07/10/2015

Welche Bedeutung nimmt das monolithische Bauen auch abseits von bautechnologischen Aspekten in unserer Alltagskultur ein?  

Ein Essay von Matthias Graf von Ballestrem, Gastprofessor für Baukonstruktion und Entwerfen, Institut für Architektur, TU Berlin.

Dieser Artikel erscheint im Rahmen des GAT-Schwerpunkts Monolithisch Bauen

07/10/2015

Die Fassade als programmierte Oberfläche

©: Matthias Graf von Ballestrem

Offensichtlich sind die Vorteile des monolithischen Bauens im Kontext des nachhaltigen Bauens: wartungsarm, langlebig, robust, und durch die Weiterentwicklung der Baustoffe Ziegel und Beton inzwischen auch wärmedämmend. Das jüngst wiederauflebende Interesse am monolithischen Bauen allein mit den Bemühungen um Ressourcenschonung begründen zu wollen, scheint jedoch schon deshalb nicht ganz treffend, da es so gar nicht zu den Prognosen der Entmaterialisierung unserer baulichen Umwelt im digitalen Zeitalter passen will. Es stellt sich die Frage, welche Bedeutung das monolithische Bauen auch abseits von bautechnologischen Aspekten in unserer Alltagskultur einnimmt. 

Bereits 1984 beschreibt Virilio die Auflösung altbekannter Grenzen in der Stadt durch die Weiterentwicklung der Kommunikations- und Telekommunikationsmedien. „Die Opazität der Baustoffe geht gegen null“, die Stadt würde transparent (1). Die Oberfläche der Gebäude, die einst Grenze war, wandle sich nun zum Interface – „ein ortloser Ort“. Fassaden würden zu Bildschirmen, auf welchen alles „im selben Augenblick überall sein kann“ (2). Einfriedungen und Begrenzungen seien „nicht mehr so sehr ein dauerhaftes materielles Hinderniss als vielmehr die Unterbrechung einer Übertragung“ (3). Positionsunterschiede verschwänden, Gebäude bildeten kein klares Gegenüber mehr. Die Stadt, wie wir sie kannten, sei nichts weiter als „das Fossil von vergangenen Gesellschaften, in denen die Techniken noch eng mit der sichtbaren Veränderung der Materialien verbunden waren“ (4). 

Was Virilio bereits vor der Allgegenwärtigkeit smarter Technologien in unserer Lebenswelt beobachtete, ist heute an unseren Geräten noch viel deutlicher nachvollziehbar: „Zweifellos liegt das Geheimnis der iPads in ihrer Oberfläche“ (5), so beschreibt Kurt W. Forster die magischen Qualitäten der Tablets. Tatsächlich verwandelt sich darin die begrenzte und materielle Oberfläche in eine nahtlose Reihe von Fenstern und Filmen, die immer andere Verbindungen mit unterschiedlichen bildhaften Inhalten hervorzaubern und die sich einer Verortung mit Ansage und Absicht entziehen. In der Unendlichkeit ihrer Bild- und Verbindungsmöglichkeiten widerspricht der Touchscreen dem Wesen des Dings, wie wir es kannten. Die interaktive Fläche nimmt in der neuesten Generation der smarten Geräte so viel Raum ein, dass diese fast nicht mehr Ding, sondern nur noch instabiles Bild zu sein scheinen (6).

Die Fixierung auf die Oberfläche, die die digitale Welt bestimmt, so wird hier beobachtet und vor allem prognostiziert, weitet sich immer mehr auch auf unsere tägliche physische Umgebung aus. Die Wahrnehmungsqualitäten der digitalen Oberfläche scheinen jedoch auf ein solches Phänomen wie den monolithischen Bau nicht anwendbar. Im Gegenteil: Wir kennen den unangenehmen Wahrnehmungssprung, wenn eine Fuge das scheinbar Monolithische als Fassade entlarvt, als „programmierte“ Oberfläche, die nicht das ist, was sie zu sein scheint. Anstelle einer zuvor empfundenen ruhig lagernden, geschichteten Gebäudemasse schiebt sich nun die bemüht hängende und plötzlich unangenehm schwere Oberfläche in den Vordergrund. Keine Ganzglasfassaden, auch weniger einen Vollholzbau bezeichnen wir als monolithisch, sondern in erster Linie das massiv Steinerne – und damit verbunden die sinnliche Nachempfindung eines ruhenden Baus. Das Material, das sich an der Oberfläche zeigt, ist die Begrenzung einer Masse, die aus ebendemselben Material besteht. Diese Beschaffenheit kann man unter Umständen erfühlen, sie offenbart sich meist an der Tiefe der Öffnungen und eben den fehlenden Fugen. Es entsteht dabei die Empfindung eines trägen und schweren Baudings, eines unveränderlichen ruhenden und unbeweglichen Gegenübers, das auch morgen noch in der gleichen Gestalt vorhanden sein wird. Auch wenn es nur seine Oberfläche zeigt, ist diese nur die Begrenzung seiner inneren Masse. Es ist ganz und gar und dadurch in seiner Erscheinung begrenzt, nicht umprogrammierbar. In seiner Begrenztheit stellt es sich dennoch dem Wahrnehmenden immer unterschiedlich dar, nimmt je nach Licht und Wetter unterschiedliche Erscheinungsformen an und bleibt dabei immer unzweifelhaft als das erkennbar, was es ist. Auch die Abnutzung der Oberfläche enthüllt immer wieder das gleiche geduldige Material. Somit bleibt es auch im Vergehen beständig, was es ist.

In diesem trägen, begrenzten und einfachen Wesen steht das monolithische Bauen der digitalen Kultur der flüssigen Oberflächen entgegen. Und damit ist es nicht allein. Allgegenwärtig wächst das Interesse an fast schon antidigitalen Dingen. Man könnte diesen Trend „slow products“ nennen, insofern er die dauerhaften, aus guten Materialien kunstfertig hergestellten Dinge favorisiert. Ein Trend, der nicht nur als Kritik einer kleinen, geschmacksbildenden und gutverdienenden Gruppe an der wachstumsgetriebenen Wegwerfgesellschaft gelesen werden kann (7). Kürzlich widmete sich eine dreiteilige Serie der BBC dem „handmade“. In langen, unkommentierten Festeinstellungen feiert die Kamera den kunstfertigen Umgang des Glasbläsers, Schmieds und Tischlers beim Umgang mit dem Material und dem Formen eines Produkts, in das die bedachte Langsamkeit seiner Herstellung einbeschrieben ist. Die BBC zeigt diese Serie in ihrem Programmteil „BBC Four Goes slow“ in den frühen Morgenstunden – als einen Gegenpol zum Tempo des Tages. Und ganz in diesem Sinne sind diese Produkte und im Besonderen der monolithische Bau Gegenpole zur digitalen Flüchtigkeit, ein Pulsmesser einer anderen Zeit. In einer Alltagswelt, die im Digitalen durch das Fliegen durch Ort und Zeit bestimmt ist, bildet der monolithische Bau in seiner Dauerhaftigkeit einen Rahmen, der eine Permanenz von Ort und Zeit manifestiert. Die Vielfältigkeit des Bildschirms einerseits und das ruhende, einfache Gebäude andererseits bedingen sich dabei gegenseitig und entsprechen dem Menschen in seiner Zweisamkeit zwischen wanderndem Geist und verorteten Körper. Aus dieser Sicht könnte das neue monolithische Bauen nicht als eine Gegenbewegung im Sinne eines „objective turn“ (8), sondern als parallel verlaufende Ausgleichbewegung zu einem sich bedingenden Gleichgewicht verstanden werden.


(1) Virilio, Paul: Die Auflösung des Stadtbildes (1984). In: Jörg Dünne, Stephan Günzel, Hermann Doetsch und Roger Lüdeke (Hg.): Raumtheorie : Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften. 8. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2015, S. 261–272, S.262.
(2) ebd. S.266.
(3) ebd. S.266.
(4) ebd. S.272.
(5) Forster, Kurt W.: Above the Trash. Momente eines objective turn in Architektur und Design. In: Jörg H. Gleiter (Hg.): Symptom Design. Vom Zeigen und Sich-Zeigen der Dinge. Bielefeld: transcript, 2014, S. 21–38, S.32.
(6) vgl. hierzu: Kuni, Verena: Wenn aus Daten wieder Dinge werden. "From Analog To Digital and Back Again"? In: Elisabeth Tietmeyer, Claudia Hirschberger, Karoline Noack und Jane Redlin (Hg.): Die Sprache der Dinge. Kulturwissenschaftliche Perspektiven auf die materielle Kultur. Münster, New York, NY, München, Berlin: Waxmann (Schriftenreihe / Museum Europäischer Kulturen , [Bd. 9]), 2010, S. 185–193, S. 185.
(7) vgl. hierzu: Stölzl, Christoph: Von Hand gefertigt. In: Cicero - Magazin für politische Kultur. 22.12.2009. Online verfügbar unter http://www.cicero.de/kapital/von-hand-gefertigt/40440, zuletzt geprüft am 02.09.2015.
(8) vgl. hierzu: Forster, 2014, s.o.

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