17/06/2014

Der Nachruf wurde am 17. Juni 2014 von Ute Woltron verfasst.

GAT durfte ihn mit freundlicher Genehmigung der Autorin veröffentlichen.

17/06/2014

Fernsehsessel Prototyp 1968

©: Helmut Richter

Helmut Richter war der Schrat der österreichischen Architektur. Er war völlig kompromisslos, unberechenbar und stets auf Witterung nach dem Neuen, dem Einfachen und dem Besten. Er war also genau das, was die Architektur brauchte, um vorwärtszukommen.

So wie der Mensch ist, so sind auch seine Taten. Wäre zum Beispiel Helmut Richter eine Fabrik gewesen, so hätte er mit minimalen Mitteln feinmechanische Instrumente produziert, auf tausendstel Millimeter genau. Wäre er ein Tier gewesen, so wäre er als Fregattvogel in den Lüften gekreist, denn der verfügt über das extremste Verhältnis zwischen Körpergewicht und Flügelspannweite von allen Vögeln und bedarf nur ganz weniger Fische, um seine grazile Konstruktion zu nähren. Zum Glück war Helmut Richter aber Architekt, deshalb machte er Häuser, und die waren stets so außergewöhnlich und von so komplizierter Einfachheit wie er selbst.

Der Architekt, der in Wien lebte und arbeitete, war eine der kantigsten Persönlichkeiten, die die österreichische Baukünstlerschaft bevölkerten. Das schlug sich nicht nur in den liebenswerten und bizarren Schnurren nieder, die man sich über ihn erzählt, sondern vor allem in dem Beitrag, den er über viele Jahre für die Architekturszene leistete. Der setzte sich einerseits aus seiner Lehrtätigkeit an der TU Wien zusammen, wo er die Jungspunde der Branche in die Geheimnisse von Form und Konstruktion einweihte und keineswegs von der Wildheit befreite, die für viele anderen Professoren eine zu schräge Strebe im Persönlichkeitskonstrukt der Studenten ist. Andererseits waren seine Gebäude stets ganz und gar ungewöhnlich, insbesondere was Materialwahl und Konstruktion anbelangt. Was Richter seinen Studenten beizubringen versuchte, nämlich mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln möglichst sparsam und klug umzugehen, setzte er selbst unter großer Anstrengung und Selbstausbeutung mit seinen international vielbeachteten Projekten um, wie dem Lärmschutzhaus in der Brunnerstraße oder der Schule im XIV. Bezirk Wiens.

Dabei schöpfte er nicht nur aus dem üblichen Baustoffangebot, sondern schaute sich in den Materialmusterbüchern und auf den Baustellen der Industrie um. Und er nahm nicht die erprobten statischen Systeme zur Grundlage seiner Häuser, sondern berechnete gemeinsam mit Bauingenieurbüros neue, kühnere und gegebenenfalls preiswertere Varianten. Kurzum: Helmut Richter war das Gegenteil des etablierten, ruhigen Gebrauchsarchitekten. Er war einer derjenigen, denen Architektur nicht Geschäft sondern Mission ist. Davon gibt es in Österreich zwar gar nicht so wenige, doch kaum einer ging der Suche nach dem Neuen, dem Unerprobten, dem Noch-Besseren, Noch-Schlaueren verbissener nach als der schmale, scheue Mann aus Wien.

Zu seinen Gebäuden pilgerten regelmäßig Scharen von Studenten und Kollegen, das war so üblich, wenn der Richter wieder irgendwo was gebaut hatte. Dass einem Architekten, der derart sorgfältig plant und jedes Detail millimetergenau dimensioniert, vom Honorar so gut wie nichts bleibt, wissen nur die Wenigsten. Wie man solchermaßen überlebt? "Ganz schlecht", meinte er nur. Und warum man sich das dann überhaupt antue? "Weil es wichtig ist, dass was weitergeht."

Richter stammte aus dem Ort Ratten in der Steiermark. "Aufgewachsen bin ich im Wald", sagt er in einem Gespräch vor langer Zeit. Dort stand neben Bäumen auch ein Kohlebergwerk samt den dazugehörigen Maschinerien und Werkstätten. Das Industrieklima, wo Gerät und Bau möglichst ökonomisch, möglichst einfach sind, hatte ihn geprägt. Wie auch der Zeichenlehrer, der seine Schüler in den 1950er Jahren mit Bildern von Le Corbusiers Kirche von Ronchamp faszinierte. "Eigentlich wollte ich dann Künstler werden, hab mich aber nicht getraut und wurde deshalb Architekt." Dem Studium in Graz folgten Jahre in Kalifornien und in Paris. Dort wurde damals gerade das Centre Pompidou gebaut, Richter kannte alle Mitarbeiter von Rogers und Piano, wohnte im selben Haus. Zurück in Wien verblüffte er mit Projekten wie dem Haus Königseder, wo er Paraschalen aus dem Industriebau als Dachelemente einsetzte, oder einem Badezimmer, das er komplett mit Nirosta auskleidete.
 
Vieles dessen, was dieser Ausnahmearchitekt plante und baute, wurde kopiert und ging in den allgemeinen Architekturgebrauch ein. Helmut Richter war eine der ganz wesentlichen Architekturpersönlichkeiten der vergangenen Jahrzehnte. Jetzt ist er nach langer, schwerer Krankheit gestorben.

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