08/07/2008
08/07/2008

v. li.: Robert Temel, Bertram Werle, Eva Maria Fluch, Volker Dienst und Paul Raspotnig

Foto: Haus der Architektur / Florian Lierzer

Foto: Haus der Architektur / Florian Lierzer

Am 02. Juli 2008 veranstaltete das Haus der Architektur im Grazer Kunsthaus einen Roundtable mit dem Titel Stadtplanung: Neustart, zu dem die seit rund 100 Tagen amtierende Grazer Planungsstadträtin Eva Maria Fluch, der Grazer Baudirektor Bertram Werle, die beiden Architekturexperten Paul Raspotnig (INITIATIVE ARCHITEKTUR salzburg) und Robert Temel (Architekturtheoretiker in Wien, Vorstandsmitglied ÖGFA Österreichische Gesellschaft für Architektur) eingeladen waren. Anhand von Statements der Podiumsgäste sollte aufgezeigt werden, welche stadtplanerischen Themen in Graz derzeit anstehen und welche Lösungsmöglichkeiten angedacht sind. Die geladenen Experten aus Salzburg und Wien eröffneten mit ihren Beiträgen Einblicke in die stadtplanerische Praxis anderer Städte. Durch den Abend führte Volker Dienst (architektur in progress).

Fluch, die in ihrer Funktion als Stadträtin nicht nur für Stadtplanung, sondern auch für Bildung zuständig ist, nutzte den Abend, um ihre Gedanken und Herangehensweisen an die neuen Aufgaben vorzustellen. Sie erlebt Stadtentwicklung momentan als geeignete Zeit für die Entwicklung von Visionen. Als Beispiele nannte sie Graz-Reininghaus, wo bis 2017 ein neuer Stadtteil entstehen soll, das „magische Dreieck“ mit ECE, Annenstraße und Hauptbahnhof sowie den Andreas-Hofer-Platz. Ihrer Meinung nach sei es für die Stadt Graz nun an der Zeit, sich klar darüber zu werden, was sie zur Entwicklung des Areals in Graz-Reininghaus beitragen kann. Die Visionen, die derzeit von Asset One entwickelt werden, müssten in eine konkrete städtebauliche Planung münden.
Als wichtig erachtet Fluch auch die Sanierung älterer Wohnviertel aus den 1950er ,1960er-Jahren in den Grazer Bezirken Geidorf und Leonhard, deren Bausubstanz schlecht und Grundrissgestaltungen nicht mehr zeitgemäß sind. Ein Thema, das die Stadträtin sehr ernst nimmt, ist die BürgerInnenbeteiligung. Sie brachte als Beispiele die Umsetzung der Ideen von Zeit für Graz und die Mitbestimmung bei den Revisionen des Flächenwidmungsplans und des Stadtentwicklungskonzeptes. Bei der Baulandausweisung ist sie für die Reaktivierung des Vorhandenen, bevor Neues ausgewiesen wird. Sie spricht von Verdichtung mit Bedacht. Darüber hinaus arbeitet sie mit Vizebürgermeisterin Rücker an einem stärkeren Konnex zwischen den Abteilungen für Stadtplanung und Verkehrsplanung.

Bertram Werle hob in seinem Statement hervor, dass es in Graz bereits mehr als 250.000 Hauptwohnsitze gebe. Dieses Wachstum stelle Graz vor viele Herausforderungen, Nutzungskonflikte seien damit verbunden. Schwerpunktgebiete der Stadtplanung in Graz sind derzeit der Messequadrant, das Areal um den Gürtelturm, die LKH-MedUni, die Entwicklungsachse Zentrum-Annenstraße-ECE-Bahnhof-Eggenberg und Graz-Reininghaus. Dazu gibt es von der Stadt erstellte Studien, die - wie aus dem Publikum angemerkt - leider nicht im Internet zu finden sind. Betreffend Baukultur äußerte sich Werle auch über die bisher gescheiterten Bemühungen, in Graz einen Gestaltungsbeirat zu installieren. Das in der Ära Rüsch stattdessen eingeführte Grazer Modell soll demnächst evaluiert werden. Hinsichtlich Gestaltungsbeirat zeigte sich Fluch gesprächsbereit.
Volker Dienst sieht in Anbetracht dessen, dass Graz sich nach 2003 als Hauptstadt der Baukultur und des Designs präsentieren wollte, die Zeit für Graz davonlaufen und provozierte mit der Frage, was Graz denn überhaupt vorzeigen wolle und könne. Er zeigt sich auch erstaunt, dass es in Graz kein eigenes Amt für Stadtentwicklung mehr gibt. Fluch merkte dazu an, dass die privatwirtschaftlich agierende GBG (Grazer Bau- und Grünlandgesellschaft) Stadtentwicklung als ein Geschäftsfeld aufweise. Dienst meinte, dass die Stadtentwicklung wieder stärker in der Stadtbaudirektion angesiedelt sein sollte. Im Zusammenhang mit Baukultur erwähnte Fluch das projekt_A, das Nachfolgeprojekt von Graz 2003, das bis 2010 auf Schiene sein soll. Am 07.Juli hat es dazu übrigens den ersten offiziellen Termin der neue Grazer Stadtregierung mit dem Land Steiermark gegeben.

Paul Raspotnig gilt als Experte für das Thema Gestaltungsbeirat, dem er sich bereits im Rahmen seiner Dissertation intensiv gewidmet hat. Er nannte die wesentlichen Aufgaben eines Beirates, nämlich die Sicherung der Qualität der Stadt- und Baugestaltung, die Stärkung des Wettbewerbwesens sowie die Ausführungskontrolle. Bekanntlich gibt es sowohl in den Landeshauptstädten Wien, Linz, Salzburg, Bregenz und Eisenstadt, aber auch in Bezirksstädten wie Ludesch und Amstetten Gestaltungsbeiräte. Er stellte fest, dass man sich auch in Graz und Innsbruck wieder mit diesem Instrument zur Sicherung von architektonischer Qualität beschäftigt.

Robert Temel brachte Erfahrungen aus Wien ein. Die flächendeckende Bebauungsplanung, die immer wieder an Anlassplanungen angepasst werden muss, war ein Beispiel. Fälle, wo Investoren mit Widmungswünschen für ein spezielles Grundstück kommen, treten immer häufiger auf. Robert Temel fragte sich daher, inwieweit Planung noch demokratisch legitimiert sei und wie die schlimmsten Auswirkungen von Investorenstädtebau rechtzeitig gemildert werden könnten. Auch für Raspotnig ist die Stadtplanung auf Anlass problematisch. In solchen Fällen sollte rasch entschieden werden. Leider würden die zur Verfügung stehenden Instrumente dann oft versagen.
Temel berichtete, dass es in Wien als erprobtes Modell zur BürgerInnenbeteiligung die Gebietsbetreuung (*) gibt. Aber gerade in der Peripherie, wo die urbanistisch schwerwiegendsten Entscheidungen zu treffen sind, werde dieses Modell nicht praktiziert. Temel plädierte für neue Methoden der Planung, vor allem hinsichtlich Nachhaltigkeit. In Zürich habe man Nachhaltigkeitsindikatoren eingeführt, die zur Projektbewertung und zum Evaluieren von Entwicklungen herangezogen würden.

Derzeit werde über ein BürgerInnenbeteiligungsmodell für Graz nach dem Muster der Wiener Gebietsbetreuung diskutiert, berichtete Werle. Von flächendeckender Bebauungsplanung hält er nicht viel. Die Interessen der Stadt sollten in einem Großkonzept definiert werden, damit Investoren sich zurechtfinden können. Hinsichtlich neuer Planungsmethoden erwähnte er die unter der damaligen Grazer Stadträtin Kaltenbeck-Michl eingeführten Lebensqualitätsindikatoren und die Sozialraumorientierung. Man sei aber noch nicht so weit, diese als Beurteilungskriterien bei Projekten einzusetzen.

Der Auftritt der neuen Grazer Planungsstadträtin lässt hoffen, dass endlich frischer Wind in die Stadtplanung kommt und Themen, die seit langem auf dem Tisch liegen, auch angepackt werden. An diesem Abend wurde auch das große Interesse der Grazer Bürgerinnen und Bürger für die Gestaltung ihrer Stadt wieder deutlich. Sie wünschen sich mehr Informationen über Vorgehensweisen und aktuelle Pläne. Es sind daher regelmäßige Podiumsgespräche zu empfehlen, bei denen selbstverständlich auch das Publikum zu Wort kommen soll.

(*) Die Gebietsbetreuungen sind eine Serviceeinrichtung der Geschäftsgruppe Wohnen, Wohnbau und Stadterneuerung, die im Auftrag der Wiener Magistratsabteilung 25 von privaten Auftragnehmer/innen geführt wird. Als bezirksbezogene Einrichtungen stellen die Gebietsbetreuungen ein umfassendes Informations- und Beratungsangebot zu Fragen des Wohnens, des Wohnumfeldes, der Infrastruktur, der Stadterneuerung, des Gemeinwesens und des Zusammenlebens in den Betreuungsgebieten zur Verfügung. Zusätzlich wird diese vielseitige Leistungspalette durch ein spezielles Serviceangebot für den Bereich der städtischen Wohnhausanlagen und deren Bewohner/innen ergänzt. www.gebietsbetreuungen.wien.at/

Verfasser/in:
Elisabeth Lechner, Bericht
Netzwerktreffen
16. + 17.11.2023
 
GAT+