11/04/2007
11/04/2007

Der Falter Steiermark erscheint wöchentlich, jeweils am Mittwoch.

Das neue "Joanneum" (Ansicht von der Landhausgasse).
Unter der Erde: Haupteingang mit Besucherzentrum (Café, Info,
Freihandbibliothek) sowie Depots Landesbibliothek und Joanneum.
Links: "Haus der Natur", Raubergasse, EG: "Hands on"-Bereiche, Vermittlung, 1. Stock: Studiensammlung, Sonderausstellungen, 2. Stock:
Erdgeschichte, Natur (fixe/semipermanente Ausstellungen), Dach:
wissenschaftliche Büros, Labors, zentrale Fachbibliothek.
Rechts: Neutorgasse: EG: Kulturgeschichte, Kunstgewerbe (fix), 1.Stock:
Themenausstellungen ("Barock", "Zeit" o.ä.), 2. Stock: Bild- und Tonarchive, Büros.
Hinten links: Landesbibliothek, Kalchberggasse: neue Lesesäle, Mediathek,
Ausstellungs- und Vortragsräume.
Abbildung: Nieto Sobejano Architectos, eep architekten

Der für Jahrzehnte letzte große Kulturbau der Stadt, der „Museumsquadrant“, ist zum politischen Streitfall geworden. Das ist schlecht: für die Sammlung, die Mitarbeiter und die Besucher des traditionsreichen Landesmuseums.

Der Riesenalk hat es relativ gut. Abgesehen davon, dass er tot ist und seine Artgenossen seit langem ausgerottet sind. Aber in der Zoologischen Abteilung des Landesmuseums Joanneum hat der elegante Seevogel, der einst vor den Küsten von Grönland und Schottland nach Fischen jagte, die letzten Jahrhunderte zumindest als Präparat überdauert. Als „Balg“, wie die Museumsfachleute sagen. Der Balg des Riesenalks, von denen es weltweit insgesamt nur noch 78 Stück gibt, ist ein Schatz. Derzeit wartet er gleich neben einer weiteren Kostbarkeit, einem Exemplar des ebenfalls ausgestorbenen neuseeländischen Lappenhopfes – beide sauber verpackt in Plastiksäcken –, in einem klimatisierten Depot in der Grazer Raubergasse auf bessere Zeiten.

Mit diesem Schicksal ist der Alk nicht allein, er teilt es mit Millionen anderen Objekten des Landesmuseums Joanneum und der Landesbibliothek, die derzeit in Regalen, Großlagern oder Zwischendepots – zum Teil unter katastrophalen konservatorischen Bedingungen – darauf warten, wieder ihre ursprüngliche Bestimmung zu erfüllen. Denn der Stifter von Museum und Bibliothek, Erzherzog Johann, verfügte im Jahre 1811, dass seine Sammlungen in der Steiermark „das Lernen erleichtern“ und „die Wißbegierde reitzen“ sollten. Davon kann heute, fast zweihundert Jahre reger Sammler- und Forschertätigkeit später, keine Rede mehr sein. Die Bibliothek platzt aus allen Nähten, das Stammhaus in der Raubergasse mit seinen naturwissenschaftlichen Sammlungen und das benachbarte Haus in der Neutorgasse, das einst die Kulturgeschichte beherbergte, sind für die wissbegierige Öffentlichkeit zum überwiegenden Teil geschlossen – die Gemäuer feucht, die Bestände von Schimmel bedroht, die Mitarbeiter aufgrund des Platzmangels frustriert.

Und über die geplante Sanierung, rechtzeitig für das Stiftungsjubiläum des zweitgrößten Museums Österreichs im Jahr 2011, ist auch noch ein politischer Streit entbrannt, fröhlich geschürt von der Steirerkrone. Nachdem die ÖVP vor einem Jahr das von Kulturlandesrat Kurt Flecker (SPÖ) eingebrachte Projekt eines „Museumsquadranten“ - näheres dazu erfahren Sie in dem Artikel "In die Tiefe" von Fabian Wallmüller, erschienen im Falter Stmk. 14/2007 (siehe LINK am Ende dieser Seite) - in der Landesregierung noch guthieß, hat sie nun den Landesrechnungshof eingeschaltet. Der soll vorab prüfen, ob die hohen Kosten von insgesamt 48,5 Millionen Euro auch wirklich dem Bedarf entsprechen.

Unter den Mitarbeitern der Abteilungen, die im „Museumsquadranten“ zusammengeführt werden sollen – von der Natur- und Kulturgeschichte über das Bild- und Tonarchiv bis zur Landesbibliothek, ist dieser Bedarf unumstritten. Auch wenn, wie Bernd Moser, Departmentleiter Natur in der Raubergasse, sagt, das Frustrationsniveau unter einigen schon relativ hoch ist. „Seit ich hier bin, haben wir sicher schon viermal zum Neubeginn angesetzt.“ Seit Jahren schon klagen die Wissenschafter über winzige Büros, veraltete Labors, übervolle Depots, verwinkelte Raumaufteilungen und die katastrophale Haustechnik. Passiert ist seit Jahrzehnten dennoch nichts. Auch von behindertengerechten, barrierefreien Zugängen, von Brandschutz oder zeitgemäßer Sicherheitstechnik keine Spur.

„Unsere Bibliothek platzt aus allen Nähten“, sagt Karl Adlbauer, Leiter der Zoologie, und zwängt sich durch die bis zum Plafond angeräumten Regale. Der Raum muss regelmäßig gelüftet werden, das Paradichlorbenzol, mit dem hier früher Präparate zum Schutz vor dem gefräßigen Museumskäfer, Gattung Athrenus, getränkt wurden, hat sich überall festgesetzt. Nicht gerade ideal für die Bücher, meint der Bockkäfer-Experte. Schon gar nicht für die Menschen. Auch mit seiner ständigen Ausstellung ist Adlbauer alles andere als zufrieden. Die letzten Neuerungen stammen aus den Siebzigerjahren. Damals wurden die Schwarz-Weiß-Hintergründe der Dioramen über die steirische Fauna gegen Farbfotos getauscht. Empfangen wird der Besucher dort von der Aufstellung „Fließgewässer“: Der Staub der letzten Jahrzehnte hat dem Graureiher arg zugesetzt, der Fischotter hat seine Farbe längst an das Sonnenlicht verloren, der ganze Raum atmet eine tiefe Traurigkeit. „So kann man das heute nicht mehr machen“, sagt auch Martin Unruh, der quirlige Präparator der Abteilung, der sein Handwerk in Hannover gelernt hat, und zeigt in einem Buch lebensnah strahlende Präparate, Nachbildungen und Plastikgüsse, wie sie in anderen Museen längst „state of the art“ seien, sogar zum Anfassen für junge Besucher.

Andere Sammlungen sind für den Besucher bisher gar nicht sichtbar geworden. Die halbe Million Pflanzenbelege etwa, die Chef-Botaniker Kurt Zernig für seine Forschung braucht, warten in einem Depot an der Peripherie der Stadt in großen Kartonschachteln auf ihre Erschließung. Besonders verschärft: Der für botanische Analysen zuständige Mitarbeiter arbeitet in einem Raum, der wegen seiner Größe und ursprünglichen Bestimmung intern nur „Klobor“ genannt wird.

Weggeschlossen sind zur Zeit auch die kulturhistorische und die kunstgewerblichen Sammlungen, die bis 1995 in der Neutorgasse zu sehen waren und dann repräsentativen Ausstellungen zu Klimt und Gauguin weichen mussten. Immer weiter hat sich das Haus in den hundert Jahren seines Bestehens von seinem ursprünglichen Zweck entfernt. Inzwischen ist die Neutorgasse ganz geschlossen, der steirische Herzogshut und der Prunkwagen Kaiser Friedrichs III. sind nebst 35.000 Objekten extern gelagert, die Schmiedeeisensammlung, eine der bedeutendsten Mitteleuropas, im Keller. Gleich neben dem „Kachelofen-Depot“, mit einer Schimmelbelastung von gesundheitsgefährdenden 48 Prozent, sagt Thomas Goldberger, der im Joanneum für die Bautechnik verantwortlich ist. Und unmittelbar neben den düsteren Fluchten und Gewölben, in denen Aggregate aus den Sechzigerjahren warme Luft und Strom für Neutor- und Raubergasse aufbereiten sollen. „Die Haustechnik ist sowas von im Eck“, klagt Goldberger, „wir haben eine vernichtende Energiebilanz“. Es gebe laufend Wasserrohrbrüche, die Fenster seien morsch, die Feuchtigkeit habe längst das Mauerwerk erreicht und im Dachgebälk wachse der Hausschwamm. Immer wieder müssen Teile der Fassade abgeschlagen werden, damit sie nicht unkontrolliert auf Passanten und parkende Autos stürzen. Auch wenn man die Schäden oft nicht auf den ersten Blick sieht: „Es ist ein Potemkinsches Dorf“, ärgert sich Goldberger. In den Schauräumen und im Gemäldelager im dritten Stock, da sieht man die Schäden allerdings auch: Gleich über dem Tresor, in dem die Rembrandt- und Dürer-Kupferstiche lagern, hat sich ein böser, dunkler Wasserfleck breitgemacht. „Es ist ein Alptraum“, sagt Paul-Bernhard Eipper, der Restaurator des Hauses, der hier auch sein Atelier hat. Wenn er alte Ölgemälde zum Schutz mit Firnissen überziehen will, muss er vorher die übrigen Bewohner des Hauses warnen. Absauganlage für die Lackdämpfe und den Staub gibt es nämlich keine.

Die Leidensgeschichten ähneln einander: Im Bild- und Tonarchiv des Joanneums, derzeit noch im Palais Attems in der Sackstraße untergebracht, kämpft Petra Ellermann-Minda gegen den Zahn der Zeit. Jeden Tag, sagt sie, geht ein wertvolles Negativ unwiderbringlich verloren, weil sie ihre über vier Geschoße verteilten Lager nicht klimatisieren kann. In die Planfilmsammlung hatte sich vergangenes Jahr auch schon der „Tod des Pharao“ eingeschlichen, eine tödliche Schimmelart. Das Haus ist seit mehr als einem Jahr geschlossen, derzeit bereitet Ellermann alles für den Umzug in den Museumsquadranten vor, konserviert, archiviert, baut mit nur vier wisenschaftlichen Mitarbeitern eine Datenbank für die 2,5 Millionen Fotos, Ton- und Filmdokumente zur Geschichte der Steiermark auf. Trotz akuten Platzmangels noch geöffnet hat die Landesbibliothek, die ebenfalls vom „Museumsquadranten“ profitieren soll. „Wertvollstes steirisches Kulturgut ist hier ungesichert und in Gefahr“, warnt Johann Lambauer.

Die 700.000 Bücher füllen noch den letzten Winkel des Gebäudes aus, einschließlich der Büros. Brandschutz und Barrierefreiheit gibt es nicht, ein Ankaufsbudget auch erst wieder seit einem Jahr. „Es ist zu wenig Platz für Bücher, Leser und Personal“, klagt Lambauer. „Es ist nicht fünf vor zwölf, sondern wir sind schon weit drüber.“ Das hat schließlich auch Kulturlandesrat Kurt Flecker auf den Plan gerufen: „Die ÖVP hat die Bibliothek einfach kaltgestellt und totgespart“, bewertet Flecker die Politik seiner Vorgängerin, Ex-Landeshauptfrau Waltraud Klasnic. Zusperren will er die Bibliothek nicht, auch wenn die Stadt über eigene Bibliotheken verfügt: „Warum soll ich eine Software im Landesgetriebe zusperren? Wenn der Papst ins Land kommt, sind auch zwei Millionen weg.“

Flecker selbst hat sich vor gut einem Jahr bei einem Rundgang durch die Bibliothek davon überzeugt, dass hier Handlungsbedarf besteht. Zur gleichen Zeit, erzählt der Landesrat, habe ihn Joanneum-Geschäftsführer Wolfgang Muchitsch mit dem Masterplan zum „Museumsquadranten“ konfrontiert, der unter Federführung von Architekt Hermann Eisenköck entstand. Damit sollen nun auch die vernachlässigten Kernsammlungen des Landesmuseums wieder auf Kurs kommen. In die übrigen – das Jagdmuseum Stainz oder die Alte Galerie in Eggenberg – wurden seit den Neunzigerjahren bereits rund 40 Millionen investiert. Für Flecker ergab sich aus der Not die Chance, „ein Kommunikationszentrum zu schaffen, eine Drehscheibe von Wissenschaft und Kunst“, die über einen Beherbergungsort von Sammlungen und Büchern hinausgeht. Dazu, glaubt er, müsse auch die Forschungstätigkeit des Joanneums künftig stärker nach außen dringen, besser mit der Unis vernetzt werden.

Wie Flecker sieht auch Wolfgang Muchitsch die nun laufende Prüfung durch den Rechnungshof relativ entspannt. Und wenn Muchitsch die Vorzüge des „Museumsquadranten“, der vermutlich einfach „Joanneum“ heißen wird, ausmalt, gerät er regelrecht ins Schwärmen. Über die „Opulenz des Historismus“, die den vom Besucherzentrum emporschwebenden Gast in der kulturgeschichtlichen Sammlung erwarten werde, über die „großen Setzkästen“, in denen die kunstgewerbliche Sammlung präsentiert würde, über die neuen Rundgänge im Haus der Natur in der Raubergassse, die neue Schau zur „Entwicklung, zur gegenwärtigen Situation und zur Zukunft der Natur in der Steiermark“. Irgendwo wird sich dann vielleicht auch ein würdiger Platz für Riesenalk und Lappenhopf finden.Der Bedeutung der Investition ist sich Muchitsch bewusst: „Für den Zeitraum unserer Generation ist das wohl der letzte große Kulturbau in der Stadt“, sagt Muchitsch. „Das ist vielleicht ähnlich wie in der Gründerzeit, als zeitgleich mit dem ,neuen Joanneum‘ in der Neutorgasse auch die Grazer Oper entstand. Auch damals wird man sich gedacht haben, damit ist Graz für alle Zeiten kulturell versorgt. Aber was in fünfzig oder hundert Jahren wieder an Bedarf entsteht, ist natürlich schwer abschätzbar.“ Der Falter Steiermark erscheint wöchentlich, jeweils am Mittwoch.

Verfasser/in:
Thomas Wolkinger, Kommentar; erschienen im Falter Stmk. Nr. 14/2007
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