20/03/2012
20/03/2012

Die ArbeiterInnen verlassen die Fabrik,
R: Katharina Gruzei, © Katharina Gruzei

Die Summe meiner einzelnen Teile, R: Hans Weingartner ©WildbunchGermany
Spielfilm, DE 2011, 120 min.

Low Definition Control (Malfunktion #0)R: Michael Palm ©Michael Palm/sixpackfilm
Dokumentarfilm, AT 2011, 95 min.

Tlatelolco, R: Lotte Schreiber ©sixpackfilm
Dokumentarfilm, AT 2011, 75 min.

Richtung Nowa Huta, R: Dariusz Kowalski ©Dariusz Kowalski
Dokumentarfilm, AT 2012, 78 min.

Ferry Radax, Portrait(c)sixpackfilm, Videographie I – Vestenötting (1945)
Personale: Radax, AT 2007-11, 46 min.

Ferry Radax, Portrait(c)sixpackfilm, Videographie I – Vestenötting (1945)
Personale: Radax, AT 2007-11, 46 min.

Warten, bis es dunkel wird
Eine Anmerkung und sechs Empfehlungen zur Diagonale 2012 in Graz

Trailer:
„Ocean’s Eleven“ ist auch dem gelegentlichen Kinobesucher wahrscheinlich ein Begriff. Eher nur Cineasten wissen, dass der 2001 gedrehte Steven Soderbergh Film ein Remake eines Filmes aus 1960 ist, der im deutschen Sprachraum zu „Frankie und seine Spießgesellen“ umgetitelt wurde. Beiden Streifen gemeinsam ist, dass sich darin als Hauptdarsteller die zur jeweiligen Zeit gefragtesten Hollywood-Schauspieler tummelten und dass als Plot aus einem Casino viel Geld abgezweigt wurde.

Käme nun ein österreichischer Filmemacher auf den Gedanken, ein nationales Re-Remake zu machen, der Titel „Hocheggers Elf“ würde ihm schnell durch den Kopf geistern. Auch „Peter und seine Spießgesellen“ könnte einfallen. Gut, der Konsulent (was ja übrigens auch schon wieder ein feiner Titel wäre) ähnelt nur weitläufig George Clooney, bei einer Brad Pitt und K.-H. Grasser Gegenüberstellung wäre Angela gegenüber Fiona um eine deutliche Beinlänge vorn und so bereitwillig wie Frank Sinatra, Dean Martin oder Sammy Davis jr., die Hauptdarsteller im Erstling, würde auch kein österreichisches „Rat Pack“, egal ob blau oder schwarz, auf einer öffentlichen Bühne singen.
Aber würde man aus einem casinoähnlichen Betrieb große Geldmengen privatisieren – das Leitmotiv bliebe erhalten.
Möglicherweise fragt sich seit einigen Zeilen der Leser, was das alles mit der aktuellen Diagonale zu tun hat? A1 Telekom – die aktuell wahrscheinlich längste Skandalnudel der Welt – bisher auch einer der Hauptsponsoren des Festivals, muss seit heuer „kostenbewusst agieren“. Für die Diagonale wie für eine Reihe von anderen bisher gesponserten Festivals bedeutet das im Verteilungsroulette nun Zero, komplette Streichung der bisherigen Unterstützung.
Nach all der enthemmten, finanziellen Hüllenlosigkeit der Telekom in den politischen Räumen darf sich nun die Kunst wieder warm anziehen. Auch wenn jeder Sponsor das Recht hat, zu entscheiden, mit wem und wie lange er will, fällt einem zu dieser Aktion nur das Wort „bigott“ ein.

Hauptfilm:
Trotz dieser, dem Grazer Festival von A1 erst im Jänner präsentierten „Kündigung“ konnte Barbara Pichler, die Intendantin, heuer doch noch eine Diagonale in voller Länge realisieren. Vom 20. bis 25.März werden wieder rund 130 Filme gezeigt. Der Wettbewerb umfasst sieben Spielfilme; Dokumentationen und Kurzfilmschwerpunkte bilden den Kern der Präsentationen und Höhepunkte österreichischen Filmschaffens des vergangenen Jahres runden das Festival ab.

Was kann dem Architekten nun empfohlen werden? Zunächst einmal, während das Rendering läuft, eine Blaupause einzulegen, seine persönliche Statik zu verändern und sich in ein Kino einzubauen.

Als geeignetes Mittel und zugleich als Österreichpremiere liefert Hans Weingartner dafür „Die Summe meiner einzelnen Teile“ ab. Sein vierter Langspielfilm gräbt sich wieder tief in die menschliche Seele. Er erzählt vom Scheitern unter pausenlosem Leistungsdruck, vom Burn-out und von einer Flucht aus Geschwindigkeit und Erfolgszwängen. Für den Mathematiker Martin, der nach Nervenzusammenbruch und Psychiatrieaufenthalt sein Leben unter Obdachlosen im Wald neu finden möchte, sind – um den erfolgreichsten Film Weingartners zu zitieren – die fetten Jahre vorbei.

Ebenfalls von berechtigter Paranoia wird „Low Definition Control (Malfunktion #0)“ begleitet. Michael Palm, der durchaus auch als filmischer Mathematiker gesehen werden kann und 2009 für „Laws of Physics“ mit dem Diagonale-Preis für innovatives Kino ausgezeichnet wurde, experimentiert nun mit der rasch zunehmenden „Entöffentlichung“ des öffentlichen Raumes durch immer zahlreichere flächendeckende Überwachungssysteme. „Low Definition Control“ ist eine Studie über den „gesellschaftlichen Verlust der Unschuldsvermutung“. (Zitat aus dem Verleihtext der sixpackfilm)

„Richtung Nowa Huta“ reiste Dariusz Kowalski zurück. Als Jugendlicher flüchtete der Regisseur aus der ehemaligen polnischen Stahlstadt, die mittlerweile von Krakau eingemeindet wurde. Ein Vierteljahrhundert später portraitiert Kowalski den nun stark veränderten Ort. Er verzichtet auf reine Vergangenheitsbewältigung und zeigt stattdessen das gegenwärtige Nowa Huta und seine Bewohner.

Mario Pani Darqui prägte mit öffentlichen Gebäuden und Wohnbaugroßprojekten maßgeblich das Stadtbild Mexiko Citys in den 1940er- bis 1960er-Jahren. Der 1964 fertiggestellte Unidad Habitacional Nonoalco-Tlatelolco ist der größte Apartmentkomplex in Mexiko-Stadt und sollte nach Panis Vorstellung eine Stadt in der Stadt sein, ein Ort, der ausreichend Infrastruktur und Arbeitsplätze bietet, den somit kein Bewohner mehr zu verlassen braucht. In Parallelbildern erforscht Lotte Schreibers Dokumentation „Tlatelolco“, was knapp fünfzig Jahre später von dieser gescheiterten Idee übrig geblieben ist.

„Die Hosentasche umdrehen und von innen mit Hartschaum ausschäumen“ ist noch einer der harmloseren Vorschläge von Cornelius Kolig. Fünfzehn Minuten – das ist die Filmlänge – darf man sich im Garten Eden des Kärntner Künstlers aufhalten. Er baut nun seit den 1960ern unbeirrt an seiner Utopie, unbeschadet von Naturkatastrophen wie Hochwasser oder Jörg Haider. Sasha Pirkers „Anleitungen an die Ewigkeit oder/or Don’t Fuck with Paradise“ lässt Bilder stehen und Kolig reden.

Abspann
Mit Ferry Radax widmet die Diagonale wohl einem der vielseitigsten Avangardefilmkünstler Österreichs eine Personale. Rechtzeitig zum achtzigsten Geburtstag werden in Graz zwölf Filme gezeigt. Unter anderem läuft auch als Uraufführung sein aktuellstes, autobiographisches Werk „Videographie I – Vestenötting (1945)“.

Termine:

Die Summe meiner einzelnen Teile
Spielfilm, DE 2011, 120 min.
Freitag 23.03.
21:00 Uhr, KIZ Royal

Low Definition Control (Malfunktion #0)
Dokumentarfilm, AT 2011, 95 min.
Donnerstag 22.03.
11:00 Uhr, UCI Annenhof Saal 6
Samstag 24.03.
16:00 Uhr, KIZ Royal

Richtung Nowa Huta
Dokumentarfilm, AT 2012, 78 min.
Mittwoch 21.03.
18:30 Uhr, UCI Annenhof Saal 5
Freitag 23.03.
11:00 Uhr, UCI Annenhof Saal 6

Tlatelolco
Dokumentarfilm, AT 2011, 75 min.
Mittwoch 21.03.
18:30 Uhr, Schubertkino 2
Donnerstag 22.03.
13:30 Uhr, Schubertkino 2

Cornelius Kolig – Anleitungen an die Ewigkeit oder/or Don’t Fuck with Paradise
Dokumentarfilm, AT 2011, 15 min.
Donnerstag 22.03.
11:30 Uhr, Schubertkino 1
Samstag 24.03.
18:30 Uhr, Schubertkino 2

Videographie I – Vestenötting (1945)
Personale: Radax, AT 2007-11, 46 min.
Samstag 24.03.
14:00 Uhr, Schubertkino 1

Ticketvorverkauf im Festivalzentrum Kunsthaus Graz (10.00–17.00 Uhr) und im Café Promenade (täglich 10.00–18.00 Uhr).
Tickets können auch telefonisch unter 0316 / 822 81 822 oder ONLINE mit Kreditkarte gekauft werden.

Verfasser/in:
Emil Gruber, Empfehlung
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