15/04/2016

Rezension zur aktuellen Ausstellung

Sighs Trapped by Liars
Sprache in der Kunst

Art & Language, Nanni Balestrini, Natalie Czech, Michael Dean, Heinrich Dunst, Shannon Ebner, Natalie Häusler, David Jourdan, Alison Knowles, Isabella Kohlhuber, Georg Oberhumer, Ewa Partum, Michael Riedel, Sue Tompkins, Cerith Wyn Evans

12.03.2016 – 29.05.2016
Künstlerhaus Graz. Halle für Kunst und Medien, Burgring 2, 8010 Graz

15/04/2016

Sighs Trapped by Liars – Sprache in der Kunst, Ausstellungsansicht Hauptraum Mitte, im Hintergrund: Art & Language, 'Portraits and a Dream', 2009; im Vordergrund: Natalie Häusler, 'We are getting a liitle bit too close here (still life)', 2012.

©: Markus Krottendorfer

Nanni Balestrini, Ecco l'uomo, 1962. Collage, gerahmt, 27 x 18 cm, Courtesy Paolo Lamberti

Natalie Czech, A poem by repetition by Robert Creeley, 2013, Ausstellungsansicht

©: Markus Krottendorfer

Isabella Kohlhuber, Aus dem Gesetz, 2016, Ausstellungsansicht

©: Markus Krottendorfer

Cerith Wyn Evans, In girum imus nocte et consumimur igni, 2008. 
Neon, Metall, Drahtseile, Plexiglas, 20 x 185 cm, Courtesy der Künstler & Galerie Neu, Berlin

Blutbücher sind wir alle
Wo man uns aufschlägt
Lesbar rot
Clive Barker

Zur aktuellen Ausstellung Sighs Trapped by Liars – Sprache in der Kunst im Künstlerhaus Graz

Was geschieht, wenn Buchstaben der visuellen Sphäre der Kunstwelt ausgesetzt sind? Wenn Sprache und Texte neujustiert werden, das Wort am Ende steht?
Fünfzehn Künstlerinnen und Künstler(-gruppen) versuchen dazu im Künstlerhaus Antworten, in Miniaturen wie auch in monumentalen Ansichten.
 
Das buchstäbliche Zerschneiden der Sprache in der Literatur der Neoavanguardia stieß in der Mitte des 20. Jahrhunderts in Italien auf heftige Kritik.
Die Collagen aus Zeitungsartikeln von Nanni Balestrini, einem der „irrationalen Formalisten“ bzw. „Erneuerer Arcadiens“, wie damals abschätzig die Vertreter der Neo-Avantgarde bezeichnet wurden, datieren aus 1962 und sind frühe Beispiele, den Text selbst Bild werden zu lassen.

Als Antithese dazu entnimmt Michael Dean in der 2014 entstandenen Arbeit LB (Working Title) der Sprache die Worte, lässt sie materialisieren und als stumme Fragmente im Niemandsland zurück. Dean hinterfragt die Interaktion zwischen Erzeuger und Benutzer von Texten und deren Träger, der Typographie.

Natalie Czech entdeckt ein verborgenes Gedicht auf einer Plattenhülle der New Wave Band XTC. Go 2 wurde 1978 von Hipgnosis, der führenden Coverart-Designergruppe Englands gestaltet und besteht auf beiden Seiten aus eng beschriebenem Text mit Überlegungen über die attraktive Gestaltung von Plattencovers.
Innerhalb dieses Textes „gräbt“ Czech poeto-archäologisch nach und nach einen Vierzeiler von Robert Creeley, einem bedeutenden amerikanischen Dichter des 20. Jahrhunderts, aus:

Will you be dust,

reading this?
Will you be sad
When I’m gone?

Am mächtigsten präsentiert sich die Arbeit der britischen Konzeptkünstler Art & Language. In wechselnder Besetzung ist die Gruppe bereits seit 1968 aktiv. Für das hier gezeigte Portraits and a Dream II von 2009 zeichnen Michael Baldwin und Mel Ramsden verantwortlich.
Als zentrale Komponente befüllen 148 Textplakate dicht aneinander eine Wand. Ein weiterer Satz der gleichen gedruckten Schriften wurde zerschnitten und hängt in Papier-Kettenbahnen entlang des Hauptraumes.
Die Arbeit verweist im Titel an ein Werk von Jackson Pollock (Portrait and a Dream, 1953), eine der letzten Arbeiten des Künstlers, bevor er das Malen aufgab.
Charles Harrison, der bis zu seinem frühen Tod – ebenfalls 2009 – Art & Language als Essayist begleitete, definierte diese Anordnung als „eine schmerzende Schwellung, die durch Ehrgeiz und technisches Abenteurertum wieder zum Abklingen gebracht wird.“ Für ihn bringen die Papierketten die Grafik wieder auf den Boden der Realität, fügen aber gleichzeitig eine neue Ebene, eine zusätzliche Bedeutung hinzu.

Einen subversiven Ansatz verfolgt Isabella Kohlhuber in einem der neuen Werke der Ausstellung. Für Aus dem Gesetz (2016) wurde ein Text aus einer Dampfbremsfolie geschnitten, einem Material, das normalerweise eine Schutzfunktion einnimmt, Feuchtigkeit von Dämmungen fernhalten soll.
Kohlhuber zitiert Auszüge aus dem österreichischen Urheberrechtsgesetz, im konkreten Fall gewollt anachronistisch die Schutzrechte an Schallplatten.

Den Keller des Künstlerhauses beleuchtet der walisische Künstler Cerith Wyn Evans mit einem neonerleuchteten Palindrom: In girum imus nocte et consumimur igni. Evans, der als Assistent von Derek Jarman seine künstlerische Laufbahn startete, schickt uns als Antwortsuchende insektengleich im Kreis herum, erleuchtet aber hoffnungslos. Nicht umsonst verweist der Text auch auf den letzten, gleichnamigen Film Guy Debords, dessen Inhalt das Destruktive feiert, also das nächtliche Umherirren und am Ende das vom Feuer-verschlungen-werden.

Einen aktuellen Zugang findet Heinrich Dunst. Er zerlegt, verteilt und lässt seinen Text das Künstlerhaus erwandern. Es könnte ein Statement zum menschlichen Leben im Zeitalter von Social Media sein: Es ist ja nichts verborgen, der ganze Roman ist einsehbar.

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