05/08/2020

Gedankengebäude
Emil Gruber zur Ausstellung

Ungebautes Graz
Architektur für das 20. Jahrhundert
GrazMuseum
bis 31. Jänner 2021
täglich, 11–18 Uhr

Kuratorin
Ingrid Holzschuh

Kuratorische Assistenz
Johanna Fiedler

Projektleitung
Franziska Schurig

Projektsteuerung
Sibylle Dienesch

Gestaltung / Grafik
studio-itzo

05/08/2020

Ausstellungssujet 'Ungebautes Graz – Architektur für das 20. Jahrhundert' im GrazMuseum bis 31. Jänner 2021

©: GrazMuseum

Leopold Bauer, 1932, Skizze für Warenhaus Scheiner, Graz, Jakominiplatz

©: GrazMuseum

Viktor Badl und Herbert Eichholzer, 1935: Markthalle am Fischmarkt (Anderas-Hofer-Platz), Modell

©: Archiv der TU Graz

Skizze zur Nationalbank im Grazer Stadtpark, 1950: Zeitungsfaksimile in der Ausstellung

©: Emil Gruber

Günther Domenig und Eilfried Huth, 1965: Wohnprojekt Ragnitz, Modell. Modellfoto: Archiv Eilfried Huth

©: Eilfried Huth

Hubert Hoffmann, 1968: Stadtberg Graz, Modell

©: Archiv der TU Graz

Werkgruppe Graz,1961: Entwurf Hallenbad Augarten, Modell

©: Archiv Eugen Gross

"Planung ersetzt Zufall durch Irrtum"
(Albert Einstein)

Im öffentlichen Raum polarisieren neue architektonische Konzepte unmittelbar. Die Auseinandersetzungen um Veränderung von bestehendem urbanem Gefüge sind ein Spiel der jeweiligen Machtverhältnisse, politisch wie wirtschaftlich. Verhinderung oder Umsetzung durch demokratische bis autoritäre Mittel sind wie seriöse und vorab entschiedene Wettbewerbe Begleitmusik. Die fragile Dreieinigkeit Bauherr – Architekt – Stadtbild ist Dogma und Schisma zugleich. Architektur hat aber eine besondere Zusatznuance. Pläne, Skizzen und Modelle überdauern in öffentlichen und privaten Sammlungen nicht selten das tatsächlich Gebaute. Im Archiv treffen sich Verworfenes und Akzeptiertes wieder auf Augenhöhe.
Nicht Gebautes ist zugleich Antithese und Fußnote der zu Materie gewordenen Architektur. Als ergänzender Zeitzeuge vertieft es den Blick auf die Stadt. Manchmal werden Entwurf gebliebene Ideen als neue Inspirationsquelle benutzt, weitergedacht oder einfach ziemlich schamlos „ausgeliehen“. (Mit der gleichen Chance, gebaut zu werden oder abermals als Entwurf in die Unsichtbarkeit zu entschwinden, wie die Vorlage.) Gescheiterte und umgesetzte Architekturpläne sind ein sich am Ende sich selbst betrachtender Januskopf. Falsch, richtig, alles eine Frage der Perspektive. „Alle Häuser sind schön“, postulierte Jacques Fillon provokant in seinem 1954 erschienen Manifest Neue Spiele.
Seit der Jahrtausendwende ist das Grazer Stadtbild einem Hochgeschwindigkeitswandel unterworfen. Dem Dauerhunger der Investoren an gewidmeten Grundstücken mussten auch an sich geschützte Objekte, inklusive Gründerzeitvillen weichen und uniformen Wohneinheiten Platz machen. Reininghaus wird zu einem Stadtteil der Zukunft hochgetunt. Miniatur-Trabantenstädte befüllen an den Rändern von Graz ehemalige Wiesen und landwirtschaftliche Nutzflächen. Jede noch so kleine innerstädtische Baulücke oder Brache wird maximal möglich verdichtet. Randvoll mit Geld befüllte Immobilienfonds und der Traum von der unendlich wachsenden Stadt halten Graz – noch – fest im Griff. „Die Qualität von Städten und Plätzen lässt sich am Reißbrett entwerfen, ihre Schönheit kommt durch die Zeit“, der einstige Optimismus eines Renzo Pianos klingt heute naiv.
Während dem Wohnbau kaum Schranken gesetzt sind, blieben viele als öffentliche Prestigebauten hoch getrommelte Projekte aufgrund von Bürgerinitiativen und/oder Budgetlöchern Visionen: Murgondel, Plabutschlift, Tiefgarage am Eisernen Tor, Casino mit Hotelkomplex am Andreas Hoferplatz liegen wieder in Schubladen.

Mit Ungebautes Graz zeigt das GrazMuseum eine kurzweilige und informative Vorgeschichte zum aktuellen Schein statt Stein. Die von der Wiener Kunst- und Architekturhistorikerin Ingrid Holzschuh kuratierte Schau gliedert sich in drei große Blöcke: Die fragile Moderne der Zwischenkriegszeit, die Groß-Graz-Hybris im Nationalsozialismus und die zahlreichen kontroversiellen Architekturzugänge in der Nachkriegszeit bis Ende des 20. Jahrhunderts. 
Die auswählten Beispiele sind allesamt besonders stark ins Stadtbild eingreifende Entwürfe. Der Wahnwitz der Stadtautobahn in den 1970ern, das ursprünglich in der Grazbachgasse geplante Bauamtsgebäude oder die (fast) unendliche Geschichte des Trigon Museums von Ende der 1980er bis zum Kunsthaus 2003, werden vielen noch in Erinnerung sein. Viele radikale Ideen sind dagegen vergessen.
1950 konnte eine Volksbefragung glücklicherweise den Neubau der Nationalbank mitten im Stadtpark am Opernring verhindern. 1968 präsentierte Hubert Hoffmann seinen Stadtberg. Die Überbauung des Bahngeländes sollte eine Stadt in der Stadt für 3500 Personen inklusive Kirche, Schulen, Nahversorgung und Freizeitanlagen entstehen lassen. Ragnitz würde deutlich spektakulärer ausschauen, wäre die vielfach prämierte Megastruktur von Günther Domenig und Eilfried Huth Ende der 1960er umgesetzt worden. Klaus Gartler und Helmut Rieder kippten einige Jahre vorher augenzwinkernd rigoros das Stadtbild. Ein Staudamm in der Mur flutet Altstadt, funktioniert sie zu einem Wasserkraftwerk um. Der daraus gewonnene Strom speist eine 1500 Meter hohe Bau(m)struktur für eine Viertelmillion Menschen: Die Vertikale Stadt. (Der israelische Staatsgründer Ben Gurion meinte einmal, wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist.)
Nicht demokratische Mittel, sondern schlichtweg fehlende finanzielle Mittel ließen die Groß-Graz-Pläne der Nationalsozialisten schon 1942 Papier bleiben. Der Totalumbau des Jakominiplatzes, der Schloßberg als monumentale NS-Skulptur, 75 Meter breite Aufmarschstraßen und großflächige Paradeorte blieben Graz erspart. (Hitler konnte zumindest in seinen letzten Tagen im Berliner Bunker mit einem Modell von Linz, das ihm sein „gottbegnadeter“ Architekt Hermann Giesler noch schnell baute, aus der Realität flüchten.)
Gewagt ,aber ungleich ästhetischer wirken heute einige unrealisierte Entwürfe der 1930er. Die in der Kalchberggasse geplante Landesbildergalerie Joanneum fügt sich 1936 sanft modern in den Altbestand ein. Die 1935 am Fischplatz, dem heutigen Andreas-Hofer-Platz, geplante Markthalle lässt pragmatisch dem Ort viel Freiraum. Das zwölfgeschoßige Warenhaus Scheiner am Jakominiplatz erinnert frappant ans Berliner KaDeWe. Bei allen Objekten wird spürbar, hier wird mit neuen Ideen experimentiert und Konventionen werden hinterfragt.

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