Aufbau der Onlinebilddatenbank www.phoon.de als Netzwerkprojekt. Rechts im Bild: Karin Tschavgova, Architekturpublizistin und -vermittlerin, Graz. Sie ist freie Journalistin für Fachmedien, verfasste zahlreiche Buchbeiträge und schreibt regelmäßig im Feuilleton der „Die Presse“ über Architektur. Sie war drei Jahre lang leitende Redakteurin der Zeitschrift „zuschnitt“ und hatte 2004 die inhaltliche Redaktion von www.gat.st inne.

Bericht von der Diskussionsrunde zur Ausstellung „Architektur 24/7 - eine alltägliche Beziehung", die noch bis 13.11.2007 im HDA Graz zu sehen ist und von steirischen ArchitektInnen abgelichtete Projekte im Gebrauch zeigt (GAT berichtete).

Am 10.10.2007 wurden im HDA Graz das Thema der Ausstellung und die gezeigten Bilder mit einer ExperteInnenrunde und dem Publikum diskutiert. Dabei ging es vor allem um die in der Beschreibung zur Ausstellung gestellte Frage, ob rückblickende Repräsentationen auf den alltäglichen Umgang mit Architektur, auf Formen ihrer Aneignung durch ihre BenutzerInnen, auf die Konzeption und Produktion von Architektur rückwirken können. Am Podium saßen Gerrit Confurius (freier Journalist und Autor), Otto Kapfinger (Architekturforscher und –kritiker; Wien), Martina Löw (Hochschullehrerin an der TU Darmstadt für Soziologie), Klemens Ortmeyer (Architekturfotograf; Braunschweig), Riklef Rambow (Architekturpsychologe; wiss. Ass. am Lehrstuhl Theorie der Architektur der BTU Cottbus) und Karin Tschavgova (Architekturpublizistin und -vermittlerin, Graz). Moderiert wurde der Abend von Gabu Heindl.

Nach einer (etwas zu lang geratenen) Vorstellungsrunde der TeilnehmerInnen folgten Kurzstatements und die Diskussion. Elisabeth Lechner war im Publikum und hat einige der wichtigsten Beiträge wie folgt festgehalten:

Gerrit Confurius bezeichnete es als ein Problem, dass man als ArchitektIn mit seiner Architektur nur bis zur Fertigstellung und zur Erstellung der fotografischen Momentaufnahme vor der Inbesitznahme durch NutzerInnen zu tun habe und schlug vor, die Fertigstellung als einen Prozess zu sehen, bei dem es so etwas wie eine Anprobe gibt. Nach der ersten Phase der Aneignung solle, so meinte Confurius, die Möglichkeit zum Nachbessern und Reagieren bestehen, eine Anregung, die auch Riklew Rambow in einem späteren Gespräch mit GAT noch einmal gab. Confurius brachte das Beispiel der geplanten Stadt Brasilia, wo die Architektur O. Niemeyers langsam mit der Architektur der BenutzerInnen aufgefüllt worden ist. Weiters thematisierte er die heutige „hysterische“ Furcht der ArchitektInnen, in der Masse zu versinken, während bei historischer Architektur Straßenzüge aus sehr ähnlichen Häusern bestehen, diese deshalb aber baukulturell nicht weniger interessant sind. Confurius meinte, Architektur sei nicht vorrangig dem Individuum verpflichtet, sondern solle auf kollektive Bedürfnisse antworten.

Die Darstellung von Architektur im Vorfeld über Simulationen oder nach der Fertigstellung über Hochglanzfotografie stellt für Martina Löw heute einen zu großen Wertmaßstab dar. Bei der Einladung zur Podiumsdiskussion im Rahmen der Ausstellung ist ihr der Gedanke gekommen: „Jetzt wollen die Architekten auch noch den Alltag ins Bild setzen.“ Das Ergebnis der Ausstellung zeigt ihr aber, dass das gescheitert ist. Es gibt für Löw keinen lehrenden Blick, wie man sich Architektur anschauen soll.

Rambows Ansatz der Beschäftigung mit Architektur und Alltagstauglichkeit geht zurück auf die 1960er Jahre, wo es darum ging, den Gebrauchswert von Architektur mittels „post occupancy evaluation“ zu erhöhen und die Ergebnisse dieser sozialwissenschaftlichen Analysen in die Ausbildung zurückzuspeisen, einen Lernzyklus zu schaffen. Obwohl es diese Methode gibt, werde sie laut Rambow im Bereich Architektur noch immer nicht eingesetzt. Für ihn zeigt die aktuelle HDA-Ausstellung eine impressionistische Herangehensweise. Er bezweifelt, dass man daraus etwas lernen könne.

Auf die Frage von Gabu Haindl, ob es überhaupt Ziel sei, den Gebrauchswert von Architektur zu studieren und die Erkenntnisse in die Produktion zurückzuführen oder das nicht auch Gefahr bedeute, meinte Karin Tschavgova, dass weder Architekten noch Politiker an derlei Studien und Erkenntnissen interessiert seien. Für Löw sind Architekten sehr wohl daran interessiert, sie könnten den Gebrauchswert jedoch nicht selbst erheben, dazu bräuchte es sozialwissenschaftliche Disziplinen. Rambow zeigte sich überzeugt davon, dass zur Erfassung der Alltagstauglichkeit von Architektur das Medium Fotografie vollkommen ungeeignet sei und es vielmehr einer wissenschaftlichen, architekturbezogene Forschung bedürfe, alles andere erscheint ihm naiv.

Die Zeit lief an diesem Abend wieder einmal davon. Leider konnten somit viele interessante Aspekte zum Thema nur angerissen und nicht vertiefend behandelt werden. Das Podium war jedenfalls mit einem Mix aus anerkannten ExpertInnen verschiedener Disziplinen, wohl durchdacht besetzt. Es bleibt zu hoffen, dass die Diskussion zu Architektur und Alltagstauglichkeit auf diesem Niveau weitergeführt wird.

AUSSTELLUNGSDAUER:
Die Ausstellung „Architektur 24/7 - eine alltägliche Beziehung“ ist noch bis 13.11.2007 im HDA Graz, Engelgasse 3-5, jeweils von M – Fr, in der Zeit von 10.00 – 18.00 Uhr zu sehen.

Das Ausstellungskonzept stammt von Gabu Heindl und Markus Bogensberger.

In Kooperation mit dem steirischen herbst 2007 und mit freundlicher Unterstützung der Kammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten für Steiermark und Kärnten und Radio Helsinki.

KONTAKT:
Haus der Architektur
T 0316 / 32 35 00 – 12
office@hda-graz.at

Verfasser/in:
Elisabeth Lechner, Bericht
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