03/05/2007
03/05/2007

Tegetthofbrücke, Blumenkisten als Betonleitwand

Kaiserfeldgasse, Leuchtkästen auf Telefonzellen verhindern "wildes" Plakatieren

Jakominiplatz, Sitzbänke zu kurz um sich hinzulegen

Am Eisernen Tor, gestaltete Schaltkästen zur Verhinderung von "wilden" Plakaten

Opernring, profilierte Betonflächen zur Verhinderung von "wilden" Plakaten

Messnergasse, Absperrung von "Brunz"ecken

Färbergasse, private Blumentöpfe Fahrradbarriere

Färbergasse, private Blumentöpfe als LKW-Poller

unter der Hauptbrücke, offizielle Grafittifläche, alle Fotos (c) Wolfgang Reinisch

Kontrollmechanismen in London und New York übertragen auf Graz. Ein Vergleich anlässlich des am 25. April 2007 stattgefundenen "City Walk" im Rahmen des aktuellen Programmes des HDA position 03 "schützen".

Der Kontrolle, dem aktuellen Schlagwort der Sicherheitsdebatte, stehen Maßnahmen zu tatsächlichen mehr oder weniger wahrnehmbaren alltäglichen Verhaltensänderungen gegenüber. Letztere beschreibt Nils Norman u.a. in seinem Buch „The Contemporary Picturesque“ am Beispiel von London und New York: Personengruppen (Punks, Obdachlose...) oder Tätigkeiten (Betteln, auf Bänken schlafen, Skateboarden...) werden aus dem öffentlichen Raum verdrängt, Quartiere werden physikalisch (Zufahrtsbarrieren vor Botschaften...) vom Rest der Stadt getrennt.

Betrachtet man nun die Stadt Graz aus diesem Blickwinkel, fällt es schwer derartige Beispiele zu finden - im Gegenteil, Graz zeichnet sich durch die Abwesenheit solcher Interventionen aus. Zeltsiedlungen von Obdachlosen oder wildes Plakatieren sind nicht offensichtlich; es gibt kaum Graffiti an nicht dafür vorgesehenen Stellen und sogar die „Punks“ sind immer seltener am Hauptplatz anzutreffen.

Graz - eine Insel der Seligen?

Ja, schon - die Stadtplanung gibt keine Vorgaben für Barrieren bei Platzgestaltungen, im Gegenteil, sie besteht auf „angstfreie Räume“. Planende Architekten sehen sich nicht nur als Dienstleister für Bauherren, sondern fühlen sich vor allem dem (öffentlichen) Raum, der Ästhetik und der Allgemeinheit verpflichtet. Selbst dort, wo es Barrieren und Kontrollmechanismen gegeben hat, mussten diese aufgrund von juristischen Entscheidungen wieder entfernt werden.

Nun ja - augenscheinlich sind die vielfältigen privaten Interventionen in der Stadt: Blumentröge flankieren Hauseingänge um Ladetätigkeiten von LKW zu blockieren, private Videokameras beobachten mehr den Gehsteig und die Parkplätze davor als das Geschäft des Besitzers bis hin zu Nagelspießen auf potentiell sitzgefährdeten Fensterbrettern. Als unbeabsichtigter privater Aktionismus mag vielleicht auch das Verkürzen der Lebensdauer der Stadtmöblierung durch Zulieferer (manchmal auch durch Schneepflüge) im innerstädtischen Bereich gelten.

Ja, aber - nicht offensichtlich ist jedoch die Kombination einzelner Maßnahmen von unterschiedlichen Interessensgruppen, die nach dem Motto „Zuckerbrot und Peitsche“ in Summe wirksame Veränderungen hervorruft. Auf der positiven Seite ist es der Vinzigemeinschaft zu verdanken, dass Obdachlose nicht mehr „auf der Straße“ zu finden sind. Ein weiterer Grazer Klassiker: Die „Punks“ werden durch Gespräch sowie durch das Übertragen von Aufgaben im öffentlichen Raum und durch das Zur-Verfügung-Stellen von Wohnraum (nicht gerade im Zentrum und in Abstimmung mit dem Hausbesitzer, der auf diese Weise bei möglichen Altmietern die Ablösebereitschaft erhöht), aber auch mittels Gängeleien, wie etwa durch das Aufstellen von Topfpflanzen, bewogen von Tourismus- und Rathausplätzen wegzubleiben. „Zero Tolerance“ gilt für Graffitikünstler, da es in Österreich der Polizei erlaubt ist, ohne konkrete Anzeige gegen sie einzuschreiten. Auf der anderen Seite werden eigens Flächen für die freie Gestaltung zur Verfügung gestellt. Ähnlich verhält es sich mit den „wilden Plakaten“, wobei hier die Position der Polizei von älteren Herren übernommen wird, die mit Messern bewaffnet durch die Stadt eilen und jedes Plakat, egal ob genehmigt oder nicht, entfernen. Nutznießer und vermutlich auch Initiator ist der zu den Stadtwerken gehörende Monopolbetrieb für entgeltliche Plakatwerbung auf öffentlichen Flächen.

Graz bleibt somit nicht von internationalen Tendenzen zur Sicherheitsproblematik verschont, wobei Terrorismusabwehr kein Thema ist und wir vielleicht auch einen „weicheren“, praxisorientierten Umgang mit diesem Thema pflegen.

Der Artikel wird auch in der neuen Ausgabe der HDA-Gazette, die demnächst erscheint, veröffentlicht. Die Gazette ist das neu entwickelte Printmedium des HDA Haus der Architektur Graz. Themen der kommenden Ausgabe sind die Rückschau auf den letzten Programmschwerpunkt position 03: "schützen" sowie eine Vorschau auf position 04: "konsumieren" und anderes mehr zur Architektur.
Die Gazette ist im HDA Graz, Engelgasse 3-5, 8010 Graz erhätlich.
KONTAKT: T 0316/32 35 00, office@hda-graz.at

Verfasser/in:
Wolfgang Reinisch, Kommentar
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