11/06/2007
11/06/2007

Roundtable "Shopping Center" am 30.05.2007 im HDA Graz mit Ellen Bareis (Soziologin, wiss. Mitarbeit an der Goethe Universität Frankfurt), Thomas Mattesich (ECE Projektmanagement), Susanne Baumann-Cox (Moderation), Jens Dangschat (Soziologe, Professor an der TU Wien),
Michael Redik (Leiter des Stadtplanungsamt Graz), Peter Hagenauer (Grünen Politiker und Abgeordneter des Steirischen Landtages)

Kommentar zum prominent besetzten Roundtable "Shopping Center" der am 30.05.2007 im HDA Graz im Rahmen des HDA- Programmschwerpunkts "position 04: konsumieren" im HDA Graz veranstaltet wurde.

Von Wilhelm Hengstler

Überversorgung
Auch wenn man von 400.000 Käufern aus einem bis Marburg reichenden Einzugsgebiet ausgeht, ist es eine Untertreibung für Graz nur von einer Überversorgung mit Shopping Centern zu reden: Shopping City Seiersberg, Shopping City West, Murpark-Shopping, InterCity. Zudem will sich Seiersberg zusätzliche Verkaufsflächen gönnen und ein Center im Norden von Graz ist in Bau. Und nun plant das ECE Projektmanagement für Graz im Bereich Bahnhofsgürtel/Annenstraße eine Citygalerie mit ca 50.000 Quadratmetern Verkaufsfläche. Bei ECE (für Einkaufs-Center Entwicklung) handelt es sich um die 1965 aus dem Otto-Versand hervorgegangene Gesellschaft, die gewerbliche Großmobilien entwickelt, realisiert, vermietet und betreibt. Das Konzept des Unternehmens besteht darin, dem Trend zur Stadt folgend in ihre Zentren zu gehen. Die ECE ist ein Big Player, der in 15 hauptsächlich europäischen Ländern (aber auch in Russland, Katar, der Türkei) sein Geschäft betreibt. In Österreich ist ECE seit 2006 mit den City-Arkaden in Klagenfurt präsent. Die Citygalerie Graz soll auf der Fläche der Firmen Leiner, A&O und dem Gelände weiter südlich entstehen. A&O will schließen, die Fa. Leiner mit optimierter Logistik bleiben.

Derart große Konsumflächen beeinflussen mit ihrer gewaltigen Sogwirkung hinsichtlich der Besucherströme, der Kaufkraft, des Verkehrs und ihres architektonischen Impacts empfindlich das städtische Leben. Bisher haben die Einkaufszentren „auf der Wiese“ die Verödung der Städte herbeigeführt, nun sind es die Shopping Center in den Städten, die dem Wunsch der Politik nach Steuereinnahmen und Belebung folgend, zu einer Gefahr für den Einzelhandel werden. De facto wird der ursprünglich öffentlich kontrollierte Raum der Stadt zu einem privat beherrschten. Ob zum Besseren oder Schlechteren war Gegenstand einer kompetent besetzten Diskussion am 30.5. im Haus der Architektur. Am Podium nahm die Soziologin Ellen Bareis Platz; dazu ihr Kollege Jens Dangschat von der TU Wien, Thomas Mattesich, Senior-Architekt bei ECE, Michael Redik, Leiter des Grazer Stadtplanungsamtes und Peter Hagenauer, „grüner“ Abgeordneter des Landes; moderiert wurde von Susanne Baumann-Cox.

Städtebau als Sprach- und Vermittlungsproblem
Bemerkenswert ist wie zögerlich das Großprojekt Citygalerie Graz bisher diskutiert wurde. Der Grund dafür liegt nicht nur an der Zurückhaltung von Förderungswerber und Raumplanern, die an einem reibungslosen Ablauf interessiert sind. Städtebauliche Erörterungen mit ihren unübersehbar vielen, interdependenten Sachverhalte provozieren auch eine Vielzahl unterschiedlicher Diskurse.

Ellen Bareis, die diesen Herbst ein einschlägiges Buch zum Thema veröffentlichen wird, geht davon aus, dass sich einerseits die Produktivitätsreserven der tayloristischen Arbeitsorganisation erschöpfen. Andererseits versagen mit der wachsenden Internationalisierung der Ökonomie auch die Lenkungsinstrumentarien des keynesianischen Wohlfahrtsstaates. Angesichts der größer werdenden Schere zwischen dem realen gesellschaftlichen Konfliktpotential und den staatlichen Problemlösungsmöglichkeiten artikuliert sich eine wachsende Kritik an den Regulationspraxen der Institutionen. Der Neoliberalismus nehme diese Kritik am Wohlfahrtsstaat gewissermaßen auf und wende sie gegen die Subjekte: Soziale Risiken werden individualisiert, vormalige Schutzrechte abgebaut und die Menschen der Regulation des Marktes überantwortet.

In Bareis Analyse geht es weniger um die Frage nach »der Stadt« als vielmehr um jene nach der Räumlichkeit von Gesellschaft – also dem Verhältnis von Macht / Herrschaft, Raum und Alltag. Dieses Verhältnis manifestiere sich auf der einen Seite historisch in so unterschiedlichen Formen und Dimensionen wie Nationalstaat, Kolonialismus, Zuhause oder Internet. Auf der anderen Seite ließen sich mit diesem Zugang Vorstellungen von der Ideal-Stadt kritisch reflektieren, seien sie »europäisch«, funktional, »gesund«, demokratisch, liberal, unternehmerisch oder integrierend.

Ellen Bareis will Shopping Malls aber nicht als das ganz andere der städtischen Öffentlichkeit verstehen, sondern vielmehr als öffentlichen Raum zwischen Staat und Privatheit. Sie brachte dazu Fallschilderungen, in denen die gleichsam öffentliche Kontrolle des städtischen Raumes durch Shopping-Center auch für die Nutzer Freiräume bedeuten kann. Leistungsschwächere Konsumenten fühlten sich in den Cities oft stärker reglementiert, als in den Malls. Es ginge also darum, aus der gelebten Praxis realistische Normen zu entwickeln, die sich neue zwischen den obrigkeitlichen Gesetzen des Staates bzw. der Behörden und den privaten Vorschriften der Center-Betreiber bilden. Die Soziologin demonstrierte damit - vielleicht unbewusst – wie sehr Städtebau ein Sprachproblem ist. Der Rekurs auf die „normative Kraft des Faktischen“ liegt eigentlich schon tief im Bereich der Rechts- bzw. Sprachphilosophie. Ihre Argumentation schien als Entscheidungsgrundlage allzu ausdifferenziert – sowohl für vorstellbare Stadtbewohner als vermutlich auch für Entscheidungsträger.

Politikerspeech und Beruhigungssound
Weniger elaboriert wirkten die Angriffsprache der Oppositionspolitik und der Beruhigungssound der Verwaltung. Der Groll des grünen Landtagsabgeordneten Peter Hageneauer richtet sich gegen das Versäumnis, nicht schon vor dieser Entwicklungsphase der Citygalerie für eine kreuzungsfreie Regelung des Verkehrs gesorgt zu haben. Tatsächlich ist die Kreuzung Annenstraße/Bahnhofsgürtel bereits jetzt zu Stoßzeiten ein gefürchteter Engpass. Nach dem Bau der Citygalerie würde nach Hagenauer eine Lösung fast unmöglich werden, jedenfalls die schwierigste Baustelle Europas implizieren. Der Leiter des Grazer Stadtplanungsamtes Redik erklärte, dass die an sich zeitgerechte Planung infolge neuer, verschärfter Sicherheitsbestimmungen - provoziert durch Unglücke wie jenes in Kaprun - verzögert worden sei. Weiters bemängelte Hagenauer die Bezahlung unabhängiger Gutachten durch ECE - aber nicht einmal darüber ließ sich eine Klärung herstellen.

Thomas Mattesich betonte für die ECE, dass sich diese über Jahrzehnte für ihre Projekte engagiere, dass der örtliche Handel durch die Aufnahme in die Citygalerie belebt werde und deren Auswirkungen auf die Annenstraße bzw. die Stadt jedenfalls positiv sein würden. Die beiden Soziologen Bareis und Jens Dangschat bemühten sich - bei spürbarer Skepsis - um eine faire Betrachtungsweise der Shopping Center. Untersuchungen in Deutschland hätten positive Bewertungen durch die Konsumenten ergeben, hinsichtlich der Stadtbelebung stünden Erfolge und Misserfolge nebeneinander…Tendenz allerdings negativ.

Nicht einmal darüber, ob die Annenestraße derzeit eine Öde darstelle oder ohnehin floriere, konnte Einigung erzielt werden. Möglicherweise hat die Annenstraße in der Nachkriegszeit, als der Zuckerl-Klug „Negerbrot“ zu sensationell niedrigen Preisen anbot, eine bessere Performance gezeigt. Aber Kinogeher, die jahrzehntelang nach einem Besuch im Annenhof- oder Unionkino auf das nahe gelegene „Hendleck“ mit seiner olfaktorischen Langzeitwirkung angewiesen waren, können ihre Nachbesprechungen jetzt in einer Reihe akzeptabler Lokale abhalten. Heute ist die Annenstraße stark multikulturell geprägt, aber worin bestünde denn ihre ideale Erscheinung? In einer innerstädtischen Prachtstraße a la Wiener Kärntnerstraße? Warum soll es denn kein Gefälle innerhalb der verschiedenen Straßen einer Stadt geben? Erwähnt, aber unerörtert blieb auch, inwieweit der Sog der geplanten Citygalerie nicht auch negativ auf die Innenstadt wirkt. Was wird aus der Herrengasse, in der einige der gediegeneren Geschäfte bereits gesperrt haben, was aus den Verkaufsflächen der Annenpassage? Kommen da überall Sportcafes hinein?

Die Wüste bleibt
Entsprechend der Mechanismen der Globalisierung – Rationalisierung, Kostenminimierung, Gewinnmaximierung, Konzentration, und das alles lückenlos - wurden bisher große Flächen am Stadtrand in labyrinthische Beton- und Straßenwüsten verwandelt. Für das kleinflächige Österreich (oder Grazer Becken)
bedeutet das jedenfalls¸ dass der Rhythmus zwischen bebautem und unverbautem Land, zwischen Kulturlandschaft und Stadtstruktur zerstört wird. Seiersberg ist kein schlechtes Beispiel für diesen Verlust. In kleinem Maßstab droht aus Überfluss eine vergleichbar trostlose Urbanisierung, wie sie aus Gründen des Mangels in Afrika oder Asien im großen Maßstab herrscht.

Medienkritik
Gerade Medien, die sich an das große, eigentlich betroffene Publikum wenden, haben es bei der Vermittlung städtebaulicher Themen besonders schwer. Abgesehen davon, dass sich die komplexen Sachverhalte nur schwer in den engen Rahmen des Layouts quetschen lassen. Für die langen Diskussionen, die aufwändigen Recherchen und die gründliche Aufarbeitung der Thematik werden Berichterstattern weder zeitliche Freiräume, noch adäquate Entlohnungen eingeräumt. Wobei die journalistische Sorgfaltspflicht bei den Interessen und den Kapitalvolumina der Akteure noch besonderes strapaziert wird. Kurz gesagt: Die journalistische Aufarbeitung städtebaulicher Großprojekte in Massenmedien ist ein hartes Brot.

Vernünftig wäre es gewesen, den Grazern das Problem etwa mit einer Ausstellung bewusst zu machen. Jeder interessierte Theaterregisseur – das Theater im Bahnhof? - könnte brauchbare Inszenierungsvorschläge für die Annenstraße entwickeln. Sie wären vermutlich billiger und weniger riskant, small war mal beautiful, schon vergessen? Ein, zwei „bessere“ Restaurants, die Revitalisierung leer stehender Bausubstanz durch Vernetzung und Förderung kleiner bis mittlerer Gewerbebetriebe, Aufwertung des Gebietes durch Ausbau der bereits angedachten Achse Kunsthaus/Mediathek und ein attraktives Wohnungsprogramm. Man hat den Eindruck, dass für vernünftige Lösungen die Sprache der Vernunft fehlt. Sie müsste irgendwo zwischen der Aktionssprache der Unternehmer und dem Bewilligungsdiskurs der Verwaltung liegen. Aber da herrscht institutionelle Leere, ein Schweigen der Phantasielosigkeit.LITERATURHINWEIS:
Angriff auf die City
Brune, Walter/Junker, Rolf/Pump-Uhlmann, Holger (Hrsg.)

Kritische Texte zur Konzeption, Planung und Wirkung von integrierten und nicht integrierten Shopping-Centers in zentralen Lagen

Droste Verlag
ISBN 978-3-7700-1261-9
EUR 22.00

Verfasser/in:
Wilhelm Hengstler, Kommentar
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