04/01/2008
04/01/2008

Mariahilferplatz 01.01.2008, Videowall mit Live-Übertragung des Neujahrskonzertes der Wiener Philharmoniker

Mariahilferplatz 01.01.2008, für alle, denen es im Freien zu kalt ist, gibt es die Übertragung auch im Zelt.

Mariahilferplatz 01.01.2008

Mariahilferplatz 01.01.2008

Der Mariahilferplatz, Foto: Herbert Missoni

Oder warum lieben die Grazer die italienische Piazza, während sie selbige in Graz einfach nicht auszuhalten scheinen? Spurensuche am Mariahilferplatz im Laufe des Jahres.

Genauso leidenschaftlich wie die Bewohner der Stadt im Sommer in die Städte unserer südlichen Nachbarn pilgern, um das wunderbare Flair der dortigen Plätze zu inhalieren, genauso leidenschaftlich scheinen sie alles daran zu setzen, solches auf den Plätzen der eigenen Stadt nicht aufkommen zu lassen. Ein Phänomen, für das ich bislang keine zufriedenstellende Antwort finden konnte.

Zwar wurde in den letzten Jahrzehnten eine erkleckliche Anzahl von Grazer Plätzen neu gestaltet und viele schöpften das Potenzial der Qualität eines Platzes als freie Fläche in der Stadt, in der das öffentliche Leben stattfindet, also als Ort der Kommunikation, der Zusammenkunft und des Austausches, aus. Sobald jedoch ein Platz zu viel Fläche zeigt – gleichsam als ob das etwas Unanständiges wäre – macht man ihn wieder zu! Und was sich die Stadt dazu alles einfallen lässt, ist mitunter so skuril, dass es wert ist, einen solchen Platz über ein Jahr lang zu begleiten. Vor allem dann, wenn dieses Schauspiel pünktlich am 1. Jänner beginnt. Dass ich den Mariahilferplatz auswähle, hat damit zu tun, dass er schon seit Jahren unter meiner Beobachtung steht, als ein Platz, der eben jene platztypischen Parameter erfüllt, diese jedoch nie für sich beanspruchen kann, weil ein Ereignis, neuer gesagt ein Event das nächste jagt, und ich trotz meiner mittlerweile eingeübten Abgebrühtheit in dieser Sache mitunter immer noch staunen kann.

Der Mariahilferplatz gehört neben dem Hauptplatz, dem Freiheitsplatz, dem Karmeliterplatz, dem Tummelplatz und dem Franziskanerplatz zu den sechs beliebtesten öffentlichen Plätzen in Graz. So steht es auf der Homepage der Stadt Graz, im Wirtschaftsteil in der Rubrik als beste „Bühne“ für Veranstaltungen. Eine doch etwas eigenartige Definition von Öffentlichkeit. Der Mariahilferplatz wurde 1994 vom Architekturbüro Team A Graz samt Tiefgarage neu gestaltet und überzeugt durch seine Offenheit unter Einbeziehung weniger Elemente: eine schlichte Bodengestaltung, Wasser, das direkt aus dem Boden kommt, eine zurückhaltende Lichtregie, ein Baum und sparsam situierte Möbel. Den Rest bewerkstelligt ohnehin das umliegende Panorama, ein öffentlicher Platz, der diese Bezeichnung verdient.

„Ein neues Instrument im Orchester der städtischen Ereignisse steht zur Verfügung. Sein Part wird sich jedoch erst im Zusammenwirken der Bewohner der Bezirkes mit den übergeordneten Stellen der Stadt – von Kultur, Wirtschaft, Kirche und Politik – finden müssen. Stadtregie ist notwendig, um Stadtkultur zu animieren.“ Als Architekt Herbert Missoni die Beschreibung für das Projekt verfasste, hat er wohl kaum daran gedacht, wie wörtlich ihn die Stadtregierung nehmen würde – an jenem 1. Jänner 2008, am Vorabend anstehender Grazer Gemeinderatswahlen. Als nämlich der Bürgermeister selbst alle Grazerinnen und Grazer einlud, das neue Jahr mit ihm und den Wiener Philharmonikern bei Kaffee und Kuchen ausgerechnet am Mariahilferplatz, beziehungsweise im tagelang zuvor schon aufgestellten, weil aufzuheizenden Zelt zu begrüßen.

Warum so wenige Bewohnerinnen und Bewohner der Einladung gefolgt sind, weiß ich nicht, aber vielleicht reicht den Menschen so viel Event schon und weil wir uns doch das Neujahrskonzert schon immer im Fernsehen angehört haben.

Mal sehen, was die Menschen als nächstes auf den Platz locken soll.

Verfasser/in:
Ute Angeringer-Mmadu, Kommentar
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