26/09/2018

Endlich Herbst

Deutliche Spuren der neuen Intendanz im öffentlichen Raum.

Erster Rundgang von Emil Gruber.

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steirischer herbst
20.9. – 14.10.2018

26/09/2018

Eröffnungsumzug steirischer herbst 2018 vom Hauptbahnhof zum Mariahilferplatz: Bred and Puppet Theater

©: Emil Gruber

Eröffnungskonzert: Laibach, Kasematten

©: Emil Gruber

Installation 'Aurora', Arbeiterkammer

©: Emil Gruber

Withdrawing Adolf Hitler from a private Place' am Hauptplatz

©: Emil Gruber

The Standing Wave' am Eisernes Tor

©: Emil Gruber

Schulausflug' am Andreas Hofer Platz

©: Emil Gruber

Anschluss 90' im HDA

©: Emil Gruber

Exhibiting at the Trowels Edge' im Forum Stadtpark

©: Emil Gruber

Dämonische Leinwände' bei den Minoriten

©: Emil Gruber

The long long Road' im >rotor<

©: Emil Gruber

Sichtlich geschockt machten wir uns dann auf den Weg ins Quartier nach Steyr, und die Fröhlichkeit, Unbeschwertheit, die uns auf dem Hinweg begleitet hatte, wich einer seltsamen Stille.
Der schwermütige, seltsam-traurige Abend glitt dann in eine recht feuchtfröhliche Nacht über, in der die Innenstadt Steyrs erkundet, Glastüren zerstört, Unmengen an Cola konsumiert wurden und Männer Frauenkleider trugen – psychologisches Beispiel der Verdrängung.
(aus einem Bericht eines steirischen Gymnasiums anlässlich des Besuchs der KZ-Gedenkstätte Mauthausen, 2006)

Endlich Herbst
Es sind deutliche Spuren, die der steirische herbst unter der neuen Intendanz von Ekaterina Degot im Grazer Stadtbild hinterlässt. Waren die letzten Jahre stark von einer Hermetik, einem Drinnen, geprägt, gibt es jetzt wieder eine klare Stellungnahme zur Sichtbarkeit des Festivals für alle Grazer. Schon die Eröffnung war ein Umzug, der einen Teil der Stadt durchmaß. Nun herbstet es beinahe in allen Bezirken der Stadt.

Als weithin sichtbares Leuchtfeuer in der Nacht strahlt Aurora. „Smrt fašizmu, sloboda narodu“ (Tod dem Faschismus, Freiheit für das Volk) waren die letzten Worte des jugoslawischen Widerstandskämpfers Stjepan Filipović bei seiner Hinrichtung durch mit den Nazis kollaborierende Tschetniks. Die russische ZIP group ließ diese ikonografische Szene als tonnenschwere Installation auf das Dach der Arbeiterkammer in der Hans-Resel-Gasse hieven.

Withdrawing Adolf Hitler from a Private Space ist ein provokantes Spiel mit den Überbleibseln der NS-Zeit. Der japanische Künstler Yoshinori Niwa gibt jedermann und jederfrau die große Chance, anstatt die heute in bestimmten Kreisen hoch begehrten und hoch bezahlten Sammelobjekte zu bewahren, diese in seinen aufgestellten Spezialcontainer am Hauptplatz einzuwerfen. Der Künstler garantiert die totale Vernichtung jeder einzelnen Devotionale.

Am Eisernen Tor tauchen Rosella Biscotti und Kevin van Braak in (Auch)-Strukturen des Faschismus ein. Die als "Zweiter Futurismus" bekannte italienische Kunstströmung ab 1924 stellte sich in die Dienste Mussolinis. Besonders der Architektur, die zur Zeit ihres futuristischen Vorgängers kaum einen Platz bekam, gelang im Faschismus prägende Bauten. The Standing Wave platziert ein Open-Air Diorama eines fiktiven italienischen Badeortes der 1930er mitten ins Becken vor der Marienstatue.

In einem kleinen, fast zu übersehenden, Anhänger am Busbahnhof des Andreas-Hofer-Platzes werden für jedermann gut bekannte Erinnerungen seziert. Michael Zinganel und Michael Hieslmair stellen in Schulausflug der Frage nach, wie segmentiert Erinnerung ist, was bleibt und was verdrängt wird. Ein zusammen mit Robin Klengel und Adina Camhy entstandenes Begleitheft gibt in Exzerpten aus Schulberichten der letzten hundert Jahre tiefe Einblicke ins Luftschnappen mit Lehrerbegleitung.

Wer immer schon nach dem Taxler/ der Taxlerin des Vertrauens sucht, dem gibt das Theater im Bahnhof in den nächsten Tagen dazu die Möglichkeit. Hier war ich noch nie – Eine Taxichoreographie hat nicht das Ankommen als Zielvorgabe, sondern das Zusammenkommen. Fahrgast und Chauffeur als Menschen, die sich austauschen, sich voneinander erzählen und vielleicht sogar das eine oder andere, persönliche Geheimnis lüften. Politik beginnt immer zuerst im Kleinen, bei sich selbst.

Mit lakonischem Sarkasmus erzählt Henrike Naumann im HDA in der Mariahilferstraße vom Anschluss `90. Die Eroberung des Ostens durch die Wirtschaft des Westens füllte die Kassen der großen Unternehmen, während der Konsumrausch – gepaart mit dem „Drang nach Westen“ – nach und nach verbrannte Erde in der Gesellschaftsstruktur der ehemaligen DDR hinterließ. Die Auswirkungen werden uns heute drastisch vor Augen geführt. Naumann erzählt diesen Bogen anhand von Einrichtungsgegenständen der 1980er mit kleinen feinen Fußnoten, wie einem frühen Buch über Jörg Haider im Regal.

Schichtweise hat Milica Tomic Vergangenheit abtragen lassen. Der Ausstellungsraum des Forum Stadtpark wurde zu zwei Drittel mit Erde vom ehemaligen Außenlager Mauthausens im südsteirischen Aflenz befüllt. Mit Mitteln von forensischer Wissenschaft wurde diese Erde analysiert. Die Ergebnisse werden in Vitrinen präsentiert. Münzen, Ausweisfragmente; es blitzen Überbleibsel von individuellen Leben der damals geschundenen und auch immer wieder ermordeten Zwangsarbeiter auf. Exhibiting at the Trowel’s Edge. Spatial dislocation and a temporal cut of research and investigative processes of Aflenz Memorial in becoming analysiert Produktionsprozesse in einem Terrorregime, in dem der Mensch selbst nur als Material zur Erfüllung von Zielen gesehen wurde.

Die Ausstellung in den Minoriten am Mariahilferplatz eröffnet eine Installation aus Fahnen im Arkadengang. Christoph Szalay lässt Heimat bodenlos werden. Ein Potpourri von eigenen Texten, gefundenen Phrasen, Definitionen aber auch zeichnerischen Elementen ist in die Fahnen genäht. Immer wieder überlagern sich die Bilder, wurden buchstäblich übernäht. Ein zarter Wind spielt mit dieser Heimat, verweht sie und lässt sie wieder zurück auf ihren Platz. Heimat, was immer das ist, bewegt immer. Ines Doujaks Ökonomien der Verzweiflung nimmt in Collagen aus medizinischen Lehrbüchern Bezug auf die aktuellen Fluchtbewegungen und all ihren grausamen Nebenauswirkungen. Das Wiener Künstlerduo kozek hörlonski bringen gemeinsam mit Alexander Martinz Heimat-Horror-Filme auf Dämonische Leinwände. Martin Behr & Martin Osterider zeigen eine Slideshow aus ihrem Projekt Triester, einem Never-Ending-Rundgang im farbenreichen Viertel ihrer Kindheit und Jugend.

Igor & Ivan Buharov haben für ihr Hauptquartier das Volkshaus in der Lagergasse eingenommen. Den großen Saal überwuchert ein Dschungel aus Pflanzen, in zwei anderen Räumen sind Videos zu sehen. Wer mehr über sichere Formen der Kommunikation im Zeitalter der totalen Überwachung erfahren will und „psychedelischer, kryptoanarchistisch-buddhistischer, nekrorealistischer Propaganda“ (Eigendefinition) nicht abgeneigt ist, kann sich hier wappnen.

Neben den Auftragsarbeiten des steirischen herbst gibt es zusätzlich in vielen Kunstorten ein Begleitprogramm. Wer schon im Volkshaus ist, kann sich im KIG Walter Köstenbauers ent.tarnung. mensch, eine abwechslungsreiche Auseinandersetzung mit militärischen Tarnstoffen, anschauen.

In der Kunsthalle Graz in der Conrad-von-Hötzendorfstraße überwältigt die immer wieder frappante Vielschichtigkeit von Studio Asynchron. Autopropaganda oder Kapital ist ein schlechter Vermittler ist eine raumfüllende Reise zum Neoliberalismus.

Bei >rotor< in der Volksgartenstraße schafft es Oto Hudec in Long Long Road, die Geschichte einer Flucht mit einfachsten Mitteln zu einem bewegenden Miniaturmeisterwerk zu gestalten. Maryam Mohammadi und Joachim Hainzl setzen ihre 2015 begonnene Foto-Love-Story fort. Das Private ist jetzt öffentlich zeigt weitere Erfahrungen der geborenen Iranerin und des Österreichers mit Behörden und im Alltag. Gefinkelt wie immer, e.d gfrerers Installation im Lichthof. Eine lebend.falle zur Reflexion über den eigenen Standpunkt im Hier und Heute.  

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