19/10/2022

Bedürfnisorientiertes Bauen und Wohnen

Wohnbau.Dialog #7 im HDA

Das Institut für Wohnbauforschung lädt im Rahmen der Reihe Wohnbau.Dialog Steiermark die vielen Akteur*innen, die sich dem Thema Wohnen innerhalb ihres Aufgabenbereichs widmen, ein, miteinander in Dialog zu treten. 

19/10/2022

Andrea Jany Institut für Wohnbauforschung – wohnbaudialog #7

©: Helena Oberholzer

Bernhard Hohmann, Institut für Wohnbauforschung – wohnbaudialog #7
©: Helena Oberholzer

Rafaela Walter Bachmann von Cambium Steiermark – wohnbaudialog #7

©: Helena Oberholzer

Dagmar Kotzmuth, Gründerin "dahir" – wohnbaudialog #7

©: Helena Oberholzer

Reinhard Schinner, Abteilung für Zukunftsentwicklung, Arbeitsmarkt und Wohnbau der Kärntner Landesregierung – wohnbaudialog #7

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Thomas Höflehner, Institut für Wohnbauforschung, mit Beteiligten – wohnbaudialog #7
©: Helena Oberholzer

Andrea Jany und Beteiligte – wohnbaudialog #7

©: Helena Oberholzer

Alte Bekannte, neue Gesichter

Am Montag, dem 03.10., einem lauwarmen und idyllisch schönen Spätsommertag in Graz, laden Andrea Jany, Thomas Höflehner und Bernhard Hohmann vom Institut für Wohnbauforschung zum siebenten Wohnbau.Dialog ins Haus der Architektur ein. In dieser Reihe von Veranstaltungen soll ein „dauerhafter Lern- und Kommunikationsprozess zwischen den vielen Akteur*innen“ im Aufgabenbereich des Wohnbaus initiiert werden, lautet die Erklärung auf der Homepage des Instituts. Nicht nur die Temperaturen draußen an diesem Tag sind angenehm, auch die Gesellschaft im Inneren ist es. Wenn das Thema Wohnbau in Graz diskutiert wird, hat man immer das Gefühl, alte Bekannte zu treffen. Der Wohnbau.Dialog fügt der eingeschworenen Runde aber durch eine interessante Auswahl an Vortragenden auch neue Gesichter hinzu. Demzufolge sitzen an diesem Nachmittag Vortragende und deren Begleiter*innen im Publikum, die im alltäglichen Beruf nicht als Architekt*innen tätig sind.

Steigende Mieten, offene Ohren

Die erste Rednerin, die nach der Begrüßung durch Andrea Jany ihren Impulsvortrag hält, ist die studierte Architektin und als Immobilienverwalterin tätige Dagmar Kotzmuth. Sie hat mit ihrem Mann Georg Kotzmuth vor fünf Jahren das Unternehmen „dahir“ gegründet, dessen Aufgaben sie als das Tätigkeitsfeld einer Hausverwaltung beschreibt, das um die Mediation zwischen den Parteien erweitert wird. Damit das gelingt, behandeln sie mit „dahir“ soziale und monetäre Anliegen gleichgestellt, in Form eines „solidarischen Gesamtmiet- beziehungsweise Gesamtrendite-Modells“. Auf diese Weise werden persönliche Belange der Mieter*innen, aber auch geschäftliche Forderungen der Vermieter*innen berücksichtigt. Dagmar Kotzmuth erzählt in dem Zusammenhang von einer 83-jährigen Mieterin in einem von ihnen verwalteten Wohnhaus, die aufgrund der aktuellen Teuerungen eine Erhöhung ihres Mietzinses nicht finanzieren kann. Frau Kotzmuth und ihr Mann haben die soziale Situation der sechzig Mieter*innen im betroffenen Objekt neu bewertet und dem Eigentümer den Vorschlag gemacht, die Miete der alten Frau nicht zu erhöhen, sondern dies über die anderen Mieten auszugleichen. Mit der Begründung, dass sie in der Hausgemeinschaft einige Aufgaben übernimmt, die jenen einer Hausbesorgerin gleichkommen. Die Mieterhöhung in dieser Hausgemeinschaft ist dann tatsächlich an die jeweilige soziale Situation der Mieter*innen angepasst worden, die alte Mieterin kann bleiben und der Eigentümer erhält dennoch ausreichend Mietzins.

Leben in Gemeinschaft, leben mit Krisen

Noch weitreichendere Aufgaben in der Gemeinschaft als die alte Dame übernehmen die mittlerweile mehr als 60 Menschen, die vor fünf Jahren gemeinsam die ehemalige Hadik-Kaserne in Fehring in der Oststeiermark bezogen haben. Die Initiative „Leben in Gemeinschaft“ und das „Cambium Community Project“ haben sich im Rahmen ihrer Suche nach einem Modell zum kollektiven Zusammenleben beziehungsweise bei der Erforschung dieses Themenbereichs kennengelernt und sich dazu entschlossen, die leerstehende Kasernenanlage zu bewohnen und im Zuge dessen zu revitalisieren und die umliegenden großen Wald- und Wiesenflächen zu nutzen. Die Adaptierung des Hauptgebäudes, um dort Wohneinheiten zu konfigurieren sowie die Neunutzung mehrerer Hallen als Veranstaltungs- und Werkstättenräume und die Bewirtschaftung einer Bio-Landwirtschaft inklusive Tierhaltung auf dem insgesamt 16 Hektar großen Gelände verlangen allerdings einen äußerst engagierten Einsatz aller Gemeinschaftsmitglieder, durchschnittlich im Umfang von 7–10 ehrenamtlichen Stunden pro Woche. Mittlerweile, so erzählt Rafaela Walter Bachmann in ihrem Vortrag, stoße man dabei aber an persönliche Grenzen. Sie selbst lebt in der Kaserne, wendet oft deutlich mehr als die angegebenen Stunden pro Woche auf und spricht über diese aktuelle Krise als eine wichtige Erkenntnis für die Bewohner*innen. Man muss die Struktur jetzt schrittweise anpassen. Prinzipiell organisiert sich die große Gruppe soziokratisch, ein beliebtes Modell bei gemeinschaftlich organisierten Projekten. Dabei geht es im Wesentlichen darum, einzelnen Gruppen Kompetenzen zuzusprechen und ihren Mitgliedern das Vertrauen zu geben, diese Aufgaben im Sinne der Gemeinschaft zu betreuen. Es liegt vermutlich an dieser Verwaltungsform und den involvierten Personen, dass eine Krise, wie Rafaela Walter Bachmann sie beschreibt, nicht in erster Linie als Beginn des Scheiterns, sondern als Ausgangslage zur Weiterentwicklung gesehen wird.

Zu viel Bodenverbrauch, Förderung von Baugruppen

Die Abteilung für Zukunftsentwicklung, Arbeitsmarkt und Wohnbau der Kärntner Landesregierung, an diesem Nachmittag vertreten durch den Vortragenden Reinhard Schinner, versucht durch gezielte Förderungen eine Entwicklung voranzutreiben, die in Kärnten laut seinen Angaben noch nicht spürbar angekommen ist. Der Anreiz für Baugruppenprojekte sei die Strategie auf Landesebene, um „Ersatzneubauten“ zu reduzieren. Aufgrund dieser Agenda ist Anfang 2022 eine Förderschiene gesetzlich verankert worden, die auf die Entwicklung und Umsetzung von gemeinschaftlichen Wohnbauprojekten ausgerichtet ist. In drei Phasen werden 1. die Vision und die Architektur, 2. der Erwerb des Grundstücks oder Bestandsobjekts und 3. die Details zur Umsetzung gefördert. Dabei werden den Projektwerber*innen in jeder dieser Phasen externe Berater*innen zur Seite gestellt. Gefördert wird dieser Gemeinschaftsbildungsprozess im Ausmaß von maximal 75%, die restlichen 25% sind aus Eigenmitteln bereitzustellen. Die Ziele des Landes Kärnten in diesem Zusammenhang sind die bessere Nutzung von Boden, Bestandsbauten und Infrastruktur. Das frühzeitige Agieren der Landespolitik – statt auf eine demografische Entwicklung zeitgleich zu reagieren – überrascht und hat Potenzial durch diese erste Testphase wertvolle Erfahrung zu sammeln, die als Grundlage für die Weiterentwicklung des Modells dienen kann – vor allem ohne Zeitdruck.

Tischgespräche 

Im Anschluss an die Vorträge werden an 3 thematisch gegliederten Tischen Gespräche mit den Vortragenden geführt. Am Tisch mit Dagmar und Georg Kotzmuth wird über Immobilienverwaltung diskutiert, wobei noch einmal thematisiert wird, dass die Finanzierung der Leistungen einer konventionellen Hausverwaltung genau kalkulierte und oft gedeckelte Kosten sind, aufgeteilt zwischen Eigentümer*innen und Mieter*innen. Bei den rechnerisch oft nur 120 verfügbaren Sekunden pro Wohnung und Monat bleibt zu wenig Zeit für Lösungsansätze, die sensibel auf individuelle Bedürfnisse eingehen. „Dahir“ versucht durch direkten (beiderseitigen) Kontakt Kosten differenzierter zu beurteilen und umzuverteilen. Dadurch generieren sie laut einer unabhängigen Studie der WU Wien über 4 Euro Nutzen pro investiertem Euro seitens der Eigentümer*innen beziehungsweise der Mieter*innen. Am Tisch mit Rafaela Walter Bachmann sprechen die Teilnehmer*innen der Runde über gemeinschaftliches Wohnen. Neben der Vertiefung einiger Punkte aus dem Vortrag wird die äußerst wichtige Qualität einer Initiative wie jener in Fehring hervorgehoben, dass dadurch auch für den Wohnungsmarkt schwer verwertbare Immobilien einem neuen Nutzen und einer neuen gestalterischen Attraktivität zugeführt werden können. Mit Reinhard Schinner spricht die Runde am dritten Tisch vor allem über vorhandene und wünschenswerte Fördermodelle. Die Wohnbauförderung in ihrer jetzigen Form würde zum Teil innovationshemmende Rahmenbedingungen schaffen. So wäre beispielsweise ein Modell zur Förderung von Clusterwohnformen sinnvoll. Das Land Kärnten versucht mit der im Vortrag vorgestellten Baugruppenförderung eine Nische zwischen Geschosswohnbau und Einfamilienhaus anzubieten. Diese zielt auf eine bestimmte Einkommensschicht ab, die für die Subjekt- und die Objektförderung im Wohnbau zu viel Einkommen haben, für die Umsetzung eines eigenen Projektes aber zu wenig, und dennoch nicht auf eine innovative Wohnform verzichten wollen.

Der siebente Wohnbau.Dialog ist in Anbetracht dieser breit angesiedelten Themen ein gutes Beispiel dafür, wie vielschichtig sich die Wohnbaufrage der Gesellschaft stellt. Deshalb erscheint es wichtig, nicht mit eindimensionalen und monoprofessionellen Ansätzen an sie heranzutreten. Verschränktes gemeinschaftliches Arbeiten könnte ein fruchtbarer Boden für gute Antworten sein und der Wohnbau.Dialog ist ein wichtiger Anstoß dafür.

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dieser Artikel wurde am 3.11. ergänzt

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