13/01/2023

Nach fünfjährigem Umbau sind die ursprünglichen Parlamentsräume wieder nutzbar und ein offen zugängliches Besucher:innenzentrum, sowie eine neue Galerie mit Blick in den Nationalratssaal gewähren Einblicke in das parlamentarische Geschehen.

Empfehlung: Tage der offenen Tür im österreichischen Parlament am 14. und 15. Januar.

13/01/2023

Das Österreichisches Parlamentsgebäude in Wien wurde am 12.1.2023 nach Umbau wieder eröffnet

©: Claudia Gerhäusser

Tage der offenen Tür im Parlament am 14. und 15. Januar

©: Claudia Gerhäusser

Die Wandelhalle zwischen den beiden großen Sitzungssälen. Der Architekten Theophil Hansen manifestierte damit die politische Idee einer Gleichwertigkeit beider Kammern im Parlament und ermöglichte, erzwang geradezu, die Begegnung zwischen Herren- und Abgeordnetenhaus.

©: Claudia Gerhäusser

Historischer Sitzungssaal während des Festakts am 12.1.2023

©: Claudia Gerhäusser

Balkone und Logen wie in einem Theater des 19. Jhr.
Beim Festakt besetzt durch Regierung und Presse

©: Claudia Gerhäusser

Dem Parlament seine Spiegel: Die Arbeit extension of public space der Künstlerin Eva Schlegel im Eingangsfoyer

©: Claudia Gerhäusser

Nur 240 Millionen Menschen weltweit leben in wirklich „offenen“ Staaten, in denen zivilgesellschaftliche Grundfreiheiten wie Meinungs- und Versammlungsfreiheit garantiert sind. Dagegen leben etwa neun von zehn Menschen rund um den Globus in Staaten mit „beschränkter“, „unterdrückter“ oder „geschlossener“ Zivilgesellschaft. (Atlas der Zivilgesellschaft, 2022)

The present threat to democracy is the product of 16 consecutive years of decline in global freedom. A total of 60 countries suffered declines over the past year, while only 25 improved. As of today, some 38 percent of the global population live in Not Free countries, the highest proportion since 1997. Only about 20 percent now live in Free countries. (freedomhouse index, 2022)

Annäherung
Wien, Sonne scheint, zu hohe Temperaturen für einen Wintertag. Das Verkehrsaufkommen vor dem Parlament, zwei Stunden vor dem historischen Festakt seiner Wiedereröffnung nach Umbau: normal. Polizei steht auf der Haupttreppe vor dem tempelartigen Gebäude. Auf ebendiesen Stufen bringt sich die Presse in Stellung, übt, probt Kameraeinstellungen und Text. Ein Journalist vom ORF vermisst die Klimaaktivist:innen. 50 Meter entfernt vom neuen alten Herz der Nation sind heute wesentlich weniger Bürgerinnen und Bürger als erwartet gegen oder für etwas. Eine kleine Gruppe auf der gegenüberliegenden Straßenseite macht Stimmung mit Tröten, schwenkt Österreichfahnen und skandiert wiederholt „Volksverräter, die Regierung muss weg“. Mich erstaunt, dass dieser historische Moment wenig bis gar keine Aufmerksamkeit im Leben der Stadt Wien zu generieren scheint. Friedliche Szenen vor dem Parlamentsgebäude, wenn es diese gibt, sind nachweislich keine Selbstverständlichkeit. In Brasilien und den USA wurden die Parlamentshäuser gerade erst angegriffen, gestürmt und bloßgestellt. Die Bilder von Kapitol und Brasilia können nicht gelöscht werden. Aber ein Gebäude, das so angereichert mit politischen und gesellschaftlichen Botschaften ist, welches die Legislative der Demokratie beherbergt und wie es auf einem Plakat am Haupteingang versprochen wird, verbinden soll, muss einlösen – funktionieren – können.


Ankommen
Die Anfahrtsrampe vor dem Parlament ist blendend weiß, gänzlich unbenutzt, heller Sandstein zu großen Kurven verarbeitet. Absperrungen halten den ein oder anderen Touristen fern. Auf den Dächern des Parlaments stehen neu geputzte Quadrigen und Co. auf hellgrauem, widerstandsfähigen und pflegeleichtem Aluminium. Goldene Teile am Tympanon des ehemaligen Haupteingangs sind ebenfalls perfekt saniert. Die 15 Minuten Zeit in der Check-in-Schlange reichen, um sich umzusehen. Man geht auf Straßenebene ins Gebäude und betritt eine Schleuse aus niedrigen Räumen. Wir betreten also das Haus der Demokratie als Besucherinnen und Besucher in Zukunft durchs Parterre.
Einem durch massive Säulen eng erscheinendes Foyer schließt sich ein zwar ausgedehntes, aber gedrängt wirkendes Besucher:innen Zentrum an, ausgelegt mit hellem Natursteinboden. In diesen Teil, die Agora, fällt kaum Tageslicht – immer noch Parterre. Er ist mehr Museum als Parlament: Man kann sich im Schnelldurchlauf über die Geschichte der Demokratie und des Parlamentarismus in Österreich – das Leben dieses alten Paares beginnt mit 1848 – informieren. Das Visionäre der Idee Demokratie fehlt diesen Räumen ein wenig. So richtig würde sie mich nicht vom Sessel reißen, die Demokratie, wenn ihr Charakter diesem Raumgefühl entspräche. Müssten es nicht hohe, weitläufige und zur Kommunikation einladende Räume sein? Stattdessen hängt in diesem Eingangsbereich latent der Charme eines Geschichtsmuseums. Zumindest in den Besucherbereichen scheint Parlamentsgeschehen etwas ausnahmslos Ernstes und geradezu Konservatives zu sein. Daran ändern auch nichts die Lichtdecken in den Schauräumen, die etwas von Batmans Labor aus Batman Forever haben. Geht es nicht um Partizipation, Austausch und das Aufeinandertreffen verschiedener Meinungen in einem Parlament? Es müssten wohl Menschen die Räume beleben, ähnlich den zahllosen Tonmännern (heute ausschließlich Männer), die mit den langen Mikrostangen als sonderbar mobile und bildstörende Elemente die ernste Kulisse durchbrechen, die Situation für den Moment aufregender machen.

Zurechtfinden
Ab 1871 gab es das Zwei-Kammernparlament mit Herrenhaus und Abgeordnetenhaus. Theophil Hansen, damals Stararchitekt, baute 1883 den Parlamentariern ein gemeinsames Haus. Gleichrangig behandelt, mit gleicher Fläche, setzte er zwei Kammersäle als räumlich manifestiertes politisches Konzept rechts und links an eine Wandelhalle. So konnten und mussten sich die Vertreter der unterschiedlichen Parlamentskammern begegnen. Die harte axiale Struktur des Gebäudes hilft auch heute noch ganz selbstverständlich bei der Orientierung: Geradeaus, dem roten Teppich folgend, rechts und links an Garderoben, Seitengängen und Stiegenaufgängen vorbei, dann zwei Innenhöfe passieren und wieder rechts und links zu den großen Sitzungssälen – alter und neuer, Nationalratssaal und Bundesratssaal. Man darf nur nicht vergessen, dass man im Parterre ins Haus kommt und die Arbeit und alles Wichtige in der Beletage und auf den Rängen, den Balkonen und in den Logen stattfinden wird. Rein funktional betrachtet, lassen sich aber damit die Besucher:innenwege von den internen Parlamentswegen trennen.

Locker bleiben

Mit Wiener Cafe, Rooftop-Restaurant und Besucher:innenzentum, die für alle zugänglich sein werden, kommt das neue Parlament betont locker rüber. Wo sind die Hinterzimmer? Ist das nicht eine dieser Fragen, die den Nichtparlamentarier brennend interessieren? Wie sehen die Büros aus? Wo stehen die Caféautomaten und gehen die Volksvertreter:innen raus auf eine der vier Dachterrassen rauchen, um mal Luft und Licht zu schnappen? Die Architekten des Umbaus, das Büro Jabornegg & Pálffy, erweiterten das 55.000 qm große Gebäude um weitere 10.000 qm, indem sie z. B. ungenutzte Hohlräume unter dem Nationalratssaal in eines der neuen Ausschusslokale umbauten und Lagergewölbe reaktivierten. Auch die ehemals unzugänglichen Räume des Dachgeschosses wurden mit einer für Besucherinnen und Besucher offenen Galerie versehen, die ähnlich der Galerie um die gläserne Reichstagskuppel in Berlin eine Beziehung zwischen Repräsentant und Repräsentierten herstellen soll.


Repräsentieren
Die Luft brennt ein wenig, singt und schneidet in dem ausschweifend dekorierten historischen Sitzungssaal. Er ist einem Theater des 19. Jahrhunderts nachempfunden, ausgeschmückt mit vergoldeten Säulen und üppigen Wandfresken, welche Fülle und Lust zur Schau stellen. Das Gold sprengt das Blickfeld, bringt es zum Flimmern und lässt die realen Personen im Saal klein erscheinen. Was für eine Idee war das, den Bauch der Demokratie, den Saal des Nationalrats ganz in Gold und mit neoklassischer Kulisse und Statuen nach antikem Vorbild auszustatten? Wird der Saal sich eignen dafür, die Blicke fest und vertrauensvoll in die Zukunft zu richten? Immerhin, es sollen Gesetze verhandelt und beschlossen werden an diesem Ort. Der Prunk des 19. Jahrhunderts musste aus denkmalpflegerischen Gründen unverändert erhalten werden. Interpretieren wir diesen als Würdigung des Parlamentarischen an sich.


Daheim sein
Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka eröffnet mit den Worten „Wir sind wieder daheim!“. Die Architekten Jabornegg & Pálffy hätten Unglaubliches geleistet, damit neben dem Wert der historischen Räume die rationalere Stimmung der zeitgenössischen, neuen Architektur zur Geltung kommen kann. Das Haus am Ring hätte stets die wechselnden Ansprüche einer sich verändernden Gesellschaft reflektiert. Es wurde mehrfach umgestaltet – diesmal als Ort für alle und des Austausches, um moderner politischer Kultur einen passenden Rahmen zu geben. Weitreichend die Idee, die der Nationalratspräsident noch ausführt: „Erst bauen die Menschen Häuser, dann formen die Häuser die Menschen.“ (geliehen von Sir Winston Churchill)

Nivellieren

Grundlegende bauliche Mängel wurden mit dem Umbau behoben. So regnet es nicht mehr rein, noch besteht die Gefahr eines Brandes durch veraltete Elektrik. Durchgehend barrierefrei gestaltet, erfüllt das Gebäude nun ein Gesetz, das das Parlament selbst beschlossen hatte. Menschen mit Beeinträchtigungen werden zum Beispiel im Plenum der Säle nicht mehr an dessen Rand auf die hintere Reihe gedrängt. Bauliche Änderungen, die auf die Arbeit des Parlaments Einfluss haben könnten, finden sich mehrheitlich in den großen Sitzungssälen. Den Neigungswinkel des Plenums hat man reduziert, in der Hoffnung, dass aus einer „Kampfarena“ mit steilen Zuschauerrängen ein Ort kultivierter Debatten wird. (Ein Ort der hundertprozentigen Harmonie war das Parlament allerdings noch nie, sollte es auch nicht werden). Die Tribüne des historischen Nationalratssaals ist fern dem Plenum im Parterre und Abstand und Höhenunterschied festigen weiterhin die Hierarchien im Parlament. Im neuen Sitzungssaal dagegen hat man das Redner:innenpult auf eine Stufe und in gleicher Linie mit den Sitzen der Regierung gestellt. So müssen sich Abgeordnete in Zukunft nicht mehr umdrehen, möchten sie alle Parlamentarier:innen und die Regierungsbeteiligten adressieren. Während des Festakts sitzen die aktuellen Regierungsmitglieder freilich in den Logen auf dem Balkon. Dort, wo immer schon die Herrschenden gesessen haben. Nicht alles lässt sich auf eine Ebene bringen – Festakt ist Festakt – ein Moment des Repräsentierens, der Repräsentativität?


Abgang
„Das Prinzip der Repräsentation, ermögliche erst eine breite Partizipation der Bürgerinnen“, erwähnt der ehemalige deutsche Innenminister und ehemalige Präsident des Deutschen Bundestags, Wolfgang Schäuble in einer Festrede. Man dürfe dieses aber nicht mit dem Unding der Repräsentativität verwechseln. Ferner verhindere „Check und Balances“ die Tyrannei der Mehrheit. Beziehungen seien demnach in einer Demokratie, im Parlament, bewusst konfliktbehaftet. Denn Demokratie ist ein latenter Krisenzustand. Sie führe, laut dem britischen Politologen David Runciman, nicht zwangsläufig in den Verfall, sondern zeige die Anpassungsfähigkeit und Notwendigkeit der dauernden Adaption an veränderte gesellschaftliche Herausforderungen. Es waren gewohnt mahnende Worte des deutschen Politikers. Wäre es nicht möglich gewesen, eine österreichische Vordenkerin oder einen ebensolchen Vordenker an diesem Tag zu Wort kommen zu lassen, die Euphorie, Zusammenhalt und Lust untermauert hätten, eventuell auch über die Rolle der nationalen Parlamente im Kontext eines politischen Europas reflektiert hätte?

Hoffen wir einfach, dass sich die Idee der Demokratie als Krise nicht auf die Funktionsfähigkeit, die Bausubstanz und den Gesamtzustand des Gebäudes überträgt. Stabilität, Transparenz und Politiklust wären bessere Omen für das neue, alte Haus. Mit der Renovierung und dem Umbau sind die Grundlagen dafür geschaffen. Ob sie sich auch für Diskurs, Auseinandersetzung, Debatte und Konsens eignen, werden Säle, Lokale und Haus in den kommenden Jahren aber neu beweisen müssen.

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Tage der Offenen Tür im neuen Parlamentsgebäude: 14. und 15. Januar 2023
Ab 16. Januar finden regelmäßig thematische Führungen durch das Parlament statt, die sich an unterschiedliche Altersgruppen richten und verschiedenen Schwerpunkten wie Architektur oder Demokratiegeschichte folgen.

Der Rückbau der temporären Bürogebäude auf dem Heldenplatz beginnt mit 20. Februar 2023.

2014 kuratierten Christian Kühn und Harald Trapp den österreichischen Beitrag zur Architekturbiennale unter dem Titel Plenum Orte der Macht/ Plenum Places of Power. Damals verglichen sie weltweit Parlamentsgebäude und analysierten deren Architektur. Passender für den Moment der Wiedereröffnung scheint ein Biennalebeitrag kaum sein zu können.

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