05/03/2008
05/03/2008

Best practice: die Futurum Schule in Schweden. Planung: Architekt Jack Pattison, 1997

Best practice: die Futurum Schule in Schweden. Planung: Architekt Jack Pattison, 1997

Motivierte und engagierte LehrerInnen begleiten und unterstützen die SchülerInnen. Foto: Ahlenius

Kinder lernen eigenständig. Wichtig dabei ist das Logbuch mit dem individuellen Lernprogramm. Foto: Ahlenius

Kinder lernen in der Gruppe oder allein – projektorientiert und nach Wochenplänen. Foto: Ahlenius

Foto: Ahlenius

Foto: Ahlenius

Hans Ahlenius: Die Architektur ist Teil des pädagogischen Konzepts. Durch die sinnliche Gestaltung bekommt der Raum eine zusätzliche Lerndimension. Foto: Kanis

Hans Ahlenius: Die Architektur ist Teil des pädagogischen Konzepts. Durch die sinnliche Gestaltung bekommt der Raum eine zusätzliche Lerndimension. Foto: Kanis

Flexible Arbeitsplätze mittels Paravents. Foto: Kanis

Schülerinnen verbringen viele Stunden in der Ganztagsschule und sollen sich hier wie zu Hause fühlen. Foto: Kanis

Hans Ahlenius, Lehrer für Mathematik und Naturwissenschaften, hat die Schule der Zukunft von Anfang an mitgestaltet. „Uns ist es wichtig, das Interesse der Kinder wach zu halten – und das zehn Jahre lang.” Foto: Kanis

Hans Ahlenius, Lehrer für Mathematik und Naturwissenschaften, hat die Schule der Zukunft von Anfang an mitgestaltet. „Uns ist es wichtig, das Interesse der Kinder wach zu halten – und das zehn Jahre lang.” Foto: Kanis

Hans Ahlenius, Lehrer für Mathematik und Naturwissenschaften, hat die Schule der Zukunft von Anfang an mitgestaltet. „Uns ist es wichtig, das Interesse der Kinder wach zu halten – und das zehn Jahre lang.” Foto: Kanis

Hans Ahlenius, Lehrer für Mathematik und Naturwissenschaften, hat die Schule der Zukunft von Anfang an mitgestaltet. „Uns ist es wichtig, das Interesse der Kinder wach zu halten – und das zehn Jahre lang.” Foto: Kanis

Hans Ahlenius, Lehrer für Mathematik und Naturwissenschaften, hat die Schule der Zukunft von Anfang an mitgestaltet. „Uns ist es wichtig, das Interesse der Kinder wach zu halten – und das zehn Jahre lang.” Foto: Kanis

Lageplan der Schule

Grundriss vorher / nachher. Planung: Architekt Jack Pattison

Eine „Schule der Zukunft“ gibt es tatsächlich: im schwedischen Balsta mitten in einem Industriegebiet. In dem weiterentwickelten Gesamtschulmodell der „Futurum Skola“ ist die Architektur Teil des pädagogischen Konzeptes.

Die frühe Trennung (mit 10 und 14 Jahren) in „gute“ und „schlechte“ SchülerInnen, das mäßige Abschneiden beim PISA-Länder-Ranking und der Ruf der Industrie nach qualifizierten Fachkräften sind die wesentlichen Gründe, weshalb in Österreich über Schulreformen diskutiert wird. Während man hierzulande noch in den Startlöchern scharrt und unter dem Titel „Neue Mittelschule“ einen zaghaften, ersten Schritt in Richtung Gesamtschul-Modellversuch macht, passieren andernorts bahnbrechende Entwicklungen. Die schwedische „Futurum-Skola“ im schwedischen Balsta wurde 1997 mit dem Architekten Jack Pattison großzügig umgestaltet und setzt mit einem aufsehenerregenden Gesamtschulkonzept Maßstäbe für die europäische Schulentwicklung. Das Beispiel belegt, dass die Gestaltung des Lernumfeldes, welches mit dem pädagogischen Konzept korrespondiert, einen stark positiven Einfluss auf das Lernverhalten der SchülerInnen haben kann. Gerlinde Knaus und Reimar Kanis waren vor Ort und haben sich für gat.st ein Bild von der Zukunftsschule gemacht. Übrigens wurde die Schule Futurum seit 2002 von über 8.000 Gästen aus 26 Ländern besucht.

Weiter entwickelte Reformpädagogik

Zum Teil wurde auf Erfahrungen der alten Reformpädagogik (wie etwa individuelle Förderung, Wertschätzung der Unterschiedlichkeit von SchülerInnen) zurückgegriffen und für die heutige Zeit weiterentwickelt: Flexibles Projektlernen, Wochenpläne, flexibler Schulstart, Team-Kleingruppen-Arbeit und andere experimentelle Arbeitsformen gehören zum neuen Programm. „Eine Schule mit Frontalunterricht, wo Kinder in Reih und Glied sitzen und von einem Lehrer an der Tafel unterrichtet werden, ist ein Überbleibsel aus der Industrialisierung und längst nicht mehr zeitgemäß“, ist Hans Ahlenius, Projektleiter der Zukunftsschule,überzeugt. „Wir leben in einer Wissensgesellschaft, die durch die Einführung von Computern und Internet neue Herausforderungen an uns stellt.“ Die neue Schule soll die „ungeheuren Möglichkeiten der neuen Technik“ nutzen und die veränderte Gesellschaft widerspiegeln, wobei man sich vom Lernen in einer „industrieähnlichen Weise“ mit Klassenräumen, Frontalunterricht und Unterrichtsstunden verabschiedet hat. Futurum ist ein Ganztagsschul-Modell, das auch Vorschulkindergruppen (eine Art Kindergarten) integriert. Natürlich braucht eine Schule für diese Anforderungen ein spezielles Raumkonzept, das zur ganzheitlichen und flexiblen Pädagogik passt.

Die veränderte Rolle der PädagogInnen

Bei Futurum sind die LehrerInnen Teamspieler - deshalb wurde und wird viel Zeit in gemeinsame Beratungen und in die Erarbeitung von neuen didaktischen Konzepten investiert. Auch unterrichten oft mehrere PädagogInnen zusammen eine Gruppe. In jeder „kleinen Schulen" ist ein großzügiger Aufenthaltsraum nur für die LehrerInnen, dieser bietet eine überraschend gemütliche, wohnzimmerartige Atmosphäre mit Sofa und Rückzugsecke. All das spiegelt den Gedanken wider, dass die „Schule für alle“ ein Wohlfühlort sein soll. „Schließlich verbringen die SchülerInnen und PädagogInnen viel Lebenszeit in der Schule“, weiß Ahlenius. Das Konzept der Gesamtschule ist in Schweden schon seit dem Ende der 1970er Jahre Standard. Es bedeutet, dass SchülerInnen von 6 – 16 Jahren, in eine Schule gehen. Man verzichtet dadurch auf eine frühe Trennung und bietet allen Kindern, unabhängig von sozialer Herkunft und Begabung größere Bildungschancen. Über 90 % besuchen anschließend das dreijährige Gymnasium, um dort das Abitur zu machen. Auf soziales Lernen, das Lernen der SchülerInnen voneinander, wird hier sehr viel Wert gelegt, deshalb gibt es gemischte Altersgruppen nach dem Montessori-Prinzip. „Dabei können wechselweise auch mal ältere Schüler von jüngeren lernen“, schmunzelt Ahlenius.

Sechs kleine Schulen in der großen

Das gesamte Schulgebäude ist in Raumgruppen aufgeteilt, die nach Farben (gelb, orange, pink, rot, grün, blau) benannt sind. Die sechs Bereiche werden „kleine Schulen“ genannt, sie folgen in ihrer Gestaltung dem namensgebenden Farbkonzept. In jeder dieser 1000m² großen Einheiten sind rund 160 SchülerInnen, die von einem Team von 16. LehrerInnen geführt werden. Im Vergleich zu sonstigen Schulen verbringen die PädagogInnen ihre gesamte Arbeitszeit in der Schule, wodurch sie für die Schüler/Innen zu permanenten Ansprechpersonen werden. Verschiedenen Altersgruppen werden gemeinsam in Kleingruppen – nur die drei Hauptfächer Schwedisch, Englisch und Mathematik werden „herkömmlich“ – unterrichtet. In der restlichen Zeit werden verschiedene Themen in unterschiedlichen Gruppen ausgearbeitet und von der Gruppe selbst präsentiert. In der Schule existiert keine Schulglocke, denn es gibt keine fixen Stundenanzahlen und keinen Unterricht im 45-Minuten-Takt.

Individuelles Logbuch

Das Lernpensum wird im Wesentlichen selbst bestimmt, dazu dient ein individuelles „Logbuch“, das von den SchülerInnen eigenveranwortlich geführt wird. Das Logbuch ist das entscheidende Instrument zur Selbstbeobachtung und zur Bewertung des eigenen Arbeitsprozesses. Mit Unterstützung der Betreuungslehrerin lernen die Kinder von Anfang an selbständig lernen. „Nach fünf Jahren schaffen das 85% der SchülerInnen, die restlichen 15% benötigt eben länger“, informiert Ahlenius. Wöchentlich wird das Logbuch von Eltern und Lehrern gegengezeichnet und das Programm für die kommende Woche oder für einen längeren Zeitraum besprochen. Per E-Mail erhalten die Eltern zweimal im Monat von den LehrerInnen einen Bericht über ihr Kind. Die SchülerInnen erhalten bis zur 9. Klasse keine Noten, sondern Lernberichte und auch danach in der Oberschule, die 90 % eines Jahrgangs besuchen, reicht zur Leistungsmessung eine vierstufige Skala aus.

Die Raumgestaltung unterstützt das Lernen

Beim Betreten der Schule fällt auf, dass von den Gängen durch die Fenster und durch die Türen mit Fenstereinheiten direkt in die Unterrichtsräume geschaut werden kann. Der erste Eindruck ist also Transparenz und Offenheit. Die Räume sind recht hoch und sehr hell, sie geben das Licht durch weitere Fenster an die innen liegenden Gänge und Nachbarräume weiter. Einige Räume sind Innenhöfe mit Glasdächern – durch den überraschenden Wechsel des Fußbodens von Linol zu Stein wird die Raumqualität betont. Die Räume sind in Gruppen organisiert und folgen den Farbkonzepten der „kleinen Schulen". Das erleichtert nicht nur die Orientierung, sondern belebt auch die Wahrnehmung. Manche Räume folgen Themen wie Südamerika, Ozeanien oder Afrika - durch Pflanzen und verschiedenes Anschauungsmaterial wird diesen Räumen eine weitere Dimension verliehen. Genauso geben die unterschiedlichen Materialien wie Holz, Glas, Backstein oder Metall in ihrer jeweiligen Zusammenstellung jedem Raum ein eigenes Ambiente. Außen haben die Schulgebäude die für Schweden typische Holzverkleidung, in kräftigen Farben wie rotbraun oder indisch-gelb.

Spielerisch flexibel gestaltbar

Jede der „kleinen Schulen" besteht aus ein Ensemble von Räumen, die sich meist um einen etwas größeren, zentralen Raum, gruppieren. In diesem zentralen Raum ist oft auch eine kleine Bühne. Dort werden manche Inhalte von älteren Schülern für die jüngeren in kleinen Aufführungen vorgestellt. Es geht dabei um eine spielerische Erprobung des Selbstausdrucks und um eine sinnliche Lernqualität. Die Zusammenstellung verschieden großer Räume zu einer Gruppe ermöglicht eine große Flexibilität: Je nach Größe der zu unterrichtenden Schülergruppe, kann ein Raum in optimaler Proportion gewählt werden. Bemerkenswert ist auch, dass die Räume durch die Anordnung der Möbel und durch flexible Raumteiler, jene strenge und starre Ausrichtung verlieren, die uns so typisch für Schulen vorkommt.

In der Schule gilt die Patschenregel

Die SchülerInnen laufen im Innenbereich mit Socken oder Hausschuhen. Für die Gäste gibt es in den Eingangsbereichen, die mit Garderoben ausgestattet sind, Einweg Überzieher aus Kunststoff. Die Patschenregel hat den Vorteil, dass Reinigungskosten gespart werden und dass der Geräuschpegel gesenkt wird. Auch bemerkt man gleich, dass sich die SchülerInnen wie zuhause fühlen, man nimmt keinen Lernstress oder etwa Angst in den Gesichtern wahr. Es gibt auch keine Not mit den Noten, keinen Vandalismus in der Schule Futurum und eine spürbare Harmonie in den Räumen. Die BesucherInnen sind besonders von dem friedlichen Miteinander in der „Schule der Zukunft“ fasziniert.

Fotos: Hans Ahlenius, Gerlinde Knaus, Reimar Kanis

Kurzbiografien der AutorInnen
Mag.a Gerlinde Knaus ist Autorin für Bildung. Sie schreibt für den Zeitschriftenverlag Korso und den Industriemagazin-Verlag. Außerdem bietet sie als Trainerin in der Erwachsenenbildung Muße-Kunst-Seminare für Frauen an. Gerlinde Knaus lebt in Graz.
KONTAKT: gerlinde.knaus@mussekunst.com

Im Zuge ihrer journalistischen Recherchen über Zukunftsschulen ist Gerlinde Knaus auf die "Futurum-Skola" gekommen, die für sie auch eine Lebenskunst-Schule ist.

Reimar Kanis ist freischaffender Kommuniukations-Designer und lebt in Kostheim (D).
http://www.zeitmeer.com

Verfasser/in:
Gerlinde Knaus und Reimar Kanis, Bericht
Netzwerktreffen
16. + 17.11.2023
 
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