28/02/2021

Essay von Bernhard Hafner in der Reihe sonnTAG

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28/02/2021

Abb. 1, Dispersion

©: Bernhard Hafner

Abb. 2, Centers

©: Bernhard Hafner

Abb. 3, Low Density

©: Bernhard Hafner

Abb. 4, Corridors Concept

©: Bernhard Hafner

Abb. 5, Centers Concept, Entropie der Verteilung von industriellen oder kommerziellen Arbeitsplätzen, Barbara und Bernhard Hafner, 1969, Grafik

©: Bernhard Hafner

Abb., 6, Centers Concept, Entropie der Verteilung von Bevökerung und kommerziellen Arbeitsplätzen, Barbara und Bernhard Hafner, 1969, Grafik

©: Bernhard Hafner

Wann funktioniert eine Stadt gut, lässt es sich gut in ihr leben? Wann eine große Stadt, wann eine Stadt, die durch Flächengewinn groß geworden ist? Vorweg: Mit Stadt meine ich hier einen durchgehend städtisch besiedelten Raum, nicht den Siedlungsraum innerhalb von Gemeindegrenzen. Warum, das wird sich zeigen.
    In einer gut funktionierenden Stadt können Einwohner den Teil der Stadt zur Stadt machen, in dem sie ihr Leben führen. In einer mittelgroßen Stadt, wie es Graz im Großen und Ganzen in den 1950-iger Jahren war, kann das der Lage des Lebensmittelpunktes entsprechend ein großer Teil der Stadt sein. Etwa vier Jahrzehnte blieb das so. Im Arbeitsmarkt allerdings war es die ganze Stadt. Heute ist das nicht mehr so. Teile der Stadt sind keine Bereiche mehr, in denen man sich selbst versorgen kann, ausgenommen vielleicht, wenn man in Rente oder Pension ist. Dazu mehr über die flächengroße Stadt. In einer kleinen Stadt, etwa einer Bezirkshauptstadt, ist der Teil, in dem die allgemeinen Bedürfnisse des Familienlebens befriedigt werden können, kein Teil der Stadt, sondern die ganze Stadt. Die entscheidende Ausnahme ist der Arbeitsmarkt. Der ist regional.
    Wie groß aber ist die große Stadt? Das heißt die Stadt, über die ich hier sprechen will. Statistische Größen, etwa die Bevölkerung, helfen nicht. Die Stadt, in der sich gut leben lässt, ist eine Stadt, in der man in guter Erreichbarkeit und geringer zeitlicher Distanz den Arbeitsplatz, geeignete Einkaufsmöglichkeiten, Kindergärten und Einrichtungen des primären und sekundären Bildungswesens, Grünraum und Erholung vorfindet sowie Dienstleistungen unterschiedlicher Art. In der großen Stadt findet man diese Angebote in einem Teil davon. Man findet sie in einer Stadt-in-der-Stadt. Man kann sie das urbane Feld des Stadtteilbewohners nennen, das Feld, das sich aus der Lebensführung ergibt. Man kann auch in einem Teil der Stadt Städter sein und, wenn man es braucht, kann man über den Tellerrand hinausschauen und an dem teilhaben, was man dort findet.
    Am 15. 2. 2021, da ich das handschriftlich aufsetze, schreibt Lora Kelley in der New York Times Opinion Today: What love can look like. „Every time I walk into Poetica Coffee in Brooklyn, a sense of calm washes over me: Coffee is near. My banter with the delightful baristas is always the same. They ask how I am; I say “OK.” They ask if I want a fresh croissant with my Americano; I, though tempted, decline. The coffee there is tasty. But I am also grateful for the vibe, for the routine, for the familiar kindness of everyone who works there. Local places like this make a neighborhood feel like home.” In Love Letters to Small Businesses schreibt sie: “Small businesses make communities – whether densely populated urban areas or small towns – feel like home”. Ms. Kelley wohnt also in Brooklyn, im Osten jenseits des East River und arbeitet wahrscheinlich in Manhattan und benützt die Subway auf dem Weg dorthin.
    Brooklyn wie die Bronx, Queens oder Manhattan ist eine sehr große Stadt-in-der-Stadt von New York City, einer sehr großen Stadt, die Mobilität bei der Wahl von Wohnort und Arbeitsplatz voraussetzt, wenn man ein gutes Leben führen will. Es gibt keine Scholle, auf der man kleben kann.
    Wie lebt es sich im erweiterten Bereich einer Stadt-in-der-Stadt, einer sehr großen Stadt? LA war für mich jahrelang nicht das Gemeindegebiet der Stadt Los Angeles, nicht das County dieses Namens, nicht die Standard Metropolitan Statistical Area (SMSA) Los Angeles mit über 100 Gemeinden, sondern ein Teil davon. Ein Teil ist Teil der Stadt Los Angeles mit Westwood, wo ich anfänglich wohnte und an der UCLA unterrichtete und forschte. Ist die Stadt Santa Monica, wo meine Frau und ich dann am Strand in einem Apartment der Richard Wilson’s wohnten. Ist die Stadt Beverly Hills mit dem Konzertsaal und ist Hollywood. Aber auch die Santa Monica Mountains und das Valley sind Teil davon, solange Heidulf Gerngroß und Horst Hönig mit Familie dort wohnten. Ist eben das, wo es mir gefiel. Das meinte ich mit LA als meiner Stadt. Gemeindegrenzen sind im täglichen Leben im städtischen Umfeld nachrangig. Sie sollten es auch für die Stadtplanung sein.

Wann funktioniert eine Stadt nicht gut? Zu sagen, sie funktioniere nicht gut, wenn es sich in ihr nicht so leben lässt wie in der gut funktionieren Stadt ist treffend, aber nicht aufschlussreich. Folgen wir einem anderen Weg. Denken wir an eine mittelgroße Stadt, die sich in ihrem Wirkungsbereich durch Wanderung, Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum in Randlagen über Ihre Grenzen hinaus ausgedehnt hat, ein mittelgroßes städtisches Gebilde geworden ist. Wir beziehen uns auf Verhaltensmuster der Bewohner dieses Gebildes, wie es vor allem die Beziehung zwischen Ort des Wohnens und Ort des Arbeitens betrifft. Mit Aufnahmen von Quell- und Zielverkehr können wir ein solches Muster nachweisen. Wie gesagt, Gemeindegrenzen sind in diesem städtischen Umfeld nicht maßgeblich. Nun gibt es Flächenbezirke dieses Gebildes, die selbst Gemeinden sind und die insgesamt als Ganzes wirken, ohne dass jemand für die Wechselwirkungen verantwortlich ist. Die Landesplanung hat sich selbst abgeschafft. Der Markt soll nicht nur Markt sein, er soll zugleich Planer und Kontrolleur sein. Diese Flächenbezirke des städtischen Feldes, die selbst eigene Gemeinden sind, haben eine eigene Bevölkerungsstruktur hinsichtlich Alter, Ausbildung, Einkommen und sozialem Selbstverständnis. Auch politisch sind sie ihr eigener Biotop. Die Person, die sich ihnen zugehörig sieht, hat ein eingeschränkt gutes Leben, denn die Teilnahem an sozialen Einrichtungen, die ich für ein gutes Leben in der Stadt halte, ist örtlich nur teilweise gegeben und erfordern das Auto als Mittel der Mobilität. Das örtlich Gegebene wird für ausschlaggebend dafürgehalten, sich sozial gut lebend zu fühlen. Man muss zwar auf langen Wegen zur Arbeit fahren, hat aber gute Verbindungen im ÖNPV oder fordert diese ein. Fußwege sind länger, es gibt geringere Vielfalt und Erreichbarkeiten sind größer außerhalb des Gebietes, in dem man wohnt.
    Es gibt einen großen Unterschied zwischen dem Leben in einer (mittel)großen Stadt und dem leben in einem flächengroßen städtischen Gebilde, als was ich die flächengroße Stadt betrachte. In der ersten gibt es Vielfalt und Abwechslung der Nutzung durch Durchmischung von vielerlei Einrichtungen und vielfach eine höhere Bebauungsdichte. Es ist sozusagen in Teilen immer etwas vom Ganzen vorhanden. In der zweiten gibt es das alles nur in großen Zeitdistanzen, wenig örtlich. Und es gibt vielfach Brachen monofunktionaler Nutzungen, etwa reine Wohngebiete oder Gewerbegebiete und Trennung von White Collar und Blue Collar Workers.

Man kann auch mit weniger Vielfalt auskommen und weitere Entfernungen in Kauf nehmen. Man schadet sich dabei ohnehin nur selbst. Man handelt nicht mutwillig. Man handelt des eigenen besseren Lebens wegen. Aber man schadet anderen. Und wen geht das schon was an? Die Städte- und Landesplanung jedenfalls nicht.

Abbildungen
Abb. 1 – 4
, Alternative Stadtentwicklung für die Los Angeles Metropolitan Area, aus „Concepts for Los Angeles, Department of City Planning“, 1967.
    Abb. 1, Dispersion
    Abb. 2, Centers
    Abb. 3, Low Density
    Abb. 4, Corridors Concept.
Die angegebenen Zahlen betreffen die Bevölkerung in der Study bzw. Los Angeles City Area: 10/ 5 Mio, 10/ 1Mio, 8.5/4.5 Mio, 8.5/4.5 Mio. Hinweis: Im Centers Concept sollte die Entwicklung eher in Subzentren als im Zentrum stattfinden.
    Abb. 5, Centers Concept, Entropie der Verteilung von industriellen oder kommerziellen Arbeitsplätzen, Barbara und Bernhard Hafner, 1969, Grafik
    Abb. 6, Centers Concept, Entropie der Verteilung von Bevökerung und kommerziellen Arbeitsplätzen, Barbara und Bernhard Hafner, 1969, Grafik

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