23/01/2007
23/01/2007

Der Falter Steiermark erscheint wöchentlich, jeweils am Mittwoch.

Tourismuswerbung für das Salzburger Land am Potsdamer Platz in Berlin. Foto:tw

Tourismuswerbung für das Salzburger Land am Potsdamer Platz in Berlin. Foto:tw

Von Thomas Wolkinger,
erschienen am 13.12.2006 im Falter Nr. 50/06 - Steiermark.

Das steirische Architekturlaboratorium hat eine auf den ersten Blick bescheidene, auf den zweiten Blick aber präzise gedachte Ausstellung geboren, die Architektur in und aus der Steiermark in die Welt trägt. Ob die Welt auch bereit ist, sie zu sehen, muss sich erst weisen.

Hans Adelsberger hat keinen leichten Job. Tag für Tag muss der Skilehrer vor der kleinen, mitten am Potsdamer Platz aufgebauten Almhütte stehen und den Berlinern erklären, warum sie in Saalbach-Hinterglemm urlauben sollen, obwohl dort derzeit sowas von überhaupt kein Schnee liegt. Auch die künstliche Rodelpiste zwischen den Weihnachtsstandln, überragt von den imposanten Neubauten Renzo Pianos oder Hanns Kollhoffs, macht nicht gerade Lust auf Wintersport. Der Kunstschnee schmilzt in der späten Herbstsonne nur so dahin, die Schneekanonen kommen mit der Produktion kaum nach. Adelsberger nimmt es trotzdem mit Humor: "Du musst sie mit dem Schmäh nehmen", sagt er und erklärt den Berlinerinnen, die ihn besuchen, gerne, dass in Saalbach die freundlichsten Skilehrer zugegen seien. "Wir schlafen auch bei Ihnen", sagt der lustige Mann, wenn sonst gar nichts geht.

Bereits das dritte Jahr hat sich der Salzburger Tourismusverband als Hauptpartner in die "Winterwelt" im Herzen von Berlin eingemietet, um mit "Skihaserl-Après-Ski", "Schmankerl-Frühschoppen" und zünftiger Musik offensives Standortmarketing zu betreiben. Mehr als zwei Millionen Besucher sollen das im vergangenen Jahr erlebt oder genossen haben. Über die Kosten für den Spaß hüllt sich der Salzburg Tourismus auf Anfrage lieber in Schweigen.

Auch die Steiermark ist dieser Tage gut in Berlin vertreten. Vielleicht eine Spur weniger öffentlichkeitswirksam, dafür umso kunstsinniger. Christoph Schlingensief etwa verweist in der Einführung zu seiner neuen Installation an der Volksbühne, "Kaprow City", launig auf Graz, erzählt, wie er damals, 1995, im Schauspielhaus mit "Hurra Jesus! Ein Hochkampf" Medien und Staatsanwaltschaft auf Trab hielt, weil er Asylwerber einen Satz artikulieren ließ, der "Tötet Wolfgang Schüssel!" geheißen haben könnte. Da lacht das Pub-likum! Noch weiter zurück liegt eine Arbeit mit Graz-Bezug, der in Hans Haackes aktueller Werkschau in der Akademie der Künste großzügig Platz eingeräumt wird - der Nazi-Obelisk "Und ihr habt doch gesiegt" an der Mariensäule, eine der wichtigsten Arbeiten im öffentlichen Grazer Stadtraum der letzten Jahrzehnte, die im Steirischen Herbst 1988 schließlich einem Brandanschlag zum Opfer gefallen war.

Und dann wäre da noch eine Architekturausstellung, die zwar im Vorfeld in der Steiermark großen Wirbel ausgelöst hat, sich aber in ihrer konkreten Ausformung auf den ersten Blick doch etwas bescheiden ausnimmt. Vergangenen Donnerstag wurde "Sense of Architecture" als Teil des Langzeitprojektes "Architekturlaboratorium Steiermark" (ALS; siehe zuletzt Falter 11/06) im kleinen Ausstellungsraum des Deutschen Architekturzentrums Berlin, gelegen in einem Kreuzberger Brachwinkel, in Anwesenheit von SPÖ-Landeskulturreferent Kurt Flecker, einer Gruppe geladener steirischer Journalisten und zahlreich erschienenem Publikum eröffnet. Von den größeren Berliner Medien hatte sich allerdings nur die taz in die Anwesenheitsliste eingetragen.

Auf 210 Quadratmetern Ausstellungsfläche zeigt die Kuratorin Charlotte Pöchhacker, Kunsthistorikerin und Initiatorin der Grazer Medien und Architektur Biennale, in einem "ersten Akt" 29 Positionen zur Architektur "in und aus" der Steiermark. Einerseits in Form von präzisen und aufwendig gedrehten Filmarbeiten, für die Heinz Emigholz (siehe Kasten) verantwortlich zeichnet, andererseits mittels von der Decke abgehängter Planrollen aus Transparentpapier, die mit Foto und Planzeichnung über die verfilmten Projekte informieren. Die luftige Ausstellungsgestaltung hat der Grazer Designer Alexander Kada beigesteuert, mit Rigipswänden eine entschleunigende Eingangssituation in den Raum gebaut und drei transparente Plexiglastableaus - als Raumteiler und für die Filmprojektion - samt "Soundduschen" für ein intimes Hörerlebnis montiert. Insgesamt ergibt das ein sinnliches Ambiente, das dem geduldigen Besucher Architekturen von fünf Generationen steirischer Architekten als sehr persönliche, assoziationsreiche Raumerlebnisse erschließt, die über die klassische Präsentation durch Modelle, Fotos und Texte deutlich hinausgehen. Lange meditative Einstellungen, die nur durch das plötzliche Kräuseln einer Welle oder die Bewegung von Laub als Filmbild erkennbar werden, wechseln mit schlauen Schnitten, die völlig undogmatisch kleine und große Geschichten von gebauten Welten erzählen.

Wenn etwa Volker Gienckes verdichteter Wohnbau in der Carl-Spitzweg-Gasse im Kontext der Terrassenhaussiedlung und des öden, den Charme der 60er Jahre atmenden Umlandes von St. Peter gezeigt wird, erzählt das mehr über die Qualitäten innovativer Wohnlösungen als so mancher Lehrbuchtext. Weiterdenken lässt sich dann etwa über die Fotos vom "Tiefen Haus" von Pentaplan mit seinen Atrium-Höfen, über Riegler Riewes Umsetzung einer privaten Baugemeinschaft als "Casa Nostra" oder die Entwürfe von Artec zum Terrassenhaus in der Wiener Tokyostraße, die unterschiedliche Wohnungstypen, den "Bremer Stadtmusikanten" vergleichbar, in die Höhe stapeln. "Gedankenräume" nennt Pöchhacker die Interpretationspotenziale der rund fünfminütigen Filme und meint zu Recht: "Viele Architekturvermittlungen haben einen Text, der das ganze Bild niederspricht."

Da nicht alle der insgesamt 64 aufbereiteten Positionen zugleich im Raum unterzubringen waren, geht am 10. Jänner der "zweite Akt" der Ausstellung über die Bühne, Planrollen und Filme werden zu diesem Anlass getauscht. Und erneut, wie bereits sechs Mal im Vorfeld in Graz und am Donnerstag auch zur Eröffnung der Ausstellung, soll es dann einen weiteren Architekturdialog geben, der steirische Architekturpositionen, diesmal zum spröden Thema "Skulpturale Tendenzen und Produktive Ambiguitäten", neben solche aus Berlin setzt. Möge er besser glücken als der erste, eine holprige Abfolge von Power-Point-Präsentationen an sich interessanter Projekte vor praktisch leerem Auditorium und ohne vertiefende Diskussion zum gegebenen Thema "Kulturen des Wohnens".

Dabei hatte Klaus Kada in seiner Einleitung durchaus Anregendes formuliert und eine "gewisse Klaffung" konstatiert "zwischen dem eigentlichen Bedürfnis der Leute und dem, was gebaut wird". Kada führt das unter anderem darauf zurück, dass nur fünf Prozent der Wohnbauten unter Zuziehung eines Architekten realisiert würden, es keine fundierte Auseinandersetzung mit dem Problem der gesellschaftlichen Individualisierung und Zersiedelung gebe. "Wir produzieren tausende verschiedene Wohnformen und kommen gegen die Massenproduktion der Bauträger im sozialen Wohnbau nicht auf", klagt Kada, der mit fünf eigenen Projekten - von der Grazer Stadthalle bis hin zu seinen Stadtteilplanungen für Aachen - von allen steirischen Architekten am stärksten die Ausstellung bestimmt.

Womit man auch unweigerlich zu den Aspekten der Ausstellung und des ALS gelangt, die seit ihrer Erstpräsentation durch Charlotte Pöchhacker vor gut einem Jahr in Graz für rege Diskussion gesorgt haben. Diskussionen, die durch die unglückliche Kommunikationskultur der Kuratorin und eine beständige Steigerung der Erwartungshaltung sicher angeheizt wurden. Immerhin sollte das ALS an die glorreichen Zeiten der "Grazer Schule" der 80er Jahre anschließen und den Ruf der steirischen Architektur wieder gebündelt und mit kräftiger Stimme weit in die Welt hinaustragen. Dazu kommt, dass das ALS, formell veranstaltet von der Kulturservicegesellschaft des Landes Steiermark (KSG), mit 483.000 Euro vom Land und mit weiteren 30.000 Euro vom Bund gefördert wird und damit das mit Abstand bestgeförderte aktuelle Ausstellungsprojekt für Architektur im Land darstellt. Das befördert Missgunst und erhöht andererseits das Transparenzgebot für die Veranstalter. Kein Wunder, dass Fragen laut wurden, warum denn keine Jury die Teilnehmer ausgesucht habe, warum wichtige Positionen wie die Arbeiten von Szyszkowitz-Kowalski oder das Justizzentrum Leoben von Josef Hohensinn oder einige jüngere Gruppen wie Love ausgespart, andere Projekte wie die Grazer Murinsel aber aufgenommen wurden. Darauf antwortet Pöchhacker, dass sie sich als Kuratorin von "Fachbeiräten" unterstützen habe lassen und dass es eben gerade nicht um Namen gehe, schon gar nicht um eine retrospektive Gesamtschau, sondern um Projekte, die zu den von ihr in sechs Themenbereiche gegliederten Fragestellungen passten: "Eine Ausstellung ist kein Preisgericht", sagt die Kuratorin. "Stellen Sie sich vor, Sie haben da so eine kleinkarierte Länderpräsentation. Das ist das Übelste!" KSG-Geschäftsführer Bernhard Rinner sieht das ähnlich: "Ich bekenne mich zum Kuratorenprinzip. Würde man das demokratische Prinzip walten lassen, dann hätte die Ausstellung kein Profil." Und tatsächlich deckt die Liste der Teilnehmer - bei aller Diskussionswürdigkeit im Detail - doch eine ansehnliche Bandbreite ab, umfasst Altmeister der "Grazer Schule" wie Günther Domenig oder Volker Giencke ebenso wie "jüngere" Positionen von Purpur, Splitterwerk, Transparadiso, Weichlbauer/Ortis, Yes Architecture oder die norwegischen Snohetta - das gemeinsame Label des Deutschlandsbergers Christoph Kapeller mit Kjetil T. Thorsen -, deren gewaltige Bibliotheca Alexandrina erstmals in einer Grazer Studenten-WG angedacht wurde.

In anderen Punkten fällt die Bilanz aber kritischer aus. Die als internationale Wanderausstellung für zumindest fünf europäsche Orte beauftragte Schau hätte ursprünglich in der weitaus prestigereicheren neuen "Cité de l'architecture et du patrimoine" im Pariser Palais Chaillot eröffnet werden sollen, später im immer noch großzügigeren Hamburger Bahnhof in Berlin. Beide Hoffnungen zerschlugen sich. Selbst das DAZ war bis zuletzt unsicher. Rinner diplomatisch: "Ich freue mich dennoch, dass durch entscheidenden Druck zur rechten Zeit Berlin stattfinden konnte." Aber kein einziger weiterer Ausstellungsort ist derzeit auch zeitlich fixiert. Die "Cité" soll, so Pöchhacker, im Sommer 2007 dran sein, danach Florenz oder Mailand, gefolgt vielleicht von Rotterdam und schließlich im Frühsommer 2008 vom ZKM in Karlsruhe. Auch ob die Ausstellung jemals, wie ursprünglich geplant, angereichert um internationale Projekte der übrigen Ausstellungsorte, in Graz zu sehen sein wird, steht derzeit noch in den Sternen. Einen Vertrag zwischen der KSG und Pöchhacker, die die Kosten für eine derartige, internationale, Version der Schau in Graz mit noch einmal "300.000 bis 400.000" überschlägt, gibt es nicht. Genauso wenig wie einen Katalog zur Ausstellung - ein erster Teil mit Visualisierungen soll aber im Jänner fertig sein, ein zweiter Teil mit Theorie am Ende des Projekts. Auch der von Alexander Kada als Merchandisingprodukt entworfene "Sitzstock", ein Möbel zur bequemeren Kontemplation der Filme, existiert derzeit nur als Prototyp, soll aber im nächsten Jahr für 70 Euro pro Stück zu haben sein.

Ein etwas holpriger Start für ein im Kern fundiert gedachtes Projekt, das mit einer typischen Länderpräsentation, gar einer touristischen, glücklicherweise gar nichts gemein hat. Leider ist es - und das ist gerade in diesem Kontext bedauerlich - noch etwas wacklig gebaut.

Bis 28.01.2007
Architektur Laboratorium Steiermark
"Sense of Architecture. Eine Ausstellung in mehreren Akten"
DAZ, Scharoun Saal
Köpenickerstraße 48/49, 10179 Berlin.
Web: www.daz.de und www.archlabstyria.org
Der Falter Steiermark erscheint wöchentlich, jeweils am Mittwoch.

Verfasser/in:
Thomas Wolkinger, Kommentar; erschienen im Falter Stmk. Nr. 50/06
Netzwerktreffen
16. + 17.11.2023
 
GAT+