12/12/2019

Die Würde des Konfiskats

Emil Gruber zur Ausstellung über das fotografische Spätwerk von Dora Kallmus alias Madame d’Ora

GrazMuseum
bis 1. März 2020

12/12/2019

Im Flüchtlingslager „Hotel-Europa“ in Salzburg, 1948. Foto: Photoinstitut Bonartes, Wien

©: GrazMuseum

In einem Flüchtlingslager, 1948. Foto: Photoinstitut Bonartes, Wien

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Rosella Hightower vom Cuevas-Ballett, um 1955. Foto: Privatsammlung, Wien

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Prinzessin Phuong Liên von Vietnam, um 1950. Foto aus der Sammlung Preus-Museum

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Abgetrennte Kalbsköpfe, 1949–1957. Foto aus der Sammlung Fritz Simak, Wien

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Schweinekadaver in einem Pariser Schlachthaus, 1949–1957. Foto aus der Sammlung Julius Hummel, Wien

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Die Glamour-Fotografie der Zwischenkriegszeit in Österreich bestimmten zwei Ateliers: Manassé und d‘Ora. Manassé wurde 1924 vom Ehepaar Adorján von Wlassics und Olga Spolarics gegründet. Das Studio betrieb Standorte in Wien und Berlin und setzte neben Prominenten-Aufnahmen in der Aktfotografie ihren Schwerpunkt. Dora Kallmus aka Madame d’Ora, die sich auch durch Porträts von Protagonisten der Wiener Gesellschaft und der Künstlerszene rasch einen Namen machte, stieg zusätzlich immer stärker in die Modefotografie ein. 1927 überließ Kallmus das schon 1907 gegründete Wiener Studio ihrem Partner Arthur Benda und zog nach Paris.
Dort setzte sie nicht nur nahtlos ihre Karriere als Society- und Künstlerfoto- grafin fort. Sie wurde auch eine der wichtigsten Modefotografinnen ihrer Zeit. Sie arbeitete mit führenden Modehäusern wie Chanel, Lanvin oder Patout zusammen, publizierte Fotostrecken für alle wichtigen Pariser Modezeitschriften.
Ihr drei Jahrzehnte anhaltender Erfolg in Österreich und Frankreich wurde durch den Einmarsch der Nationalsozialisten in Paris 1940 abrupt gestoppt. Die Jüdin verlor ihr ganzes Studio inklusive des Fotoarchivs und flüchtete nach Südfrankreich. Kallmus überlebte dort in mehreren Verstecken die Besatzung. Viele ihrer Verwandten dagegen wurden von den Nazis ermordet. Die Verhaftung ihrer innig geliebten Schwester in Wien und deren Abtransport in ein Konzentrationslager, worauf sich jede weitere Spur verlor, setzte eine Zäsur im Leben wie auch im Werk von Madame d’Ora.
An diesem Schnittpunkt setzt auch die gemeinsam mit dem GrazMuseum (Projektleitung Franziska Schurig) vom Photoinstitut Bonartes (Kuratorin Magdalena Vuković) eindrucksvoll konzipierte Ausstellung Der große Bruch - d’Oras Spätwerk an.
Die Ausstellung beginnt mit dem bekannten Oevre d’Oras aus der Zwischenkriegszeit. Aber die Porträts von Gustav Klimt, Maurice Chevalier oder Einblicke in opulente Modezeitschriften haben einleitenden Charakter, sollen die große Veränderung in d’Oras Wesen und Arbeit, als sie 1945 wieder nach Paris zurückkehrt und dort ein kleines Studio wieder eröffnet, verstärken. 
Ab 1946 reist Kalmus, vermutlich im Auftrag der UNO, mehrfach nach Österreich. Nicht Glanz, sondern Flüchtlinge, displaced persons, befinden sich nun vor der Kamera. Statt penibel gesetztem Studiolicht richtet sich vor Ort ein Scheinwerfer frontal auf die Menschen. Das Leid braucht keine Inszenierung, es braucht Aufmerksamkeit. An Stelle von retuschierter faltenloser Haut und Haute-Couture sind verhärmte Gestalten in zerschlissener Kleidung auf d’Oras Bilder zu sehen. Bei Innenaufnahmen überstrahlt häufig das durch das Fenster kommende Tageslicht die Szene. Es gibt kein Lächeln, kein Moment von Hoffnung ist auf den Aufnahmen zu finden. Selbst Kinder blicken voller Resignation in die Linse. Kummer, Orientierungslosigkeit, die Isolation in Notgemeinschaften, davon erzählen diese Reportage-Fotos. Dora Kallmus distanziert sich von Madame d’Ora. Statt Pose zu zeigen, wird eigene Verwundung hinter der Kamera eins mit den Menschen davor. 
Im Spätwerk von d’Ora findet sich trotzdem auch wieder Gesellschafts- fotografie. Die Überzeugung dafür fehlt ihr aber nach dem Krieg völlig. „…wäre die leidige Geldfrage nicht, wie viel könnte ich für mich arbeiten. Aber ich gab zu viel Geld aus, steckte zu viel in meine Ideen und so musste ich doch zum Portrait zum Teil zurück, nur wegen des Geldes.“, schreibt d’Ora in einem Brief 1955. Dementsprechend anders fallen die Aufnahmen aus. Die Fassaden in den Posen bröckeln, die gefeierte Primaballerina Rosella Hightower liegt abgekämpft und mit leerem Blick in ihrem Tutu auf einem Sofa.
Abseits der Auftragsfotografie besucht d’Ora die Schlachthöfe von Paris. Inmitten von Blut, Kadavern und tierischen Körperfragmenten gelingen d’Ora Aufnahmen, die auf eine andere industrialisierte Tötungsmaschinerie unter den Nazis einige Jahre zuvor verweisen. Es sind verstörende und grausame Fotos und dennoch gibt es Momente, in denen das Schlachtvieh so etwas wie Würde zurückbekommt.
1959 wird Dora Kallmus, 68-jährig, durch einen Unfall arbeitsunfähig. Ihre letzten Lebensjahre verbringt sie in Frohnleiten, gepflegt von einer Freundin. 1963 stirbt sie und wird am örtlichen Friedhof begraben.
Auf Initiative der Jüdischen Gemeinde in Graz konnten die sterblichen Überreste von Dora Kallmus aus dem bereits aufgelösten Grab im Oktober des heurigen Jahres exhumiert und in einem Ehrengrab am Jüdischen Friedhof in Graz wieder bestattet werden.

Der große Bruch – d’Oras Spätwerk
Kuratorin: Magdalena Vuković
Projektleitung: Franziska Schurig
Projektsteuerung: Sibylle Dienesch
Ausstellungsgestaltung und -grafik: Robert Rüf & Larissa Cerny

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