27/09/2018

Das Wesen der Grenze

Felix Obermair berichtet im Blog des Architektursommers 2018 von der Grenzlandgalerie / Galerija na meji, einer temporären Installation entlang der österreichisch-slowenische Grenze in einer sprachlich (slowenisch) wie kulturell recht homogenen Region, die 1918 in zwei Teile gepalten wurde.

Idee & Durchführung
Kollektiv KUD LJUD (Ljubljana)
und Robin Klengel (Graz/Wien)

Grenzlandgalerie/Galerija na meji mit Start und Ziel beim Grenzübergang Langegg an der Weinstraße kann man ganztägig besuchen – noch bis 31. Oktober 2018.

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Die Artikel im Blog dürfen dankenswerterweise auf GAT veröffenticht werden.

 

27/09/2018

Bilderrahmen – die südsteirische Landschaft bei Langegg an der Weinstraße

©: Robin Klengel

Grenzlandgalerie/Galerija na meji

©: Robin Klengel

Wegskizze

©: Robin Klengel

Eine Postkartenidylle: sanfte Hügel, üppige Weinberge, malerische Höfe, hin und wieder durchsetzt von dicht bewachsenen Wäldchen. In dieser Aufmachung dehnt sich die südsteirische Landschaft bei Langegg an der Weinstraße nach allen Himmelsrichtungen aus. Und doch gibt es mitten in ihr eine trennende Linie.
Die österreichisch-slowenische Grenze hat hier, vor allem in den letzten 100 Jahren, eine bewegte Geschichte hinter sich. Als die Siegermächte des 1. Weltkrieges 1919 im Vertrag von Saint-Germain die Grenzziehung des neuen Staates (Rest-)Österreich beschlossen, spalteten sie eine sprachlich (slowenisch) wie kulturell recht homogene Region in zwei Teile. Das neue Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen im Süden, die ebenso junge (erste) Republik Österreich im Norden, waren ab nun Realität, die österreichisch-ungarische Doppelmonarchie als Kriegsverliererin Geschichte. Die BewohnerInnen der neu entstandenen Grenzregionen mussten quasi über Nacht mit dieser Situation zurechtkommen.
Diesen Ausgangspunkt, und den 99. Geburtstag des St. Germain-Staatsvertrags, nutzten das Kollektiv KUD LJUD und Robin Klengel, um sich in Langegg mit dem Wesen dieser Grenze auseinanderzusetzen. Zusammen mit einem Team mit Architekt, Historiker und SchauspielerInnen haben die interdisziplinäre KünstlerInnen-Vereinigung aus Ljubljana und der in Graz und Wien tätige Kulturanthropologe beim Grenzübergang Langegg eine temporäre Galerie geschaffen. Galerie ist dabei für ihr Projekt zu kurz gegriffen: Die Grenzlandgalerie/Galerija na meji ist vielmehr eine Kombination aus Rundwanderweg, Kunstinstallation (Land Art) und Hörbuch (Audio Guide) – ein Wegweiser durch eine Region, in der man oft zweimal hinsehen muss, um die Spuren der Geschichte wahrzunehmen.
„Wie schreibt sich ein neu gezogener Strich auf der Landkarte in Landschaft, Architektur und Lebensgeschichten ein?“ – diese Frage prangt fett auf der Website der Grenzlandgalerie. Um ihr nachzugehen, haben KUD LJUD und Klengel leere Bilderrahmen in die Landschaft gesetzt. Anstatt Bildern sind nun die ProtagonistInnen der südsteirischen Grenzlandschaft gerahmt.
Auf 4,5 km Wegeslänge erklimmt man Hügelkuppen, späht in verlassene und belebte Häuser, betritt und verlässt Wälder, wechselt man man unablässig zwischen den heutigen EU-Staaten Österreich und Slowenien hin und her. Der Audio Guide, den man sich wegen des schlechten Internetempfangs vor Ort besser noch vor Abfahrt auf Handy, Tablet oder Musikplayer lädt oder vor Ort in Form eines MP3-Players im Gasthaus Vračko ausleiht, hat Radio-Feature-Charakter und ist ein treuer Begleiter auf der etwa zweistündigen Wanderung – ihn gibt es sowohl auf Deutsch als auch auf Slowenisch. In sieben sogenannten „Räumen“ – dem Stein, dem Baum, der Wiese, der Linie, dem Wald, dem Haus und schließlich der Grenze – erfahren BesucherInnen der Grenzlandgalerie Geschichtliches wie Philosophisches zur Grenze an sich und konkret in dieser Region. Die Rahmen sind gleichzeitig das einzige prominente architektonische Element der Ausstellung.
Die ruhige Umgebung lässt die, im Guide teils von ZeitzeugInnen erzählten, Geschichten von früher zunächst unwirklich erscheinen. Wird bei Anekdoten von Schmuggel, omnipräsenten Patrouillen, internationalen Turbulenzen tatsächlich von diesem Flecken Erde geredet? Selbst der Jugoslawienkrieg aus den 1990ern scheint schon lange vorüber zu sein. Einzig verstreute Grenzsteine weisen auf die virtuelle Trennlinie hin. Doch die Ruhe ist trügerisch – erst 2015 wurde die Errichtung eines Grenzzaunes genau in dieser Gegend diskutiert und letztendlich nur durch den Widerstand der AnwohnerInnen abgewendet.
Die Erkenntnis am Schluss des Rundgangs ist ebenso einleuchtend wie ernüchternd – Grenzen stecken als Gedankenkonstrukte vor allem in uns selbst. Noch erschreckender vielleicht die Entwicklung der Grenze, und ihrer Kontroll- und Trennfunktion, von einer Schlangenlinie in der Landschaft zu einem allwissenden Big-Data-Kraken. Die Grenze beherrscht uns teilweise mehr, als uns lieb wäre. Der südsteirischen Landschaft, ihrer Tier- und Pflanzenwelt ist das wieder größtenteils egal – sie wahrt ihren idyllischen Anblick. Zumindest das beruhigt.

Die Grenzlandgalerie/Galerija na meji mit Start und Ziel beim Grenzübergang Langegg an der Weinstraße kann man ganztägig besuchen – noch bis zum 31. Oktober 2018. Die Anreise mit den öffentlichen Verkehrsmitteln gestaltet sich am Wochenende aufwendig – hier empfehle ich ein Besuch unter der Woche. Langegg ist überdies auch einen ausgedehnten Radausflug wert. Dazu kann man wohl auch auf den Zug als Hilfsmittel zurückgreifen: der nächste Bahnhof befindet sich im ca. 10km entfernten Spielfeld.
MP3-Player zum Ausborgen gibt es im Gasthaus Vračko, Grušena 1, 2201 Zgornja Kungota, Slowenien (Di-So, 10-19 Uhr).

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