28/07/2009
28/07/2009

Kommentar zum Artikel „Yes, we camp!“ vs. „Auch ich wünsche mir ein Einfamilienhaus“, von Ute Angeringer-Mmadu, der am 10.07.2009 auf www.gat.st erschienen ist.

HANNES FIEDLER
An der Akzeptanz des Urbanen arbeiten...

Der Kommentar von Ute Angeringer-Mmadu am 10.7.2009 enthält einige wichtige Aussagen, die uns „urbanen Intellektuellen“ helfen könnten, jene undifferenzierte Larmoyanz zu überwinden, in die jede Fachveranstaltung und jedes ExpertInnengespräch zum Thema Stadt letztlich abgleitet. Zum Typus Einfamilienhaus: „Außerdem ist es nicht mehr familienkonform…“ Das ist eine funktionalistische Aussage. Natürlich wären die Wege der Kinder zur Schule, die Betreuung der Alten, das soziale Leben Jugendlicher in einer verdichteten Bebauungsform effizienter organisierbar, aber es geht beim Einfamilienhaus nicht um die effizienteste Form einer Funktionserfüllung, sondern um Lebensbilder, um gebaute Wunschvorstellungen. Auch wenn ein großer Teil der Familien irgendwann zerbricht, bzw. vom Standardmodell abweicht, so bleibt dennoch das Standardmodell das Ideal und mit ihm das Einfamilienhaus - als Bild der selbstbestimmten, sozial integrierten Lebensgestaltung, als Bild des „Zuhause“. Erst wenn wir diese Tatsache akzeptieren, können wir praktikable - und nachhaltigere - Alternativen erarbeiten. „Katschnig-Fasch: “…es in erster Linie an einer Kultur des selbstverantwortlichen Miteinanders fehle.“ Damit hat sie tatsächlich den Punkt getroffen. Denn: wir haben in Österreich auf der einen Seite eine relativ gut ausgereifte Kultur des Miteinanders auf der Basis obrigkeitsstaatlicher Regelung, auch im Wohnen (Stichworte: Wohnanlage, Hausmeister) und auf der anderen Seite eine bunte, geradezu anarchische Szene der selbstverantwortlichen Organisation (Stichworte: Häuselbauer, Pfusch). Was wir leider im Wohnbau gar nicht haben, ist das freiwillige Zusammenwirken von städtischen Menschen, die selbst etwas herstellen. Unsere Zivilgesellschaft wird nur dann aktiv, wenn es darum geht, Unterstützung durch den als allmächtig wahrgenommenen Staat einzufordern. (In diesem Sinn sollten sich übrigens alle an Baugruppen Interessierten kritisch mit dem Thema „Förderung“ auseinandersetzen.) „…dass der Wohnungsmarkt noch so weit zufrieden stellend ist, dass der Leidensdruck, selbstständig neue Wege zu suchen, fehlt.“ Tatsächlich ist die Nachfrage nach neuen Formen urbanen Wohnens im Wesentlichen eine Nachfrage nach einer anderen Qualität, einem neuen Produkt. Normale, gut gedämmte und belichtete Wohnungen mit ausreichend Garagenplätzen sind am Markt reichlich vorhanden, und das Preisniveau ist nicht zuletzt dank öffentlicher Förderung vergleichsweise moderat. Der Grund, warum sich in Deutschland eine rege Baugruppenszene entwickelt hat, liegt hauptsächlich darin, dass nach der Wende die institutionelle, staatlich geförderte Wohnbauproduktion zum Stillstand gekommen ist und die urbane Mittelklasse selbst aktiv werden musste. Wied: „Bauen wir uns das eigene Stück Stadt statt des Eigenheimes." In diesem Satz stecken mehrere elementare Aussagen: Erstens, dass es Menschen gibt, für die das Einfamilienhaus nicht in Frage kommt - etwa weil sie nicht im Familienverband leben, weil sie urbane Lebensvorstellungen haben, weil sie nicht täglich mit dem Auto fahren möchten. Zweitens, dass in der Stadt, wie wir sie haben, die Alternative zum Eigenheim nicht zu finden ist. Es gibt nur - plakativ ausgedrückt - öde Geschoßbauten profitorientierter Bauträger, spießige Genossenschaftsanlagen, miefige Altbestände in der Hand gieriger Spekulanten. Es fehlen die selbst gestaltbaren Außenräume, die Möglichkeit der evolutiven Herstellung, es fehlt die soziale Kohärenz, die allein das Suburbane verspricht. Drittens, dass man sich folglich diese Stadt, die eine Alternative zum Einfamilienhaus enthält, selbst machen muss. Dass nicht erwartet werden kann, dass gewinnorientierte oder gemeinnützige Bauträger diese Alternative bereitstellen. Die Gewinnorientierten tun es nicht, solange es in anderen Segmenten mehr zu lukrieren gibt, und die Gemeinnützigen tun es nicht, weil es nicht ihrem Selbstverständnis entspricht, das allerorts auf dem bauwirtschaftlichen Funktionalismus beruht. Und beide Sektoren tun es nicht, weil jene kleinteilige und vielfältige Produktionsform, die eine urbane Alternative zum Einfamilienhaus erfordert, wirtschaftlich uninteressant ist. Natürlich ist mit diesen Erkenntnissen noch kein Problem gelöst, aber man hat, wenn man sich bei diesen Fragen einig ist, doch eine bessere Ausgangsbasis, etwa die, dass man vor allem an der Akzeptanz des Systems Stadt arbeiten muss. Stichworte: kleinteilige Produktionsform, Qualität des öffentlichen Raums, angemessene Dichte,…

KONTAKT Johannes Fiedler: fiedler@arch-urb.at

Verfasser/in:
Johannes Fiedler, Kommentar
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