22/11/2004
22/11/2004

Ein die Arbeit des Architekten charakterisierendes Fassadendetail.

Ein die Arbeit des Architekten charakterisierendes Fassadendetail.

Ein die Arbeit des Architekten charakterisierendes Fassadendetail.

Ein die Arbeit des Architekten charakterisierendes Fassadendetail.

Ferienhäuser Jupilles Fassadenansicht

Interieur Beaubourg, Wettbewerb

Asnieres blanc

Asnieres blanc

Images zu verschiedenen Entwürfen. Immer: die grüne Vegetationshülle

Asnieres wie auf der Einladung zum Vortrag

Natur als Tarnung
von Christian Horn

Unter all den Möglichkeiten, in der Architektur eine Symbiose zwischen Kultur und Natur zu erreichen, ist das Konzept der Tarnung eines der bemerkenswertesten. Statt ein Gebäude in all seinen Aspekten auf die lokalen, natürlichen Bedingungen auszurichten, benutzt die Tarnung die Oberfläche, um eine Verbindung zwischen dem Gebäude und der umgebenden Landschaft zu erzeugen und fusioniert beide so auf einer eher formalen Ebene. In seinem Prinzip ist es weit entfernt von einer sorgfältig ausgearbeiteten und energiebewussten Architektur. Es versteckt das Gebäude einfach hinter einem Vorhang aus Natur und erzielt so außergewöhnliche, innovative Symbiosen, ohne die Bauten im Kern zu verändern.
Die französischen Architekten Edouard François und Duncan Lewis hatten während ihrer Zusammenarbeit von 1991 bis 1999 in einigen ihrer Projekte dieses Prinzip ausgearbeitet. In oft landschaftlich sensiblen Zonen konnten sie ihren eigenwilligen Umgang mit Natur, Bäumen und Holz ausdrücken und die oft scharfe Trennung zwischen Architektur und Natur aufheben. Sie betteten ihre Bauwerke unter Einbeziehung von Naturelementen in die Umgebung ein und erzeugten eine zweite, künstliche Natur, welche die Gebäude umgibt.
In der Stadt Thiais bei Paris ließen sie 1994 den Anbau einer Schule über einer bepflanzten Fläche schweben und umgaben ihn mit einer Schicht von Bäumen. So verwandelten sich die Klassenräume zur Freude der Kinder in ein großes Baumhaus. In Nantes schlugen sie 1995 vor, die Klärbecken einer Kläranlage mit Pflanzen zu bedecken und die Verwaltungsgebäude über den Becken aufzuständern, und 1996 setzten sie in Savigny-sur-Orge eine weiterführende Schule mitten in einem Wald über einen Kanal.
Der konzeptuelle Ansatz der Schule in Thias wurde 1996 bei einem Projekt in dem Dorf Jupilles im Süden von Le Mans weiterentwickelt. Die Architekten waren beauftragt worden, eine kleine Ansammlung von Ferienhäusern an einem Waldrand zu entwerfen. Um zu vermeiden, dass das Projekt sich in eine der beliebigen Feriensiedlungen verwandelt, gruppierten sie die Gebäude als Doppelhäuser und umschlossen sie mit einer Hecke aus Bäumen. Ein Gitter auf Höhe des ersten Geschoßes bildet die äußere Begrenzung der Bäume und der Grundstücke. Das durch die schlanken Baumstämme besser einsehbare Erdgeschoß verkleideten sie in unregelmäßigen Abständen mit vertikalen Holzpaneelen und spiegelten so den Rhythmus der Baumstämme auf der Fassade wider. Auch in den Innenräumen der Häuser setzten sie Hölzer ein, die sie so weit wie möglich in unbehandeltem Zustand verwendeten.
Heute verdeckt die an der Fassade entlanggeführte Schicht aus Bäumen vollständig die erste Etage der Häuser und neben dem visuellen Effekt bildet die Baumschicht auch einen klimatischen Schutz. Der gezielte Einsatz der Bäume als lebendiger Baustoff verankert die Häuser in ihre Umgebung, ohne jedoch ihre Künstlichkeit zu verneinen, denn auch wenn die Arbeit mit der Natur das zentrale Thema dieser Ferienhäuser ist, bleibt es doch eine dressierte und künstliche Natur, welche die rechteckige Form der Baukörper widerspiegelt.
Drei Jahre später perfektionierten die Architekten bei einem Wohngebäude in Montpellier mit sieben Geschoßen und 64 Wohnungen das Prinzip der Tarnung und verkleideten die Fassade über seine gesamte Fläche von 3000 m2 mit experimentellen Paneelen. Diese bauen sich auf aus einer tragenden Schicht aus Stahlbeton, einer innenliegenden Isolierung und einer äußeren 31 cm breiten Verkleidung, welche aus einer losen Stapelung von Bruchstein und vulkanischem Granulat besteht. Zusammengehalten von einem Drahtgitter, wurden bei der Fertigstellung des Gebäudes zwischen den Steinen verschiedene Samen von Kletterpflanzen platziert. Mit einem Bewässerungssystem ausgestattet, sollte die Fassade in den nächsten drei Jahren bis zu 30 % bewachsen sein. Einige der Wohnungen besitzen auch eine Art Baumhäuser im Außenbereich, welche über einen Steg zu erreichen sind und an die Ferienhäuser in Jupilles erinnern. Diese 16 m2 großen Außenräume stehen auf Holzstützen und befinden sich eingerahmt von Baumkronen.
Doch während die Fassade zum aufwändigen Forschungsobjekt wurde, erlaubte der Investor Pragema den Architekten keinen Einfluss auf die innere Struktur des Gebäudes und die Qualität der Wohnungen. So erfolgt die Erschließung der Standardwohnungen über fensterlose Flure, in denen nichts von der außen aufgebrachten Vegetation zu spüren ist.
Nach ihrer Trennung forschen beide auf ihre Art weiter an der Symbiose zwischen Natur und Architektur. Während Edouard François an einem Wohngebäude in Paris weiter das Thema der Naturinszenierung über die Fassadengestaltung bearbeitet, stellt Duncan Lewis ein Gebäude in Norwegen fertig und arbeitet mit Jean Nouvel an weiteren Projekten.

Der Vortrag von Edouard Francois fand am Dienstag, den 23.11.2004 um 19:30 Uhr
im Hörsaal 1 der TU Graz, Rechbauerstraße 12, statt.

Biografie des Architekten
Edouard François
1958 geboren in Billancourt, Frankreich.
Absolvierte die AA in London.
1993 – 98 Zusammenarbeit mit dem englischen Designer Duncan Lowen Lewis in Paris.
Ihre Arbeiten reflektieren die Beschäftigung mit Vegetation und landschaftsgebundenem Bauen, indem sie Natur inszenieren. "Streng genommen geht es auch nicht um Natur, sondern um eine Alchemie, die neue, artifizielle Substanzen hervorbringt. Es entstehen zeichenhafte Anspielungen auf Natur, die dort eingesetzt werden, wo der Schein seinen Platz hat: an der Fassade." (Zitat: Axel Sowa)

Edouard François & Associes
136, Rue Falguiere
75015 Paris
T + 33 (0)1/45 67 88 87
agence@edouardfrancois.co

Literaturhinweis
Housing + Single-Family Housing
Jaime Salazar, Manuel Gausa
Birkhäuser ACTAR, 2002

Christian Horn, der Autor dieses Beitrags lebt und arbeitet als Architekt und Journalist in Frankreich und leitet seit 2000 das eigene Architekturbüro ON-AIR in Paris.

Verfasser/in:
Redaktion GAT und Christian Horn
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