09/03/2017

Rundgänge von Emil Gruber durch aktuelle Ausstellungen in den Kunsthäusern in

Graz und Bregenz

Taumel
Navigieren im Unbekannten
im Kunsthaus Graz
Ausstellungsdauer bis 21.5.2017
 
Rachel Rose
Personale
im Kunsthaus Bregenz (KUB)
Ausstellungsdauer bis 17.4.2017

09/03/2017

Graz: Gruppenfoto des Kuratorenteams zu 'Taumel, Navigieren im Unbekannten'. Katrin Bucher Trantow, Ruth Anderwald, Leonhard Grond, v.l.n.r.

©: UMJ / N. Lackner

Graz: Joachim Koester, 'Tarantism', 2007, Filmstill (Detail), Foto: Joachim Koester, Courtesy des Künstlers und Galerie Nicolai Wallner, Kopenhagen

Graz: Catherine Yass, 'Lighthouse', 2011, Filmstill, Foto: Catherine Yass

Graz: Ben Russell, 'Trypps #7 (Badlands)', 2010, Filmstill, Foto: Ben Russell, Image courtesy of the Video Data Bank, www.vdb.org

Graz: Superflex 'Investment Bank Flowerpots', 2015, © Bildrecht, Wien, 2017, Foto: UMJ/N. Lackner

Graz: Ann Veronica Janssens, 'MUHKA, Anvers', 1997, Needle, Kunsthaus Graz, Blick nach draußen, Foto: Emil Gruber

Bregenz: Eine der fünf Außentafeln des Kunsthaus Bregenz entlang des Bahnhofs, Foto: Emil Gruber

Bregenz: 'A Minute ago', 2014, Filmstill, Courtesy of Rachel Rose, Pilar Corrias Gallery, London und Gavin Brown's Enterprise, New York, © Rachel Rose

Bregenz: 'Everything and More', 2015, Filmstill, Courtesy of Rachel Rose, Pilar Corrias Gallery, London und Gavin Brown's enterprise, New York, © Rachel Rose

Bregenz: 'Everything and More', Installations- ansicht im Kunsthaus Bregenz, Foto: Emil Gruber

Bregenz: 'Palisades in Palisades', 2014, Installationsansicht im Kunsthaus Bregenz, Foto: Emil Gruber

Bregenz: 'A Day in the Life', 2017
, für das Kunsthaus Bregenz entworfene Glasfensterfassade im Erdgeschoß von Rachel Rose, Foto: Emil Gruber

Up and down
and in the end
it's only round 'n round
Pink Floyd: Us and Them, 1994

Rundgänge durch aktuelle Ausstellungen in den Kunsthäusern
in Graz und Bregenz

„I was floating and had no feeling of being in a spacesuit“, erzählt die mit einem Aretha Franklin Song überlagerte Stimme von David Alexander Wolf, während flirrend Filmaufnahmen einer pulsierenden Masse eines Technokonzertes und von schwappenden Wasser eines Simulationswassertanks der NASA ineinander fließen. Am Ende zermahlen sich die Aufnahmen in einem schwarz-weißen Sirup miteinander.
Wolf nahm viermal zwischen 1993 und 2008 an Space Shuttle Missionen teil. Wieder auf der Erde zurück, entdeckte der Astronaut fasziniert seine Körperlichkeit, seine Sinne neu.

Wolfs Eindrücke, sein Umgang mit der Schwerelosigkeit im Orbit und danach stellen das Kernmaterial für die Videocollage Everything and More in der gerade angelaufenen Ausstellung von Rachel Rose im Kunsthaus Bregenz.
Rachel Roses Installationen sind ein Parcours de Force voller miteinander kollidierender Assoziationen. Eigenes Filmmaterial geht mit Found Footage eine aneinander zerrende  Symbiose ein, der Sound dazu wird in mehrere Layer gespalten. Die Bilder- und die Soundanordnungen funktionieren wie die Bestandteile eines Blutkreislaufes. Sie sind dahin strömende, sich miteinander vermengende und dann wieder auseinander driftende Teile, die auf Funktionales und Dysfunkionales im Organismus weisen. Die amerikanische Künstlerin zerfetzt zuerst einmal vorgegebenes Material, um es zu einer widerspenstigen Harmonie wieder zusammenzubauen. Das Neuland der Rose verlangt vor dem Betreten nach Desorientierung und Nervosität.

Taumeln heißt es auch im Kunsthaus Graz. Haben zwar beide Schauen konzeptionell nichts gemeinsam – im Westen die bewusst karg inszenierte, erste Soloausstellung der jungen New Yorkerin in Österreich, im Süden ein dichtes Konglomerat an künstlerischen Auseinandersetzungen mit einem Begriff – so lassen sich doch Berührungspunkte miteinander finden: Irritation, Verpflichtung zur Konzentration für die Mehrfachbelichtungen von menschlicher Bewegung entlang zweifelhafter Sicherheiten und abrupter Unsicherheiten.

Im Grazer Taumel durchzieht der Tanz als tragendes Element die Ausstellung. In Tarantism verflüssigt Joachim Koester seinen Körper durch spastische Bewegungen. Die Tanzwut als Symptom. Die Tanzwut als Therapie. Laura Nakadate tanzt gemeinsam mit ihr völlig fremden Männern in deren Wohnung und erzeugt in Oops! eine verbrauchte, voyeuristische Atmosphäre, die Angst vor Nähe erzeugt. Kranky Klaus von Cameron Jamie reduziert Krampusrituale im Gasteinertal zu rohem Fleisch gewordenen, an Vergewaltigung erinnernden Bewegungsformen, die nur Gewalt und keine Katharsis mehr zu kennen scheinen. Vor dem Video von Catherine Yass fühlt sich der Betrachter als kleines, manövrierunfähiges Boot, bei dem es eine Frage der Zeit ist, wann es an Klippen zerschellt. In Lighthouse schaukelt die Kamera um die Umgebung eines Leuchtturms an der Südküste von England. Sturmvogelgleich kreist sie in unrhythmischen, immer schneller werdenden Bewegungen über und rund um das Objekt, um überraschend ab ins Wasser zu tauchen.

Auch Rachel Rose sequenziert ihre Arbeiten, erzählt sie in unterschiedlichen Geschwindigkeiten immer neu. Ein Hagelschauer zu Pink Floyd Klängen vertreibt am Beginn von A Minute Ago hektisch Badende von einem Strand in Sibirien, dann fließt eine schemenhafte Gestalt geisterhaft durch das Glass House von Philip Johnson. Der Architekt selbst, wiederauferstanden und von einer Steve Reich Komposition ummantelt, erzählt nochmals: „I don’t take it from Mies.“ Nach und nach bedroht die anfängliche Naturgewalt metaphorisch auch dieses Haus, bis alle Bilder in einem visuellen Overkill a la Michelangelo Antonioni explodieren. Johnson betonte immer wieder, dass ein niedergebranntes Dorf, bei dem nur Böden und Kamine übrig blieben, ihn zu seinem gläsernen Stahlkäfig inspirierte.

In Graz nähert sich Taumel der Architektur durch Modelle von Zentralen großer, weltweit operierender Banken. Investment Bank Flowerpots von Superflex wechselt das Suchtmittel Geld in reale Drogen. Statt Gewinne in den Geschäftsräumen sprießen Peyote-Kakteen und andere Pflanzen mit halluzinogenen Inhaltsstoffen aus den Häusern: Der Börsenmakler als moderner Schamane, der den Rausch nach Geld als Monument von Macht verwaltet und verteilt. Ben Russell, er sieht sich selbst als psychedelischer Ethnograf, verarbeitet ein Drogenerlebnis auch zu einem politischen Statement. Er dokumentiert die langsame Veränderung im Ausdruck einer Frau während ihres LSD-Trips in den Badlands von South Dakota. Diese unwirtliche Gegend war ein Ort des Widerstandes der indigenen Bevölkerung und Schauplatz zweier großer spiritueller Treffen gegen die weißen Eroberer im 19. Jahrhundert. Eines dieser Treffen führte 1890 direkt in das Massaker an den Sioux Indianern durch die US-Kavallerie bei Wounded Knee.

Den amerikanischen Unabhängigkeitskrieg verarbeitet Rachel Rose in ihrer dritten großen Installation Palisades in Palisades. Am Hudson River in New Jersey, am ehemaligen Standort des ursprünglich von den Amerikanern gehaltenen Fort Lee, das Schauplatz der größten Niederlage der späteren USA war, erzeugt die Künstlerin durch Makroaufnahmen von ihrer Haut und von historischen Gemälden ein Gefühl von Beklemmung, gibt eine Ahnung, wie Schlachtengetümmel einmal abliefen. Das Individuelle verliert sich in der Maschinerie des Krieges.

Buchstäblich sich verlieren können alle, die es wollen, zu bestimmten Zeiten in der Needle des Kunsthauses Graz. MUHKA der in Folkestone geborenen Ann Veronica Janssens transportiert das Wetter an den englischen Steilküsten nun in den Süden und hüllt den Raum in einen undurchdringlichen Kunstnebel.

Um mit Pink Floyd zu enden:
Down and out 

It can't be helped but there's a lot of it about. 

With, without.

Terminempfehlungen

Netzwerktreffen
16. + 17.11.2023
 
GAT+