08/07/2013

Wohnüberbauung Balance
1997-2002
3 Realisierungen des Konzepts:
_ in Wallisellen, Melchrütistrasse
_ in Uster, Talweg
_ in Fällanden, Letzacherstrasse

Architektur:
Haerle Hubacher Architekten, Zürich

08/07/2013

Wohnüberbauung „Balance“ in Wallisellen, Kanton Zürich von Haerle Hubacher Architekten, Zürich

©: Jakob Leb
©: Redaktion GAT GrazArchitekturTäglich

Wohnüberbauung „Balance“ in Wallisellen, Kanton Zürich von Haerle Hubacher Architekten, Zürich

©: Jakob Leb

Wohnüberbauung „Balance“ in Wallisellen, Kanton Zürich von Haerle Hubacher Architekten, Zürich

©: Jakob Leb

Wohnüberbauung „Balance“ in Wallisellen, Kanton Zürich von Haerle Hubacher Architekten, Zürich

©: Jakob Leb

Wohnüberbauung „Balance“ in Wallisellen, Kanton Zürich von Haerle Hubacher Architekten, Zürich

©: Jakob Leb

Wohnüberbauung „Balance“ in Wallisellen, Kanton Zürich von Haerle Hubacher Architekten, Zürich, Lageplan

Wohnüberbauung „Balance“ in Wallisellen, Kanton Zürich von Haerle Hubacher Architekten, Zürich, Grundriss

Flexibler Geschoßwohnbau und die Wohnüberbauung „Balance“ in Wallisellen, Kanton Zürich, von Haerle Hubacher Architekten, Zürich
 
„Die Neutralität des Grundrisses, seine vielfältige Nutzbarkeit, seine reversible Unterteilbarkeit und seine Realisierbarkeit als bewohnbarer Rohbau sind die konzeptionelle Grundlage des Projekts. Die Wohngeschosse werden grundsätzliches als ganzes verkauft.“ [1]

Das Wohnkonzept Balance von Haerle Hubacher Architekten, das im Raum Zürich nach der Jahrtausendwende dreimal zur Ausführung kam, ist gestapelte Verdichtung von Eigenheimen in Kernhäusern. Als Beispiel für flexiblen Geschoßbau eignet es sich besonders gut, um die Grundsätze von mehrgeschoßigen Baustrukturen, die durch Planungs- und Nutzungsflexibilität Möglichkeiten für Mitbestimmung der Nutzenden bieten, darzustellen. Gleichzeitig sind die Besonderheiten der Konzeption von Hearle Hubacher Architekten sowie auch die Art der Projektentwicklung bemerkenswert.
In der Ausstellung Wohnmodelle von Oliver Elser und Michael Rieper im Künstlerhaus Wien wurde die Wohnüberbauung Balance in Uster als eines von elf internationalen Architekturexperimenten [2] anhand von Wohnerfahrungen auf Alltagstauglichkeit hinterfragt. „Bewährt sich eine Regalstruktur, bei der die Bewohnerinnen und Bewohner in ihrem Abschnitt größtmögliche Freiheiten haben, und spielt es eine Rolle, ob sie selbst einen Beitrag zum Ausbau ihres Bereichs einbringen?“.
Übereinstimmend mit Erkenntnissen aus anderen Modellwohnbauten wird festgestellt, dass sich durch flexible Bauweisen individuelle Aneignungsprozesse und somit das „Identifikationspotenzial zur eigenen Wohnumgebung durch teilweise Selbstbaumaßnahmen wesentliche erhöhen lässt.“ [3]
Diesem Ansatz der Unterschiedlichkeit der Individuen in Wohnarchitekturen [4] Raum zu geben, stellen Elser und Rieper, am Eingang zu ihrer Ausstellung, das österreichische Durchschnittswohnzimmer [5] gegenüber. Wie individuell sind unsere Wohnwünsche wirklich „Fragezeichen“ [6].
"Die Standards des Individuellen" [7] waren in anderer Weise Ausgangspunkt für Jesko Fezer und ifau sowie Heide & von Beckerath, um die Primärstruktur für das aktuell fertig gestellte Baugruppenprojekt Ritterstrasse 50 in Berlin, gemeinsam in einer Bottom-up-Strategie zu entwickeln.

Bei den drei Wohnprojekten Balance in Wallisellen, Uster und Fällanden wurde vor rund fünfzehn Jahren der umgekehrte Weg, also Top-down, mit einem vergleichbaren Ergebnis eingeschlagen. Die Planer, Sabina Hubacher und Christoph Haerle gaben den Rahmen für individuelle Wohnräume als Edelrohbau vor und überließen den Innenausbau der Geschoßwohnungen im Wesentlichen den Benutzenden. „In diesem Sinne versucht das Balance-Konzept ein Angebot im Eigentümermarkt zu schaffen, das flexibel, groß und kostengünstig ist. Dies als Antwort auf die heutigen, sich ständig ändernden Lebensumstände … „ [8] Eine offene flexible Baustruktur mit einheitlicher Klimahülle als Antwort auf die Dynamik der Veränderung der Gesellschaft, von Familien- und Haushaltsstrukturen sowie der Wohn- und Arbeitswelten.

Einen Schritt weiter geht das Projekt Grundbau und Siedler von BEL, zu sehen auf der IBA-Hamburg. Die Primärstruktur beschränkt sich lediglich auf ein Betonregal, in das sich die zukünftigen Bewohnenden, die Siedler, je nach Bedarf ihren Wohnraum errichten. Mit dem für die VerfasserInnen überraschenden Ergebnis, dass es zu keiner vielfältigen bzw. individuellen Fassadengestaltung kam, sondern die Gestaltung der Fassade als Verantwortlichkeit der Planenden von den Bewohnenden eingefordert wurde. [9]

In der historischen Betrachtung zeichnet sich deutlich ein Naheverhältnis von Phasen sozialen und kulturellen Umbruchs mit dem Interesse an flexiblen Systemen ab. [10] In diesem Licht betrachtet scheint auch ihr Revival im Heute plausibel. Die Ausstellung Think Global, Build Social! – Bauen für eine bessere Welt, die im Juni 2013 im Deutschen Architekturmuseum DAM in Frankfurt eröffnet wurde, kann als weiterer Verweis auf die Aktualität des Themenkomplexes gewertet werden. Die angeführten Projekte sind Beispiele für eine nicht kontinuierliche Entwicklung, das Einfamilienwohnen mittels künstlicher Bauplätze, sog. Eigenheimstapel, zu verdichten. T. Schneider und J. Till beschreiben diese Geschichte des flexiblen Wohnungsbaus nicht als lineare Entwicklung, in der ein Beispiel das nächste prägt [11].  

Flexibilität im Wohnungsbau

Die Beschäftigung mit Flexibilität im Wohnungsbau erwuchs in den 1920er-Jahren aus der Strategie, der Wohnungsnot mit neuen minimalen Raumstandards innerhalb rationalisierter Bausysteme entgegenzuwirken. Während der ökonomische Druck in Deutschland zumeist zur Standardisierung von Größe, Einteilung und Möblierung der Wohnung führte, konzentrierten sich holländische Architekten wie Willem van Tijen, Johannes Van den Broek and Mart Stam auf den Nutzungsprozess und dessen Veränderungen. Flexibilität wurde zu einem Mittel der Moderne, traditionelle Wohnmuster in Frage zu stellen. Modularität und Standardisierung wurden auch zu den technischen Werkzeugen der Moderne, weil sich mit ihrer Hilfe Klarheit und Ordnung schaffen ließen. Standardisierung in der Produktion bedeutete für viele Modernisten wie Gropius und Mies van der Rohe, gleichzeitig die Flexibilisierung der inneren Organisation.

„Wirtschaftliche Gründe fordern heute beim Bau von Mietwohnungen Rationalisierung und Typisierung ihrer Herstellung. Diese immer steigende Differenzierung unserer Wohnbedürfnisse aber fordert auf der anderen Seite größte Freiheit in der Benützungsart. Es wird in Zukunft notwendig sein, beiden Tendenzen gerecht zu werden. Der Skelettbau ist hierzu das am besten geeignete Konstruktionssystem. Es ermöglicht eine rationelle Herstellung und lässt der inneren Raumaufteilung jede Freiheit. Beschränkt man sich darauf, lediglich Küche und Bad ihrer Installation wegen als konstante Räume auszubilden, und entschließt man sich dann noch, die übrige Wohnfläche mit verstellbaren Wänden aufzuteilen, so glaube ich, dass mit diesen Mitteln jedem berechtigten Wohnanspruch genügt werden kann.“ [12]

Auf das japanische Wohnhaus zurückgreifend, antizipierte Bruno Taut die variable Einraumwohnung, deren Grundriss durch leichte Trennwände jederzeit veränderbar sein sollte. „Wandlungsfähig…wie der Mensch.“ [13] Der Einsatz von Schiebeelementen ließ Mehrfachprogrammierungen der Räume zu und ermöglichte immer neue Raumbezüge. Im Vergleich dazu kommt das vernakuläre Einraumhaus für eine Vielzahl sich überlagernder Funktionen zumeist ganz ohne physische Trennungen aus. „Ohne von ihrem Stuhle aufzustehen, übersieht die Wirthin zu gleicher Zeit drey Thüren, dankt denen die hereinkommen, heißt solche bey sich niedersetzen, behält Kinder und Gesinde, ihre Pferde und Kühe im Auge, hütet Keller und Boden und Kammer, spinnet immerfort und kocht dabey. Ihre Schlafstelle ist hinter dem Feuer, und sie behält aus derselben eben diese große Aussicht.“ [14] „Mit der Offenheit korreliert die Vielfalt von Funktionen.“ [15]

Der flexible Wohnungsbau wurde in den 30er- und 40er-Jahren des 19. Jahrhunderts von der Übernahme industriell geprägter Lösungen in den Wohnungsbau stark beeinflusst. Technische Kapazität gepaart mit großer Nachfrage führte zu regem Interesse an der Standardisierung der Wohnbauproduktion. Le Corbusier, als früher Verfechter normierter Werksproduktion, entwickelte mit der Maison Dom-ino schon 1914 einen Prototyp, der für die rasche Behausung durch den Krieg wohnungslos gewordener Flamen konzipiert war. Mit dem Skelettbau griff er die Haltung seines Lehrers Auguste Perret auf: „Es (Anm.: das Skelett) muss verschiedene und ganz verschieden angeordnete Organe, Organismen enthalten können, die die Funktion und die Bestimmung erfordern.“ Und steht dadurch auch in der theoretischen Tradition von Viollet-le-Duc (19. Jahrhundert), die bis zu Abbe Marc-Antoine Laugier und dessen Beschreibung der skelettierten Urhütte (18. Jahrhundert) zurückreicht. [16]
Die Maison Dom-ino war es, gegen die sich ein halbes Jahrhundert später John Habraken mit seinem Träger [17], der die Wand als tragendes Element wieder einführte, abgrenzen sollte: „A support is not a skeletton.“ [18] Wenn auch seine Visionen städtebaulicher Umsetzungen aus additiven Primärstrukturen assoziative Nähe zu Le Corbusiers Plan Obus für Algier zulässt. Megastrukturen dieser Art vervielfachen das zur Verfügung stehende Land und potenzieren so das Grundstück durch „Stapelung auf der Etage“. [19] Ein Jahr vor der Erstveröffentlichung des Buches Die Träger und die Menschen – Das Ende des Massenwohnbaus von John Habraken in Amsterdam (1961), verstaute Eric Friberger in Göteborg-Kallebeck, Schweden, 18 skandinavische Holzhäuser in einem dreistöckigen Betonregal.

Balance

Hearle Hubacher Architekten beziehen sich mit ihrem Eigenheimstapel [20] auch auf die von John Habraken entwickelte Planungsmethode und er, der noch bis 1989 am MIT in Cambridge, USA, unterrichtete, besuchte ihre Siedlungen. Die Errichtung der drei Siedlungen nach der „Wohnidee“ Balance fällt in die Zeit der Wohnbauinitiative der Stadt Zürich, in deren Rahmen 10.000 Wohnung im Zentralraum Zürich errichtet wurden. Der Schwerpunkt wurde auf große Familienwohnungen gelegt, um gegen die Abwanderung von Jungfamilien aus dem Mittelstand in das Umland Anreize zu schaffen. [21] Das primäre Bestreben des Initiators Andreas Streich, der auch als Bauträger und Generalunternehmer auftrat, war es, große Wohnungen preiswert anbieten zu können.
In gemeinsamen Workshops mit Bearth/Deplazes, Burkhalter/Sumi, Gigon/Guyer, Grego/Smolenicky, Morger/Degelo sowie Jakob Steib entwickelten Haerle Hubacher im Rahmen eines einjährigen Pilotprojekts ein schachbrettartiges Bebauungsmuster für eine offene Bebauung für das Grundstück in Wallisellen. Zielsetzung war es, im monofunktionalen Umfeld der Agglomeration, bei maximaler Ausschöpfung der Dichte, einen Wohnpark mit ausgeglichenem Verhältnis von Freiraum und Gebäuden zu schaffen, der sowohl privaten Rückzug wie auch soziale Kontakte und Sicherheit ermöglicht. [22] Es sollte eine Mustersiedlung mit den unterschiedlichen Beiträgen der Büros entstehen.

Doch Andreas Schleich entschied sich, die gesamte Bebauung mit dreizehn vier- bis fünfgeschoßigen Kernhäusern von Hearle Hubacher Architekten zu realisieren. Der Ansatz, Lofts als Halbfertigprodukt preiswert anzubieten, kam seiner ursprünglichen Intention sehr entgegen.

Das Projekt wurde den Interessenten via Modell bei Veranstaltungen in einem Zelt am Bauplatz vorgestellt. Die Wohnungen wurden aber zu günstig verkauft. Dieser Umstand wirkte sich laut Sabina Hubacher zwar positiv auf die soziale Durchmischung der ersten Siedlung in Wallisellen aus, brachte den Bauträger aber in eine finanzielle Zwangslage. Zwei weitere Siedlungen wurden in unmittelbarer Folge nach dem gleichen Prinzip errichtet. Die Wohnungen der Folgesiedlung waren vorab schon in wenigen Wochen, über die Warteliste aus der ersten, vergeben. Die Bewohnerstruktur in Uster wurde durch den höheren Preis homogener [23]. In der dritten Siedlung in Fällanden wurde, um das Angebot vielfältiger zu gestalten, die Hälfte der Geschoßwohnungen von vornherein zweigeteilt und als kleinere Wohneinheiten vermietet. So kam es wieder zu einer besseren sozialen Durchmischung.

„Stahlbetondecken übernehmen als künstliche Bauplätze die Rolle des Erdbodens. Auf dem Weg nach oben wird vom hohen Wohnwert des Einfamilienhauses möglichst viel mitgenommen. (....)  Die Treppe bringt die periphere Anordnung der Erreichbarkeit zum Vorschein.“ [24]

Der ursprüngliche Entwurf sah die Erschließung der Geschoßwohnungen über eine einläufige, fassadenparallele Treppe vor. Hier kam es anfänglich zu einer unbeabsichtigten Mitbestimmung der zukünftigen Bewohnenden. Die radikale Lösung, bei der ein großer Teil der südwestlichen Terrasse als Podest benutzt worden wäre, wurde von den KäuferInnen abgelehnt und für die Ausführung geändert. Die soziale Kotrolle, die diese Art der externen Erschließung nach wie vor bietet, wird von den Bewohnerinnen und Bewohnern auch als Sicherheit empfunden. Durch die Anordnung des Lifts und der Stiege im Außenraum konnte die Ausführung mit rohen Materialoberflächen wie Betonfertigteilstufen, verzinktem Stahl und Hangsicherungsnetzen relativ preiswert realisiert und die vertikale Erschließung als eigener Bauteil schallentkoppelt werden. Die großzügigen Terrassen werden durch den Erschließungsturm in zwei ungleiche Hälften geteilt und ermöglichen, als schmale Umgänge um jedes Geschoß geführt, das „Umgehen“ der privaten Wohneinheit wie bei einem Einfamilienhaus.

Die Erschließung von außen folgt dem Konzept der Abstufung von Zonen. Über die großzügigen Terrassen im Südwesten gelangt man zu den zwei möglichen Wohnungstüren, rechts und links der Haupterschließung. Als Vorbild könnte die amerikanische Front Porch gedient haben [25]. „Es war uns wichtig, von vorne auf die Wohnung zu und in die Wohnung zu kommen – nicht von hinten hineinzuschlüpfen.“ [26] Trotz der vierseitigen Orientierung wurde eine klare Zonierung der Geschoßwohnungen in Tag- bzw.Nachtbereiche vorgenommen, die Nordsüd-Typologien entspricht: Man erreicht den Individualbereich im Nordosten über den loftartigen Wohnraum im Südwesten. Die durchlässige Grenze zwischen diesen beiden Bereichen wurde mit einer, zu einem Skelett aufgelösten „Wandscheibe“ markiert. Diese kann Türen zu den Zimmern und Schränke aufnehmen.
Dieses Element ist charakteristisch für den Entwurf von Haerle Hubacher Architekten und erinnert auch an die Interventionen von Jesko Fezer in Kunsträumen und in seinem Buchladen. Es sind offene Strukturen, die sich in Räume einschreiben, diese vororganisieren und zur Auseinandersetzung und Anlagerung einladen. Die neutrale Leere eines Raums wird vorinformiert. Die Schranktürenwand von Haerle Hubacher unterstützt die BewohnerInnen bei der Einteilung ihrer Wohnräume. Zusätzlich wurde bei der Besiedlung der Folgeprojekte, nach den Erfahrungen die man in Wallisellen gemacht hat, mit Planungsgesprächen Starthilfe für die Wohnraumorganisation gegeben.

Der in den Wohnraum eingestellte Sanitärkern nimmt die Teilung der Geschoßfläche vorweg und dient umlaufend dem kollektiven sowie dem individuellen Aufenthaltsbereich. Er etabliert eine ringförmige interne Erschließung und beinhaltet den zentralen Hauptschacht für die Haustechnik. Der Sanitärkern kann entsprechend dem gewünschten Komfort oder der Teilung der Wohnung, mit zwei WCs und zwei Bädern ausgestattet werden. Diese massive Setzung und festgelegte Dimensionierung innenliegender Sanitärbereiche mit statisch und schalltechnisch wirksamer Baumasse entspricht den Ansätzen der realisierten Beiträge für den in den 1970er-Jahren in Deutschland ausgelobten Wettbewerb Flexible Wohngrundrisse. Damals versuchte man mit standardisierten Küchen und einheitlichen Nassräumen die Mehrkosten, die durch die Flexibilisierung der Wohnbereiche entstanden sind, auszugleichen.

Die Ausführung des gesamten Sanitärbereichs als aussteifenden Kern ermöglicht die Auflösung der Fassade in ein Holzskelett. Die innovative Hybridkonstruktion aus Stahlbeton und Holz wurde im Zuge der Ausführungsplanung entwickelt. So können tragende Stützen und die Ausfachung der Fassade in einer Ebene liegen, ohne dass nennenswerte Wärmebrücken entstehen. Die Anordnung der Holzstützen in der Fassadenebene folgt einem Raster, dessen kleinstes Achsmaß der vierfachen Verarbeitungsbreite von Trockenbauplatten entspricht. Gesamt gesehen werden die Felder zwischen den Stützen zu gleichen Anteilen mit opaken Wandscheiben oder Fensterflächen in allen Geschoßen identisch ausgefacht. Die Südwestfassade ist vollflächig verglast, an der Nordostfassade wird der Raster durch einfache Wand- und Fensterscheiben halbiert und somit die Anschlussmöglichkeiten für Innenwände verdoppelt. Eine Feldbreite entspricht der geringst möglichen Zimmerbreite.

Die Fassade mit Kartonwabendämmung hinter Profilglaselementen ist sichtbarer Ausdruck der ökologischen Gesinnung, mit der das Projekt entwickelt wurde. Sie wurde zurückhaltend farbig gestaltet. Temperiert wird in Wallisellen über ein thermoaktives Bauteilsystem und über eine nachträglich installierte, elektrische Schwellenheizung. Die mechanische Belüftung des Wohnraums erfolgt vom Sanitärkern aus und wird über die Schranktürenwand verteilt. Die Elektroinstallation wird zusätzlich ringförmig über einen Sockelkanal entlang der Fassade geführt. Auch in der Organisation der Errichtung der Gebäude sowie des späteren Ausbaus ging Andreas Schleich einen eigenen Weg. Die Primärstruktur wurde an eine externe Baufirma vergeben. Sämtliche anderen Arbeiten, die er nach dem Prinzip der „Bauhütte“ organisierte, wurden von Mitarbeitern der Schleich GmbH ausgeführt. Über die gesamte Bauzeit waren Facharbeiter sämtlicher Gewerke vor Ort und haben sich bei Hilfstätigkeiten gegenseitig unterstützt. Das ermöglichte „ein Bauen mit sehr kurzen informellen Entscheidungswegen.“ [27] Gekocht und gegessen wurde in dem großen Gemeinschaftszelt, in dem auch zu Beginn der Verkauf stattfand. Es wurde auf vielen Ebenen der Bauabwicklung und -produktion experimentiert.

Über die unterschiedliche Besiedelung von Balance in Uster zitiert Axel Simon einen dort lebenden Lehrer: „Zum Beispiel einen Mann der mit seinen alten Eltern hier eingezogen ist, er bewohnt den kleineren, seine Eltern den größeren Teil der Etage. Ein Pfarrer benutzt einen Raum seiner Dachwohnung als Pfarrbüro mit separatem Zugang vom offenen, vor dem Haus stehenden Treppenhaus. Eine andere Familie bringt mit einer ähnlichen Lösung das Au-Pair-Mädchen unter, eine Bewohnerin betreibt in dem von ihrer Wohnung abgetrennten Erdgeschoßraum einen Coiffeursalon. … Die Möglichkeit einer späteren, … Teilung ihrer Wohnung schätzen viele der Eigentümerinnen und Eigentümer. Schließlich sind die Kinder irgendwann flügge und froh über ein eigenes Reich mit eigenem Eingang, ohne gleich wegziehen zu müssen.“ [28] 

Flexibilität

Das Prinzip der Flexibilität wird grundsätzlich seit Beginn des Bürobaus angewandt. Seit Mies van der Rohes Beitrag zur Weissenhofsiedlung werden immer wieder Versuche unternommen, diese Bauweise auch im Wohnbau zu etablieren. Diese Kette ist aber, wie schon eingangs geschrieben, brüchig. Oft waren Modellprojekte technisch zu ambitioniert und es fehlte an der Akzeptanz der Bewohner. Auch die Erkenntnisse aus den Arbeiten von Ottokar Uhl zeigen die Komplexität der Wohnraumproduktion und –vermittlung auf, bei der für ein stimmiges Projekt die Abstimmung sämtlicher Beteiligten in allen Projektphasen unerlässlich ist. Für die Modellbauvorhaben im Rahmen des Wettbewerbs Flexible Wohngrundrisse in Deutschland, in den 1970er-Jahren, wurden gezielt nach „flexiblen BewohnerInnen“ [29] gesucht.

Als aktuelle Beispiele für eine kongruente Umsetzung von Vermarktung und Planungsflexibilität seien noch die Solids von Baumschlager Eberle und Tony Fretton Architects erwähnt. Diese wurden durch die Het Oosten Woningbouwvereiniging in Amsterdam errichtet und nach Besichtigung durch InteressentInnen anteilig an diese versteigert. Balance von Haerle Hubacher Architekten stellt ein gelungenes Beispiel für flexiblen Geschoßwohnbau mit Mitbestimmung dar, mit einer klaren Schnittstelle zwischen Planenden und Nutzenden.
In der aktuellen Debatte und Praxis erscheinen Baugruppen als übereinstimmende Organisationsform und Projektträgerschaft und damit als die optimale Besiedelung von flexiblen Baustrukturen.

Abschließend sei noch ein Beispiel für eine, vom Planer unbeabsichtigte Anpassung moderner Architektur durch die Selbstermächtigung der Bewohnende angeführt. Sie bringt uns wieder zu den Wurzeln der Geschichte des flexiblen Wohnungsbaus. Es ist die ArbeiterInnensiedlung in Pessac, die 1925 nach Plänen von Le Corbusier errichtet wurde. Die Garagen, nur wenige Arbeiter konnten sich dieser Tage Autos leisten, wurden zur Wohnraumerweiterung in zusätzliche Räume, Küchen, Werkstätten, Büros, Weinlager und anderes umgewandelt.
Auch die weiteren Charakteristika der als modern proklamierten Architektur eigneten sich besonders gut für Umbaumaßnahmen. Die offenen Grundrisse ließen sich ohne viel Aufwand in abgeschlossene Zimmer unterteilen. Die Panoramafenster konnten leicht verkleinert werden, wohingegen eine nachträgliche Vergrößerung von Fenstern wesentliche aufwendiger gewesen wäre. So war es für die BewohnerInnen auch unzweifelhaft einfacher auf den Flachdächern Satteldächer zu errichten als umgekehrt. [30] . Die Farbe weiß wird sich ebenfalls als gute Grundierung für eine nachträglich farbliche Gestaltung der Häuser erwiesen haben. Die so erreichte Heterogenität des Erscheinungsbildes der Siedlung entstand auf der Basis weniger Grundmodule und schlägt eine Brücke zu der von Eilfried Huth beabsichtigten „Varietät“ seiner Siedlungen, die in der Steiermark in den 1970er- und 1980er- Jahren mit Mitbestimmung errichtet wurden. 

1,8
http://www.haerlehubacher.ch/architektur/bauten/4_konzept_balance/index…
2-6
Oliver Elser, Michael Rieper und Künstlerhaus Wien, Wohnmodelle Experiment und Alltag, Revolver Publishing, 2010; S.10 Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihre Bewohnerin oder Ihren Bewohner, O.Elser, M.Rieper
7
Arch+ Verlag GmbH, S.Kraft, N.Kuhnert, G.Uhlig, Berlin, Arch+ Zeitschrift für Architektur und Städtebau 201/202, Arch+ Verlag, Berlin, 2011; Arch+ features R50 ifau und Jesko Fezer, Heide&von Beckerath
9
Arch+ Verlag GmbH, S.Kraft, N.Kuhnert, G.Uhlig, Berlin, Arch+ Zeitschrift für Architektur und Städtebau 211/212, Arch+ Verlag, Berlin, 2013; S.128,136-139 BEL Wohnregal in Hamburg
10,11
Tatjana Schneider, Jeremy Till, Flexible Housing, Architectural Press Elsevier Inc/Ltd., Oxford UK 2007
12
Jürgen Jödicke, Weissenhofsiedlung Stuttgart, Karl Krämer Verlag, Stuttgart 1990
Bau und Wohnung, Karl Krämer Verlag Stuttgart 1992, S.77 Mies van der Rohe, Zu meinem Block
13, 15
Burkhard Biella, Funktion und Funktionalismus – ein unzweckmäßiges Abhängigkeitsverhältnis, http://www.cloud-cuckoo.net/journal1996-2013/inhalt/de/heft/ausgaben/11…; S.158 aus Bruno Taut, Die neue Wohnung. Die Frau als Schöpferin, Leipzig 1924; S.92, 158
14
Hartmut Häussermann, Walter Siebel, Soziologie des Wohnens: eine Einführung in Wandel und Ausdifferenzierung des Wohnens, Juventa Verlag,  Weinheim, München 1996; S.22, Justus Möser zit. nach Hermann Kaiser, Herdfeuer und Herdgerät im Rauchhaus. Wohnen damals. Cloppenburg: Museumsdorf 1988; S.14f.
16
Julius Posener, Vorlesungen zur Geschichte der Neuen Architektur, Arch+ 210, Zeitschrift für Architektur und Städtebau, Arch+ Verlag, Berlin, 2013; S.27
17, 18
Nicolaas John Habraaken, Die Träger und die Menschen, Das Ende des Massenwohnbaus, Arch-Edition, Den Haag 2000/ eine Doppelausgabe mit: Arnulf Lüchinger, 2-Komponenten-Bauweise, Struktur und Zufall, Arch-Edition, Den Haag 2000
19
Peter Faller, Der Wohngrundriss, Wüstenrot Stiftung Deutscher Eigenheimverein e.V. Ludwigsburg und Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart München 2002; S.73
20, 24
Rene Furer, Haerle Hubacher Eigenheim Stapel, Heft 6, Rene Furer, Benglen ZH 2008
21
Stadt Zürich (Hrsg.), Wohnen in Zürich, Programme Reflexionen Beispiele 1998-2006, Niggli, Zürich 2006
22, 27
http://www.haerlehubacher.ch/architektur/bauten/4_konzept_balance/index…
23, 26
Jakob Leb, Gespräch mit Sabina Hubacher, Haerle Hubacher Architekten, Zürich, Mai 2012
25
Jürg Zulliger, Erfinden, Bauen, Verkaufen, Der zeitgemäße Agglotyp, Hochparterre 10/2000, Hoch Parterre AG Verlag für Architektur und Design, Zürich 2000
28
Oliver Elser, Michael Rieper und Künstlerhaus Wien, Wohnmodelle Experiment und Alltag, Revolver Publishing, 2010; S.10 Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihre Bewohnerin oder Ihren Bewohner, O.Elser, M.Rieper; S. 188-189 
29
Der Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (Hrsg.), Realisierung des Bauwettbewerbs Flexible Wohngrundrisse, Schriftenreihe 05 Wettbewerbe, Heft Nr. 006, Bonn 1976
30
Jesko Fezer, Mathias Heyden (Hrsg.), Hier Entsteht – Strategien partizipativer Architektur und räumlicher Aneignung, metroZones 3/ b_books, Berlin 2003; S.13

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