07/06/2019

Architektur wohin das Auge reicht – und auch das Ohr

Martin Grabner zu den am 24. und 25. Mai abgehaltenen Architekturtagen 2019

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07/06/2019

Großer Andrang im und vor dem Haus der Architektur beim Eröffnungsfest der Architekturtage 2019. ©: Clara Wildberger, HDA Graz

UDINEw aren eine der 'ZT-Bands', die das Fest rockten. ©: Clara Wildberger, HDA

Zu Gast bei… Gangoly & Kristiner Architekten, wo Hans Gangoly über Wohnbau sprach… ©: Martin Grabner

… und bei Eva Kuss (coabitare), die den bevorstehenden Umbau der Feuerwehr am Lendplatz vorstellte. ©: Martin Grabner

Commod House luden in ihr neues Büro am Geidorfplatz… ©: Martin Grabner

… und Martin Strobl zu einem Gespräch auf architektonisch gedecktem Besprechungstisch. ©: Martin Grabner

In diesem liebevoll restaurierten Wohnwagen kann man in Alfred Brambergers 'Frederics' im Stadtzentrum indoor-campen. ©: Martin Grabner

Nicole Lam (Lam Architektur) führte durch die außergewöhnlichen Zimmer des zukünftigen Hotels am Kaiser-Franz-Josef-Kai. ©: Martin Grabner

Leopold Bude, Murseitige Verbauung der Sackstraße / Kaiser-Franz-Josef-Kai, Graz, 1890.

©: Sammlung GrazMuseum

Die beeindruckende Baustelle des Umbaus der Universitätsbibliothek Graz mit Altbestand, dem 90er-Jahre Zubau von Domenig und der neuen, weit auskragenden Erweiterung (Architektur: Thomas Pucher). ©: Martin Grabner

Die Architekturtage 2019, die am 24. und 25. Mai österreichweit stattfanden, standen in der Steiermark dieses Jahr noch mehr im Zeichen der unmittelbaren Begegnung mit der Architektur als in den letzten Jahren. Das Begehen und Begreifen von gebauter Architektur, das Gespräch und das gemeinsame Getränk mit den Architektinnen und Architekten wurde vom Haus der Architektur ins Zentrum gestellt um sich dem Thema Raum macht Klima zu nähern. So entschied sich auch der Autor dieser Zeilen, nicht an einer der sechs angebotenen Touren in Graz, der Steiermark oder sogar nach Slowenien teilzunehmen, sondern, ganz unspektakulär und völlig subjektiv, einige der offenen Ateliers und offenen Häuser zu besuchen. Back to the roots also.

Ein wenig erschwert wurde das durch das lange Architekturtage-Eröffnungsfest am Vorabend, auf dem 'ZT-Bands' im HDA in einem Konzertreigen bewiesen, dass sich Architektinnen und Architekten nicht nur mit Raum und dessen visuellen Qualitäten beschäftigen, sondern sich auch im akustischen Raum gut behaupten können. Nach Auftritten der musikalisch vielfältigen Formationen Trick Harp, the snearch, Keine Angst!, UDINE, Michael Vatter & Band und Killa Marilla, die alle fast vollständig aus Architekturschaffenden bestehen und denen durch die offenen, raumhohen Schiebefenster des HDA auch vom Südtirolerplatz gelauscht werden konnte (also doch wieder Architektur) beschallte Martin Lesjak von INNOCAD und gleichzeitig eine Hälfte der Doctors on Decks das HDA.

Bei strahlend schönem Wetter stellte sich am Freitag zunächst die Qual der Wahl. 26 Ateliers öffneten steiermarkweit die Türen, der Großteil in Graz: zu Kurzpräsentationen von Projekten, Büroeröffnungen oder Informationsveranstaltungen wie etwa Burkhard Schelischansky vom Büro SüdOst zum Thema gemeinschaftliches Bauen in Baugruppen. Ebenfalls dem Thema Wohnen widmeten sich Gangoly & Kristiner Architekten, wo Hans Gangoly einen Einblick in die Herausforderungen des Wohnbaus im Spannungsfeld von zunehmend dichter werdenden Städten und stetig steigendem Kostendruck gab. Und wie das Büro versucht den zukünftigen BewohnerInnen trotz des Kostendrucks das wesentlichste zu bieten: ein Zuhause mit dem sie sich identifizieren können. Einen Ort der Erinnerung vieler GrazerInnen bearbeitet derzeit Eva Kuss von coabitare: Die Berufsfeuerwehr am Lendplatz bekommt im Rahmen einer Sanierung eine neue Fassade, die dem Bauwerk der Werkgruppe Graz die Ensemblewirkung zurückgibt, die es mit den fast permanenten Umbauten seit den 1970er Jahren verloren hatte.
Die jungen ArchitektInnen von Common House feierten ihr neues Büro und gaben bei dieser Gelegenheit Einblick in ihr Konzept des modularen Bauens: Sie errichten ökologische und flexibel planbare Häuser aus Holz, die mit ihren BewohnerInnen mitwachsen können: sollte es eine Veränderung der Lebenssituation erfordern wäre sogar ein Zubau oder Umzug des Hauses binnen weniger Tage möglich.
Ebenfalls viel mit Holz arbeitet Architektur Strobl, in deren Büro – übrigens genau wie man sich ein Grazer Architekturbüro vorstellt in einer umgebauten Gründerzeitwohnung – Martin Strobl jr. anhand eines aktuellen gemeinnützigen Wohnbauprojekts auch darüber berichtete, was viele Grazer ArchitektInnen derzeit beschäftigt: den Umstieg auf das Planen in BIM und wie man sich in der Praxis Schritt für Schritt an die Potenziale der unausweichlichen neuen Arbeitsweise annähern kann.

Vielleicht noch besser als mit Architekturschaffenden über Architektur zu reden ist es die Architektur selbst zu erleben. Gelegenheit dazu gab es am Samstag: Von Großprojekten wie dem Med Campus Graz von Riegler Riewe bis zum Haus HGW, einem Einfamilienhaus in Holz- und Strohbauweise von pluspunkt architektur, das nur von einer Solaranlage und einem einfachen Herd geheizt wird und das diesjährige Motto der Architekturtage vielleicht am direktesten verkörpert. Vom Haus Raffael, einem Wohnbau für autonomes und solidarisches Wohnen im Alter von Hofrichter-Ritter Architekten bis zum Jugendzentrum Echo von Bernd Pürstl. Von Pentaplans minimalistisch anmutender Prinzessin Veranda bis zu Alfred Brambergers Frederics – urbanem Wohnen in einem charmant umgebauten 60er-Jahre Gewerbegebäude in einem Gründerzeitinnenhof.
Besonders spannend ist immer auch der Besuch von noch nicht fertiggestellten Objekten, wo sich neben Besuchen der zwei großen Grazer Stadtentwicklungsgebiete Reininghaus und Waagner-Biro auch zwei sehr unterschiedliche Gebäude anboten, die beide im Herbst fertig werden sollen: Die Erweiterung und der Umbau der Universitätsbibliothek der Universität Graz durch das Atelier Thomas Pucher und die Revitalisierung des Hauses mit dem auffallenden Schopfwalmgiebel am Kaiser-Franz-Josef-Kai von Lam Architektur Studio. In mühevoller Kleinstarbeit plante und baut Nicole Lam das stadtbekannte, denkmalgeschützte und zuletzt jahrelang leerstehende Haus zu einem Hotel mit so individuellen Zimmern um, wie man sie sich nur vorstellen kann. Und sie verwandelt die Hofflächen in eine Kaskade von Terrassen, die sich den steilen Hang des Schloßbergs hinaufziehen und neben Wellness und Pool eine unbeschreibliche Aussicht bieten. Es sind aber auch die Erzählungen darüber, was im Laufe der Realisierung eines so speziellen Projekts alles passieren kann, die das Format zu Gast bei… offene Häuser ausmachen: von unvorhersehbaren Felsstürzen und Gewölbeeinbrüchen bis zur Entdeckung von Spuren der BewohnerInnen der letzten Jahrzehnte. Und sogar die Begegnung mit einer solchen, wenn sich eine der Teilnehmerinnen als frühere Bewohnerin zu entpuppt.
Ein beeindruckender Bildungsbau ist die neue Universitätsbibliothek Graz vom Atelier Thomas Pucher, das sich mit einem (nachträglich gesehen) so logischen und radikalen Entwurf im Wettbewerb durchsetzen konnte. Auf das, vom 70er-Jahre Eingangszubau befreite, neoklassizistische Bibliotheksgebäude wird ein zweigeschoßiges Volumen aufgesetzt, das verschiedene Räume für BibliotheksnutzerInnen bietet und unter der 26 Meter weiten Auskragung einen beschatteten Vorplatz schafft. Trotz des schier unendlichen Ausmaßes an Wissen im Netz ist es doch die Architektur die den Wert von Wissen und Bildung für unsere Gesellschaft am besten verkörpern kann.

Raum macht Klima – auf sie viele Arten dass es leider unmöglich ist sie in den zwei Tagen des größten Architekturfestivals Österreichs alle sehen zu können (von den Veranstaltungen in den anderen Bundesländern ganz abgesehen). Aber die nächsten Architekturtage kommen bestimmt und man muss ja nicht unbedingt zwei Jahre warten um sich neu Architektur anzusehen und das Gespräch mit den Architektinnen und Architekten zu suchen.

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