07/07/2022

Club Hybrid – Talking Heads Nr. 4

In der vierten Diskussionsrunde der Reihe Talking Heads im Club Hybrid laden Heidi Pretterhofer und Michael Rieper ihre Gäste dazu ein, über spielerische Zugänge der Stadtplanung zu diskutieren. Worin liegen die Chancen und wann wird das Spiel zur Realität?

07/07/2022

Talking Heads – Spielen, Gambeln, Performen

©: Club Hybrid

Die vierte Diskussion aus der Reihe, im Club Hybrid in der Herrgottwiesgasse

©: Club Hybrid

Angelika Hinterbrandner (screen), Mèlanie van Hoorn, Markus Bogensberger, Elisabeth Kabelis-Lechner und Bernd Vlay

©: Club Hybrid

Rollenspiele
„Sich in die Rolle von jemand anderem zu versetzen, ist wichtig“, sagt die Kulturanthropologin und Kuratorin Mélanie van Hoorn. Ein sehr bekanntes Beispiel aus Boston zeigt, wie intensiv eine solche Erfahrung für die Teilnehmer*innen sein kann. In diesem konkreten Spielversuch, bei dem man eine bedürfnisorientierte Spielfigur übernehmen musste (zum Beispiel eine wohnungssuchende Person), ergriffen die Spieler*innen auch nach Beendigung eines Spieldurchgangs in der nachfolgenden Diskussion Partei für ihre Spielfigur und deren Bedürfnisse, nicht für die eigenen. Könnte das ein Indiz dafür sein, dass die Erkenntnisse aus solchen Spielen ein relevanter Beitrag zu Agenden der Stadtplanung sind? Wie hierzu die Praxis aussieht, darüber diskutieren Heidi Pretterhofer und Michael Rieper in der vierten Talking Heads Runde im Club Hybrid, neben Mélanie van Hoorn, mit Angelika Hinterbrandner (Architektin, freiberufliche Redakteurin, digitale Strategin, ETH Zürich), Elisabeth Kabelis-Lechner (Architektin, Aktivistin, Kritikerin), Markus Bogensberger (Baukulturkoordinator Land Steiermark) und Bernd Vlay (Architekt, StudioVlayStreeruwitz). Van Hoorn gibt zu Beginn einen Überblick über einige Eigenheiten von Spielen und zeigt Anschauungsbeispiele, die einmal mehr, einmal weniger mit Architektur und Stadtplanung zu tun haben. Sie zeigt auch solche, die als Spiele missverstanden werden, obwohl es eher Hilfsmittel zur Veranschaulichung und Visualisierung bei partizipativen Planungsprozessen sind. „Is it a toy or a tool?“, lautet ihre Frage. Eignen sich Spiele tatsächlich für die Stadtplanung?

Vermittlungsleistung
„Ja“, antwortet Angelika Hinterbrandner, die per Videokonferenz aus Berlin zugeschaltet ist. Allerdings kommt es dabei aus ihrer Sicht darauf an, dass man diese Herangehensweise als Prozess denkt, um überprüfbare Resultate zu bekommen, die man als entsprechende Grundlage für die nachfolgenden Schritte anwenden kann. Aber sie sieht bei Spielen im Rahmen von (Stadt-) Planungsaufgaben die Möglichkeit, im Zuge einer Vermittlungsleistung komplexe Inhalte verständlich zu kommunizieren. Welche Spielräume man sich dabei herausnimmt, ist für Markus Bogensberger entscheidend. Man finde sich bei vielen stadtplanerischen Themen häufig an einem Punkt wieder, an dem man das Gefühl bekommt, keine Optionen zur Verbesserung mehr zu haben, fügt er sinngemäß hinzu. Er sieht die Chance darin, über Spiele derartige Hemmschwellen zu überwinden, um überhaupt zu einer Idee zu gelangen. Aber sowohl die Regeln als auch die Mitspieler*innen müssten klar definiert beziehungsweise benannt werden. Bernd Vlay wiederum stellt die Frage nach dem Moment, an dem das Game over eintritt. Also der Zeitpunkt, ab dem die nächsten Schritte gesetzt werden müssen und der Prozess wichtig wird, den Angelika Hinterbrandner anspricht. Und auch Mélanie van Hoorn gibt zu bedenken, dass Spielergebnisse nicht 1:1 als Lösung übertragbar sind. Allerdings könnte ein gemeinsames Spiel die Freude an der Entwicklung eines Stadtteils schüren und die Bürger*innen motivieren, daran teilzuhaben. Darin sieht Elisabeth Kabelis-Lechner Potenzial. Sie würde sich auch einmal gerne mit der Stadtplanung an einen Tisch setzen und das aktuell gültige räumliche Leitbild anhand konkreter planerischer Aufgaben durchspielen.

Which player rules the game?
Aber das Problem dabei sei, dass die Stadtplanung das Spiel der Investor*innen spiele, sagt die glühende Stadtteilaktivistin aus dem Bezirk Gries. Sie nennt ein Beispiel aus Graz: Im Zuge der Bebauungspraxis rund um das Einkaufszentrum City Park bestimmen einzelne Spieler stadtplanerische Rahmenbedingungen mit und schreiben ihrer Meinung nach auf diese Weise die Regeln um, was Ihnen nicht zustünde. Wer die Regeln macht, wer mitspielt und wie es sich mit den immanenten Machtgefällen verhält, ist entscheidend, sagen Bernd Vlay und Angelika Hinterbrandner. Letztere verdeutlicht ihr Argument anhand zweier Beispiele aus Berlin: dem SPD-gestützten Bürgerbeteiligungsprozess im Rahmen eines Immobilienentwicklungsprojektes der Signa Holding (gegründet von René Benko) am Hermannplatz in der Nähe des Tempelhofer Feldes und dem seine Finanzen und Stakeholder*innen betreffend breiter aufgestellten Modellprojekt Haus der Statistik in der Karl-Marx-Allee. Die ungleichen Rahmenbedingungen beider Projekte führen zu qualitativ völlig unterschiedlichen Prozessen, was die Tragweite der Bürger*inneninitiativen betrifft. Wer das Spiel finanziert, hat demnach viel Einfluss auf dessen Verlauf. Und solche Bottom-Up Initiativen müssen sich Bernd Vlay zufolge mit den planenden Institutionen auch irgendwann verzahnen können. Nicht zuletzt um die unterschiedlichen Maßstäbe, die Anliegen Einzelner und die übergeordnete Stadtplanung für die Zukunft zusammenführen zu können.

Who wants to play?
Vieles, das mit dem Verlauf partizipativer Stadtplanungsmethoden zu tun hat, entscheidet sich auch, wenn es darum geht Teilnehmer*innen zu finden. Wer soll mitmachen und wie findet man diese Leute? Man müsse die Frage stellen, wer Interesse daran hätte die Stadt positiv zu gestalten und wer im Falle eines spielerischen Zugangs mitspielen wolle, und zwar freiwillig. Das sei entscheidend, sagt Markus Bogensberger. Dann könnten Spiele die Chance sein, um die Angst vor Fehlern, die durch das Eingreifen nicht auszuschließen sind, zu überwinden, „um stattdessen positive Visionen zu formulieren“, findet Angelika Hinterbrandner. Vielleicht führt die Angst vor Hürden und Fehlern oft dazu, diese aufwendigen Beteiligungsmethoden zu umgehen. Das hindert die Beteiligten solcher Planungsprozesse aber auch daran, den Faktor Zeit für sich nutzen zu können. Wir würden entweder gar nichts tun oder alle Planungsschritte immer schneller durchführen, fügt Hinterbrandner hinzu, das sei das große Paradoxon dabei. Die Entwicklung von Barcelona seit dem Plan Cerdá ist für Bernd Vlay ein vorbildhafter Umgang mit Stadtentwicklung im Laufe der Zeit. Die Dichte sei ursprünglich viel niedriger angedacht worden, als sie heute ist, und die vielen Straßen wären für ein viel größeres öffentliches Straßenbahnnetzwerk vorgesehen gewesen. Vieles habe sich anders entwickelt, aber der Plan hätte als Spielbrett gedient und man habe über viele Jahrzehnte eine Kultur des diskursiven Verständnisses für die Spielmöglichkeiten der eigenen Stadtentwicklung gepflegt.

Spielregeln
Zum Abschluss bitten Heidi Pretterhofer und Michael Rieper das Publikum und die Gäste am Podium darum, anstelle eines Statements eine Spielregel beizusteuern, nach welcher man ein solches Stadtplanungsspiel durchführen könnte. Aus dem Publikum kommt der Vorschlag, für jeden Quadratmeter verbaute Fläche das Äquivalent an Grünraum und Gemeinschaftsflächen umzusetzen. Angelika Hinterbrandner steuert ihre Regel auf die Mitspieler*innen bezogen bei, und sie besagt, dass man sich einerseits zuhören muss und dass in der ersten Spielrunde anstelle eines jeden „oder“ ein „und“ stehen soll. Markus Bogensberger optiert dafür, dass alle Planer*innen einmal selber ihren Planungshandlungen ausgesetzt werden. Elisabeth Kabelis-Lechner findet, die Spielbeteiligten sollten das Gebiet, in dem sie spielen, wirklich gut kennen, aus der eigenen Erfahrung und die anderen Spieler so ernst nehmen wie sich selbst. Bernd Vlay schlägt vor, jedes Monat ein zufällig ausgewähltes Haus in der Stadt, sprich zwölf Häuser pro Jahr, als offenes Haus zu definieren und es im Dialog mit der Hausgemeinschaft unter moderierter Anleitung vom Privatraum zu etwas Öffentlichem zu machen. Und Mélanie van Hoorn wünscht eine Regel einzuführen, die das „Cheaten“ erlaubt, wenn es der Bereicherung aller dient. Denn in einem Spiel zu cheaten sei wichtig und lustig, sagt sie.

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