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Mag. Siegfried Nagl, Bürgermeister der Stadt Graz
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Interview
Bürgermeister Siegfried Nagl im Interview

Herr Bürgermeister, die Anfrage an Sie für ein Interview erfolgte seitens GAT schon im Herbst 2018, inzwischen hat sich natürlich einiges getan, wie sind die aktuellen Entwicklungen betreffend Masterplan Mur?

Generell möchte ich zu diesem Projekt sagen, eigentlich geht es hier um zwei ökologische Themen und das Spannende ist, dass diese im Besonderen von sogenannten Naturschützern und den Grünen bekämpft werden. Das eine ist, wir reden die ganze Zeit darüber, dass wir auch im Energiebereich wegkommen sollen von den fossilen Energieträgern und so haben wir uns dafür entschieden, dass in einem Fluss, in dem es ja schon eine große Anzahl von Kraftwerken gibt, zu den bestehenden Kraftwerken nördlich (Weinzödl) und südlich von Graz (Gössendorf) ein weiteres in Puntigam hinzugefügt wird. Die Errichtung wird durch das Landesunternehmen Energie Steiermark durchgeführt. Ich sehe das als ein Ökoprojekt, weil ich weiß, dass wir jedes Jahr mehr Strom verbrauchen, auch im Ballungsraum Graz im Besonderen, weil wir täglich nicht nur unsere 325.000 gemeldeten Einwohner mit Haupt- und Nebenwohnsitz hier haben, sondern weil Graz mittlerweile ein wichtiges Wirtschaftszentrum ist, wo wir in Industrie und mit vielen Betrieben sehr gut aufgestellt sind und so viele Einpendler haben, dass sich tagtäglich in der Stadt ungefähr 450.000 Menschen aufhalten, hier studieren und arbeiten.

Es gab aber doch heftige Kritik an diesem Kraftwerksprojekt mit validen Argumenten?
 
Das stimmt, aber daher war mein Angebot immer: Sagt mir als Gegner des Puntigamer Kraftwerks, was kann ich verbessern und ich werde versuchen, das einzubringen. Nicht alles wird mir immer gelingen, aber ich stehe nun einmal zu diesem Projekt. Und das hat mich dann zum Hauptgegner für viele gemacht, letztlich bin ich aber auch für etwas gestanden und die Wahlerfolge zeigen auch, dass man das Rückgrat haben und so etwas durchkämpfen sollte, wenn man sich dazu bekannt hat. Die zweite Geschichte war, dass wir im Zuge der UVP (Umweltverträglichkeitsprüfung Mur-Kraftwerk Puntigam, Anm.)  draufgekommen sind, dass nun auch ein zweites Projekt mit Synergieeffekten in Angriff genommen werden kann, das ist der zentrale Speicherkanal. Schauen Sie, im Urlaub empören wir uns, wenn wir irgendwo an der Adria Häuser sehen, die ihr Abwasser ins Meer leiten, gleichzeitig schwemmen wir durch unser Mischwasserkanalsystem in Graz – wie auch in anderen Städten Europas – bei Starkregen einen Großteil der Schmutzfracht aus unseren Toiletten direkt in die Mur. Das sind auf das ganze Jahr gerechnet in etwa 30.000 Grazer Haushalte, die direkt in die Mur entsorgen.
Ich erkläre Ihnen kurz das technische Prinzip des Zentralspeicherkanals: Im bestehenden Kanalnetz gibt es große Röhren, an deren Seite oder im Boden kleine Rinnsale verlaufen, die bei normalen Bedingungen die Schmutzfrachten in die Kläranlage entsorgen. Bei starken Regenfällen geht das direkt von Überläufen in die Mur hinaus. Die zusätzliche Röhre des Zentralen Speicherkanals speichert das Schmutzwasser und nur das Regenwasser geht direkt in die Mur. Das Abwasser gelangt über den Zentralen Speicherkanal zur Weiterbehandlung direkt in das Klärwerk in Gössendorf, das demnächst um 40 Millionen Euro ausgebaut und erneuert wird. Das EU-Recht sieht übrigens diese Methoden vor, auch wenn es im österreichischen Recht noch nicht angelangt ist, nicht zuletzt weil die damit verbundenen Kosten für die Städte sehr hoch sind. Aber das Murwasser wird dadurch zweifellos viel sauberer.

Wie soll die Gestaltung des Flussraums im Stadtgebiet aussehen?

Fast jede Stadt wird an einem Fluss gegründet, aber die Mur ist in Graz durch die Begradigung im 19. Jahrhundert aus unserem Leben verschwunden. Sie hat sich im Laufe der Zeit tiefer eingegraben und ist nicht mehr Bestandteil des alltäglichen Lebens der Grazerinnen und Grazer. Was wir jetzt tun, ist, dass wir den Bau von Kraftwerk und Speicherkanal nutzen, um den Bewohnern von Graz diesen Lebensraum zurückzugeben und zu ermöglichen, wieder Spaß am Wasser zu haben. Die Mur hatte bis jetzt eine realtiv hohe Fließgeschwindigkeit, die Wassersport großteils unmöglich machte und auch ein Gefahrenpotenzial in sich birgt. Durch das Kraftwerk in Puntigam wird dieses reduziert; das macht es möglich, den Wasserraum zu erleben und für sportliche Aktivitäten und Restaurantschiffe zu nutzen. Die Absenkung im Augarten schafft einen neuen Zugang zur Mur, ähnlich dem Prinzip der Donauinsel in Wien. Das bereits bestehende Kraftwerk südlich von Graz – in Gössendorf – zeigt mit den sogenannten Auwiesen, die gemeinsam mit den Nachbargemeinden entwickelt und von den Menschen zu Erholungszwecken ebenfalls sehr dankbar angenommen werden, neue Nutzungsmöglichkeiten auf (s. Link Auwiesen). Daher wundert es mich, dass manche Fraktionen politisch so sehr gegen diese Projekte vorgehen.

Man muss aber den Kritikern zubilligen, dass es einen ökologischen Impact durch den Verlust von Baumbeständen entlang der Mur gibt, die sich erst in Jahrzehnten wiederherstellen lassen?

Man kann den Baumbestand der Mur gutheißen, aber eigentlich dürfte er gesetzlich gar nicht da sein. In allen anderen Städten – von Laibach, Marburg über Linz bis Wien – gibt es direkt am Fluss keine Bäume wegen Verklausungsgefahr usw. Ich weiß nicht, warum das in Graz seit Jahrzehnten der Fall ist und diese Bäume nicht gefällt wurden. Faktum ist trotzdem, es ist ein durchaus interessanter Baumbestand und Grüngürtel entlang der Mur entstanden. Der wird durch diese aktuellen Eingriffe reduziert, aber anschließend wieder aufgeforstet. Wer selbst einen Garten hat, weiß, in welcher Geschwindigkeit Grünflächen auch wieder neu nachwachsen. So ein Eingriff geschieht schließlich auch nur alle 100 Jahre. Ich verstehe schon auch den Aufschrei mancher, aber trotzdem, es ist ein gutes Gesamtprojekt, das sowohl den Menschen als auch die Tierwelt im Auge hat. Vor eineinhalb Jahren habe ich immerhin das größte Naturschutzgebiet genehmigt, das in Graz jemals ausgewiesen wurde, und in dieser Form auch in anderen Städten nicht oft existiert. Wir haben mehr als 70 Hektar Grünraum in Weinzödl, im Norden von Graz, an der Mur zum Vogel- und Naturschutzgebiet erklärt, das heißt die Natur hat genauso ihren Platz. Aber ich denke auch, dass die Menschen in einer Stadt ein Anrecht darauf haben, ihren Fluss zu erleben.

Die gerodeten Baumbestände brauchen freilich sehr viel länger, ihre alte Pracht wieder zu erreichen?

Dazu sage ich, dass wir gerade im vergangenen Jahr eine Sonderüberfliegung gemacht haben und dadurch mittlerweile festgestellt haben, dass die Laubbedeckung in der Stadt Graz und der Baumbestand insgesamt im Stadtgebiet wieder zugenommen haben. Das bedeutet: ja, es ist ein kurzfristiger Eingriff in den Baumbestand an der Mur, aber auf der anderen Seite wächst der Waldbestand in Graz nach wie vor gewaltig. Man darf nicht vergessen, dass in Graz die Hälfte des Stadtgebietes aus Grünraum besteht und davon wieder die Hälfte, also ca. ein Viertel Waldbestand ist. Das kann kaum eine andere Stadt dieser Größe in Mitteleuropa vorweisen. Dieser geschützte Grünraumgürtel geht auch um ein Vielfaches über das hinaus, was das Land uns vorschreibt.

Bei diesem Projekt gab es etliche Verzögerungen; mit dem Kraftwerksbau sollte 2014 begonnen werden und der Masterplan für die Mur wurde 2016 im Gemeinderat abgesegnet. Die Planungsgrundlagen gehen sogar auf das Jahr 2010 zurück. Ungeachtet der wirtschaftlichen und städtebaulichen Notwendigkeiten, kann die Politik die Schattenseiten aber wohl nicht ignorieren?

Das Hauptproblem ist, wenn man so erbitterte Gegner wie in diesem Fall hat, dann kommt es von Haus aus schon in den Verfahren immer wieder zu Verzögerungen. Dass viele Murkraftwerksgegner weit über das Ziel geschossen haben, ist ja bekannt, von Morddrohungen bis hin zu Brandsätzen an den Baggern. Da hört sich auch in einer Demokratie der Spaß auf. Wir leben in einem Rechtsstaat und wenn man die rechtlichen Mittel ausgeschöpft hat und demokratische Mehrheiten vorhanden sind, dann habe ich als Bürger irgendwann das auch so zu akzeptieren. Die Gegner haben zeitliche Verzögerungen verursacht, aber letzten Endes ist das Projekt nun in Bau und ich nehme an, dass in ein paar Jahren alle glücklich drüber sein werden, dass wir diesen Zugang zum Wasser nun wieder haben und genießen können.

Das Projekt ist aber auch mit erheblichen Kosten verbunden, die die Stadt investieren muss – wie stark beteiligt sich die Energiewirtschaft an den Kosten – ursprünglich war ja von 50 Prozent die Rede?

Es gibt da ein ziemlich klares Übereinkommen, denn das Kraftwerk hat in der UVP-Prüfung ja so manche Auflagen bekommen. Wenn wir jetzt Wünsche haben, die über die in der UVP vorgesehenen und vertraglich festlegten Punkte hinausgehen, dann müssen wir das selbst bezahlen. Das wird in dem Kooperationsverfahren mit der Energie Steiermark natürlich einzeln geklärt. Stadtregierung und Landesregierung als Eigentümer der Energie Steiermark ziehen hier am selben Strang. Wenn die Kosten für das Kraftwerk Puntigam dann eines Tages abgeschrieben sind, dann gereicht das auch zum Vorteil für alle Steirerinnen und Steirer, denn dann wird es eine Cashcow sein. Auf der anderen Seite haben wir natürlich gewaltige Synergieeffekte, weil wir in ein paar Jahren aufgrund gesetzlicher Vorgaben den zentralen Speicherkanal wahrscheinlich ohnehin errichten müssten. Das würde einen gewaltigen Aufwand und Mehrkosten einer neuen Baustelle bedeuten.

Es gab nun ja auch eine nachträgliche Budgeterhöhung um rund 1,5 Millionen Euro, die durch den Rechnungshof der Stadt Graz abgesegnet werden muss?

Die ursprünglich veranschlagten Kosten von 6 Millionen Euro für den Masterplan Mur werden 50:50 zwischen Stadt Graz und Energie Steiermark aufgeteilt. Gleichzeitig haben wir gesehen, dass es nun die Chance gibt, das Augarten-Projekt umfangreicher als zunächst vorgesehen auszugestalten und diese innerstädtische Fläche an der Mur komplett neu zu entwickeln. Daher kommt jetzt zum Beispiel die gesamte neue Beleuchtung nicht nur im Augarten, sondern auch entlang des Murufers, was die Sicherheit in diesem öffentlichen Raum erhöht. Die Beleuchtungsanlagen sind mit über 50 Jahren auf dem Buckel veraltet und werden auf die sparsame LED-Technologie umgestellt. Diese neuen Lampen sind auch insektenfreundlicher, besser gegen Vandalismus gesichert und verursachen weniger Streulicht. Wir haben im Rahmen der Verfahren auch einen besseren Schutz für die Baumwurzeln vorgesehen, allein das verursacht rund 80.000 Euro an Kosten; insgesamt sind allein durch Maßnahmen für den Naturschutz ein paar Hunderttausend Euro an Kosten dazugekommen. Aber das Projekt ist auch umfassender geworden, bis hin zu Fuß- und Radwegführungen, die neu gebaut werden.

Verfasser / in:

Josef Schiffer

Datum:

Mon 25/02/2019

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Das Gespräch im Jänner 2019 führte Josef Schiffer.

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