15/06/2004
15/06/2004

(Aus "Il Giornale dell’ Architettura 06/2003")

Das Dialekt-Institut in Oberschützen (Burgenland) ist die jüngste einer Serie von Realisierungen des Grazer Architekten Hans Gangoly, die sich durch Klarheit und Stimmigkeit im Umgang mit bestehender Bausubstanz auszeichnen.

Oberschützen: Oben an der Hügelkante dominiert weithin sichtbar das Bogengeviert des Anschluß-Monuments von 1938 – bis heute Zeuge der Ausgrenzung, der Verfolgung, Ermordung, die die gemischtsprachige Grenzregion zwischen Österreich und Ungarn mit ihren jüdischen, kroatischen und Roma Minderheiten besonders hart treffen sollte. Fährt man dann am Mahnmal vorbei und hinunter ins Tal, liegt hier, in die schmale Talsohle gedrückt, der alte Schulort, aus dem nur die historistischen Blöcke des katholischen und des evangelischen Gymnasiums und die jeweiligen Kirchen der Glaubensgemeinschaften aufragen. Wie in fast allen burgenländischen Gemeinden ist die ehemals geschlossene Bebauung der quer zur Straße gestellten, schmalen Hofhäuser, längst von anderen, solitären Bautypen durchsetzt. Wo die alten Häuser noch bestehen, bilden sie auf ihren langen Parzellen eine ansteigende Folge immer offenerer Räume, bis hin zu den schmalen Streifen der Obstgärten.

Antithetisch zur belasteten, geteilten Geschichte des Orts und der Region ist Oberschützen auch Zentrum eines sehr aktiver Vereins, der sich im Dialekt-Institut die Erforschung und Entwicklung des Hianzner Dialekts und seiner lokalen, die Bevölkerungsgruppen übergreifenden Kulturformen zum Ziel gesetzt hat. Eines der verbliebenen alten Hofhäuser, gleich an der Ortseinfahrt, ist heute als Volkskundemuseum adaptiert. Mit dem Dialekt-Institut setzt Hans Gangoly, bei minimalem Budget, neben den dreiseitig geschlossenen Arkadenhof einen weiteren gegliederten Längsbau, der die aufgelockerte Reihe paralleler Häuser zum Abschluss bringt. Alt und Neu sind auf den ersten Blick erfahrbar aufeinander bezogen und doch dezidiert in ihrer unterschiedlichen Zeitlichkeit begriffen, ohne die daraus entstehenden Gegensätze mit avantgardistischem Pathos vorzutragen. Zu diesem an sich widersprüchlichen Phänomen, das der gesamten Anlage ein unverwechselbares Gefühl von offener Zugehörigkeit verleiht, tragen eine Reihe wohlüberlegt gesetzter Entscheidungen bei.

Die Unterschiede sind offensichtlich: Die strenge stereometrische Gliederung der Bauteile und Öffnungen, der Wandscheiben und Kragplatten im Neubau begegnet den weicheren Formen der Mauern und Dächer, Pfeiler und Bögen des Altbaus. Das offene Gefüge unterschiedlich hoher, differenziert belichteter und auf je spezifische Weise mit den Außenbereichen kommunizierender Räume des Dialekt-Instituts setzt der traditionellen Zellenstruktur des alten Hauses neue Dimensionen entgegen. Auch die Materialität und die Farbe machen die Unterschiede deutlich: dem kräftigen Gegensatz des traditionellen Weiß der verputzten Mauern und der dunklen Farbigkeit der alten Dachziegel entspricht beim Neubau die Homogenisierung der Farben im Bereich zwischen betongrauen Bauteilen und graugrünen Anstrichen, die auch durch die unvermeidliche Tönung des Wärmeschutzglases noch unterstrichen wird – übrigens ein Ton der nicht nur eine gewisse Affinität zu den Farben älterer landwirtschaftlicher Maschinen und eine seltsame Dissonanz zum Grasgrün des Bodens anklingen lässt, sondern auch entfernte Assoziationen zum grünlichen Einschlag der Sandsteinpfeiler des so belasteten Monuments – dessen Pathos entschieden auf den Boden der Gewöhnlichkeit herunterholend.

Doch diese Unterschiede werden durch subtile Entsprechungen mit einfachsten Mitteln konterkariert: Da ist zunächst einmal die Typologie, die das Dialekt-Institut in freier Interpretation an die tradierten Bautypen der burgenländischen Bauernhäuser anknüpfen lässt: Die mittige Hofeinfahrt an der Front zur Straße und die großen seitlichen Verglasungen an der zurückgesetzten Straßenfassade des Hauptbaukörpers zerlegen und rekonstruieren geradezu physiognomisch das gewohnte „Gesicht“ des traditionellen Hofhauses. Das Hoftor dient tatsächlich einem dem Einbringen der Ernte analogen Vorgang. Es erschließt einen rampenartig abfallenden Hof und das im Untergeschoß daran anschließende Lager, wo hinterlassenes und bäuerliches Kulturgut und Gerät angeliefert, gesammelt und aussortiert wird. An den Vorhof schließt der Hauptbaukörper an. Großteils geschlossen zur Quergasse öffnet er sich mit großen Verglasungen zum Altbau. Seine unterschiedlich dimensionierten, hintereinander gereihten Bauteile erinnern an die gestaffelten Hoftrakte der Bauernhäuser: vorne die Bibliothek, daran anschließend der breitere Eingangsbereich, dann die Studienräume und schließlich die große Pergola des in den Hang geschnittenen Gartenhofs. Mit der als Wandscheibe verlängerten Längswand klingt das Gebäude im ansteigenden Gelände aus. Die den Bauteilen in Längsrichtung aufgesetzten Oberlichtkörper schaffen nicht nur differenzierte, teils meditativ gesammelte, teils flutend helle Lichtsituationen im Inneren. Ihre unterschiedlichen Höhen und Breiten betonen zusätzlich die Reihung der Baukörperteile.
Die Lücke zwischen Alt- und Neubau gibt, ebenso einfach wie stimmig, Raum für den Hauptzugang der sich zum Hof weitet und fast beiläufig eine weitere typologische Analogie liefert, sind doch auch die Räume des traditionellen Hofhauses nie direkt von der Straße sondern seitlich vom Hof aus erschlossen.

Andere Entsprechungen ergeben sich auf der Ebene des Materials: Die „Gewöhnlichkeit“ der Materialien erfährt am Alt- und am Neubau ihre jeweils eigne, einmal handwerklich bedingte dann industriell bestimmte Bedeutung, sie bezieht sich auf die dem Alten und dem Neuen jeweils spezifische Zeit und ihre gesellschaftlichen Bedingungen. Auf der Ebene des Zeithorizonts und des gesellschaftlichen Kontexts sind die beiden „Gewöhnlichkeiten“ analog, so konträr sie auf der Ebene der sinnlichen Wahrnehmung auch erscheinen.

Die Übergänge sind nicht Thema verfeinerter Detailarbeit die Teile stehen vielmehr unvermittelt aber wie selbstverständlich nebeneinander. Und tatsächlich beruht ihre Zugehörigkeit auf elementaren archaischeren Bezügen: Wie im Altbau Mauerwerk, Holzskelett und Bretterschalung jeweils unmittelbar sich überlagern und ihrer Funktion entsprechend ergänzen, so verhält es sich beim Neubau mit den unverputzten Betonwänden und Stützen, dem Rahmenwerk aus ungestrichenen Holzpfosten und den geklebten, geschoßhohen Glastafeln. Der Direktheit der inneren Bezüge von Alt- wie Neubau entspricht die Direktheit der Beziehung der beiden Teile zueinander. Die Folge ist ein erstaunlich entspanntes Neben- und Zueinander, das wie die engagierte Annahme des Gebäudes durch die Bewohner und den Verein zu beweisen scheint, zum Ausdruck eines normalisierten Zusammenlebens der Volksgruppen werden könnte.

Die gelassene Beziehung zu den Unwägbarkeiten eines Kontexts die hier am Dialekt-Institut in Oberschützen exemplarisch entwickelt erscheint, kündigt sich in einer Reihe kleinerer Projekte an, die Hans Gangoly in den letzten Jahren realisieren konnte. So taucht etwa das Element des Oberlichts mehrfach in spezifischen Kontextbeziehungen auf. Am Zubau zum Haus Wagner-Pirch unterstreicht es das szenografische Konzept einer zur Landschaft sich öffnenden raumbreiten Verglasung, über der es sich erhebt. Von der höher gelegenen Stube im Altbau zum dreiseitig offenen, vorgelagerten Wohnraum heruntersteigend hebt sich die von oben erhellte Wandscheibe über dem Glasband und gibt erst zuletzt den Blick auf die Horizontlinie der gegenüber liegenden Hügel frei. Im Zubau der in einem alten Hofhaus eingerichteten Galerie Hametner in Stoob dagegen bildet das Oberlicht, vom höheren Teil des Gartens gesehen, ein blockhaft geschlossenes Volumen, das sich dem Dachkörper des Altbaus selbstbewusst gegenüberstellt. Ein anderes Detail an diesem Projekt steht für die Überlagerung von formaler Unmittelbarkeit und typologischer Durchdringung in der Konfrontation von Altbau und Zubau: der Traufenstreifen entlang der Hofwand des Altbaus wird dort, wo der Zubau den Hof unterbricht, durch eine extrem schmale, unter dem Dachüberstand eingepasste Tür als der traditionelle offene „Korridor“, der die Räume der einfachsten Häuser verband, bewusst gemacht.
Im Mehrfamilienhaus Hornegg nimmt die Beziehung der locker als Elementbau in Stahl gefügten Schachtel der Wohnungen zum Sockel des schweren Mauerwerksbaus eine an Smithson´s ‚Solar’-Pavillon erinnernde Unmittelbarkeit an. Aber wie bei diesen geschieht auch hier die Konfrontation nicht beziehungslos, sondern auf eine Weise, die den Bestand in seiner Struktur erhellt. Im wörtlichen Sinn ist das schließlich bei der denkmalgeschützten Stadtmühle in Graz der Fall. Sie konnte als Loft-Wohnhaus eine neue Verwendung finden, indem die mehrgeschossige hölzerne Tragkonstruktion der Mühle durch Umwandlung des innersten Kerns in einen gedeckten Hof als Raumstruktur sichtbar und mit Stegen und Galerien bespielbar gemacht wurde.

Netzwerktreffen
16. + 17.11.2023
 
GAT+