03/12/2010
03/12/2010

Ostfassade

Ostfassade

Ostfassade, Barbara-Kapelle

Westfassade

Ausschnitt Nordportal

Hätte Aby Warburg E-MAIL FOR YOU, SCIENCE FICTION, BLAUES WUNDER, MOZART, PINOCCHIO und Co. mit SKEPSIS ikonographisch gedeutet? Wie stünde Walter Benjamin der AURA der neuen Fassade der Andräkirche gegenüber?

Kommenden Sonntag, am 5. Dezember 2010, wird die Außenrenovierung der Andräkirche in Graz mit einem Festgottesdienst gefeiert.

Es ist nicht neu, dass Pfarrer Hermann Glettler, seines Zeichens auch Kunsthistoriker, in seiner Kirche immer etwas andere Wege geht: seit 1999 erweitert er den Kirchenraum der frühbarocken Kirche mit Interventionen zeitgenössischer Künstler. Von 2002-2010 wurden sämtliche Kirchenfenster neu gestaltet, die bereits am Dienstag, dem 1. Dezember 2010, am Tag des Heiligen Andreas, der Öffentlichkeit präsentiert wurden. Einer, der schon viel für die Kirche getan hat, ist der renommierte, in Graz und Los Angeles lebende Künstler Gustav Troger. Von ihm stammen der Altar sowie die Gestaltung einer Säule und eines Fensters, 2005 präsentierte er sich als Hermann Nitsch im Kirchenraum und dieses Jahr wurde er mit der Neugestaltung der Fassade betraut.
Die Kirche präsentiert sich nunmehr zurückhaltend in der Farbgebung, in gebrochenem Weiß, in leichter Nuancierung sind Fensterumrahmungen, Pilaster und Gesimse der Neorenaissance-Fassade im Norden dunkler hervorgehoben. Wären da nicht die bunten Aufschriften in unterschiedlichsten Schriftarten, die scheinbar willkürlich auf die Fassade gesetzt, die Harmonie der Symmetrie stören, um Passanten zu irritieren.
Über dem Portal ein "gelbes trikot", die Kreuzigungsgruppe an der Ostfassade zweiseitig umrahmt von "science fiction", "zarte worte", "Pinocchio", "Anno dazumal, "Aura" für die Barbara-Kapelle, ein "Blaues Wunder" an der Westfassade und so weiter.

Aby Warburg, Vordenker der Ikonographie als die wissenschaftliche Methode der Deutung von Bildinhalten, wäre nicht nur dem "e-mail for you" mit "Skepsis" gegenübergestanden.
"Mozart" und "Pinocchio" als Heilige? Das "gelbe Trikot" als christliches Symbol? "Bald" als Kategorie christlichen Lebens?

Die klassische Art der Deutung greift also vorläufig zu kurz, außer man sieht darin eine bewusste Provokation, wenn man den Begriffen das genaue Gegenteil der ursprünglichen Intention von Bildprogrammen als Hinweisschilder zur Unterscheidung von Gut und Böse unterstellt. Aber wie passen dann das Blaue Wunder, Sonnenblume und Mauer in diesen Kanon? Alles Überinterpretation! Vielleicht ein Zitat auf eine informierte Oberfläche, nicht mit den Mitteln neuer Medien, sondern einfach analog oder vielleicht ganz einfach das lustvolle Spiel, mit Begriffen an der Wand Menschen zum Nachdenken anzuregen.

Und das ist wohl in jedem Fall geglückt, unter Beibehaltung der Aura des Ursprünglichen.

Festgottedienst, Außenrenovierung
WANN: Sonntag, 5. Dezember 2010
* 10:15 Uhr: Internationaler Gottesdienst
* 11:30 Uhr: Segnung der Kirche
Musik, Bewirtung und Begegnung
* 14:00 Uhr: Kunststatement von Gustav Troger
WO: Andräkirche Graz, Kernstockgasse 9

*) Aby Warburg stellte 1925 sein Seminar über die italienische Kunst der Frührenaissance unter diese Maxime.

Verfasser/in:
Ute Angeringer-Mmadu
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