22/12/2009
22/12/2009

KARL STOCKER

Vortrag anlässlich der Präsentation der HDA-Publikation "Joint action in architecture – Getting political again?", am 14. Dezember 2009 im HDA Graz.

Sehr geehrte Damen und Herren! Ich darf mit dem Klappentext der Publikation beginnen: „Mit Joint Action in Architecture – Getting political again? nimmt das HdA Stellung zur politisch-moralischen Krise der Architektur. Autoren aus den Bereichen Architektur und Architekturkritik, Politik und Finanzwesen, Philosophie, Ökologie und Systemkritik skizzieren dabei Ziele, die es zu verfolgen gilt, wenn Architektur wieder zum relevanten Player in der Gestaltung unserer politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse werden will. "Denn" – so die Herausgeber weiter – "Architektur, verstanden als räumlicher Ausdruck bestehender Machtverhältnisse, ist seit jeher auch eine politische Angelegenheit." Eines gleich vorweg: Die Publikation ist nicht nur für ArchitektInnen und ArchitekturtheoretikerInnen interessant, sondern sicher auch geeignet, einer breiteren Öffentlichkeit den aktuellen Diskurs Architektur/Politik näher zu bringen.“

Interessant für mich sind jedenfalls die theoretischen Zugänge, die die Publikation enthält. Beispielhaft sei hier auf Petra Ceferins „Architektur des affirmativen Widerstands“ verwiesen, den ich auch zum Anlass nehme, hier einige Gedanken aus der Perspektive eines Kultur- bzw. Gesellschaftswissenschaftlers anzuhängen.

Petra Ceferin fragt in ihrem Beitrag nach – ich zitiere - „was nötig ist, um auch weiterhin Architektur als Architektur praktizieren zu können?“ Ausgangspunkt ihres Denkansatzes - und ich referiere hier im Folgenden ihren Beitrag - ist dabei ein Blick auf die architektonische Haltung, Architektur als Widerstand zu begreifen. Diese Haltung gehe davon aus, dass die zunehmende Unterwerfung unter die Gesetze des Marktes bedinge, dass die Architektur ihre spezifische, architektonische Aufgabe zu erfüllen habe, die untrennbar mit einer kritischen Haltung zur bestehenden Gesellschaft und Kultur verbunden sei. Architektur könne die Dinge zum Besseren verändern, und zwar in der ihr eigenen architektonischen Weise. Die heutige Welt biete jedoch immer weniger Raum für eine solche Praxis. Wir beobachten eine zunehmende Trivialisierung von Architektur: sie wird auf ein Mittel zur Profitgenerierung für einige Wenige reduziert oder auf einen der vielen Entertainmentfaktoren. Demnach sei die Praxis einer „Architektur als Architektur“ zwar in der Vergangenheit möglich gewesen und könne auch heute noch gelebt werden, allerdings an unbedeutenden, entlegenen Orten, deren Alltagsrealität noch nicht völlig den Kräften des Marktes unterworfen ist.

Ceferin arbeitet nun heraus, dass diese Position ein entscheidendes Problem habe. Sie setze, um diesen Anspruch erfüllen zu können, entsprechende Bedingungen voraus, denn sie gehe von folgender Annahme aus: Wenn eine kritische Haltung möglich sei, dann sei auch Architektur möglich. Ihre Vertreter vertreten die Meinung, dass sich erst die Umstände ändern müssen, damit Architektur weiter existieren könne, also gelte es, Widerstand gegen die gegebene Situation zu leisten. In einer vom globalen Kapitalismus dominierten Welt jedoch sei ein solches Konzept zum Scheitern verurteilt, denn bekanntermaßen lebe das kapitalistische System selbst von diversen Formen des Widerstands.

Um zu zeigen – und zu sehen –, wie Architektur als Architektur weiterhin möglich sei, müsse die Argumentation – so die These Ceferins - umgekehrt werden, so dass sich folgender Ausgangspunkt ergebe: Wenn Architektur möglich sei, dann sei auch eine kritische Haltung möglich. Die Position des Widerstands sollte also in einer affirmativen Denkweise begründet sein. Es genüge einfach nicht, gegen die Dominanz der Marktlogik zu kämpfen, die Architektinnen und Architekten müssten vielmehr für die Sache der Architektur eintreten. Mit dieser Position könne, so Ceferin, die Sackgasse der Architektur als Widerstand überwunden werden. Man könnte sie wohl am besten als Standpunkt des affirmativen Widerstands bezeichnen: sie widersetze sich den negativen Tendenzen unserer sozialen und kulturellen Wirklichkeit, indem sie die Architektur bejahe. Oder anders gesagt: Aus dieser Perspektive greife Architektur immer in Bestehendes ein, störe, werfe Fragen auf – sie könne gar nicht anders. Die Antwort von Ceferin auf die Frage, ob Architektur als Architektur noch möglich sei, lautet also: Ja, wenn wir in jeder einzelnen Situation, in jedem einzelnen Fall darauf bestehen, Architektur als Architektur zu praktizieren. „Darauf bestehen“ deshalb, weil es eine solche Praxis längst gebe – nicht nur an irgendwelchen fernen Orten, auch in den Finanzzentren dieser Welt.

Sehr geehrte Damen und Herren. Lassen Sie mich nun noch etwas näher auf diesen Gedanken des „affirmativen Widerstands“ eingehen. Dieser u. a. von Bazon Brock im künstlerischen/kunstheoretischen Bereich schon in den 1960er Jahren diskutierte Begriff – siehe dazu und im Folgenden Bazon Brock, Das Prinzip der Affirmation, in: http://www.brock.uni-wuppertal.de/Schrifte/AV/Affirmat.html -
hat seinen Ursprung darin, dass – so seine Erfinder - Widerstand allein durch „Neinsagen“ nicht ausreichend funktionieren könne. Die sprichwörtliche Frage "Wo bleibt das Positive?" müsste bei aller zutage liegenden Unzulänglichkeit der Formulierung ernst genommen werden: Jeder Widerstand gegen und jede Verneinung von zugemuteten Gegebenheiten würde zwar von positiven Gegenvorstellungen getragen; aber diese Gegenvorstellungen schienen allzu sehr eine bloße spiegelbildliche Umkehrung, eine Gegenwelt zum negierten Gegebenen zu sein. Affirmative Strategie konfrontiere daher das explizite Selbstverständnis, die Handlungslegitimationen von jemand, der einen Aussagenanspruch erhebt, mit der tatsächlichen Konsequenz seines Handelns. Dabei würden in der Regel erhebliche Widersprüche aufzudecken sein. Aus dieser Konfrontation folge dann entweder die Aufgabe der offensichtlich falschen Handlungslegitimationen oder eines Selbstverständnisses, oder aber es folge daraus eben ein anderes Handeln.

Diese Konfrontation von Handlungslegitimation und Handlungskonsequenzen beginne man am besten damit, dass man den sich Legitimierenden nachdrücklich beim Worte nimmt, indem man ihn darauf verpflichtet, seinen Aussagen zufolge auch zu handeln, indem man ihm also versichert, dass es nicht um die Abweisung seiner Aussage als bloß ideologischer gehe, sondern gerade um ihre Durchsetzung. Wie man ein solches Beim-Wort-Nehmen bewerkstelligen könne, um jemand den Widerspruch zwischen den Legitimationen und den Konsequenzen seines Handelns zum Bewusstsein zu bringen, demonstriere – so Brock - anschaulich die international geschätzte Figur des Eulenspiegels, oder aber auch – so meine ich - die konkrete Praxis einiger ArchitektInnen und Architekten, wie sie Petra Ceferin beschreibt.

Sehr geehrte Damen und Herren! Lassen Sie mich nun noch ausführen, wie dieser affirmative Widerstand noch auf die Spitze getrieben werden könnte. Dazu hat sich schon vor einigen Jahren der französische Soziologe Jean Baudrillard geäußert, der – ich zitiere – „Probleme gerne kitzelte, bis sie anfingen zu niesen“.
Ausgangspunkt seiner Hypothesen – ich folge nun Jean Baudrillard, Die fatalen Strategien, München 1991 orig. Paris 1983, S. 114ff. - ist die vielzitierte Behauptung, die Massen seien politisch desinteressiert, ja – so die politische Klasse und ihre Agenten – sie seien völlig unpolitisch und politisch unengagiert, oder – so die „klassischen“ Linken - die Massen seien von den Herrschenden entpolitisiert und entmündigt worden. Aber ist das wirklich so? Baudrillard behauptet „nein“, er meint, die Massen seien keineswegs ein Objekt der Unterdrückung und der Manipulation. Sie müssten nicht befreit werden und könnten es gar nicht. Ihre ganze transpolitische Macht bestehe in ihrer Existenz als reines Objekt, bestehe darin, ihr Schweigen, ihr Nichtvorhandensein von Begehren jedem politischen Gelüst, das sie zum Sprechen bringen will, entgegenzusetzen. Alle Welt versuche sie zu verführen, sie anzustacheln und sie für ihre Zwecke einzusetzen. Ausdruckslos, amorph und unergründlich übten sie aber eine passive, undurchdringliche Herrschaft aus, sie würden nicht nur nichts sagen, sondern sie neutralisierten in raffinierter Weise, vielleicht wie die Tiere in ihrer animalischen Gleichgültigkeit die gesamte politische Szenerie und den politischen Diskurs.
Baudrillard schreibt: „Welch verblüffende Macht der Objekt-Masse. Massen verkörpern das reine Objekt des Politischen, das heisst das Ideal einer absoluten Herrschaft, einer Todesherrschaft über den gesellschaftlichen Körper, und sie sind die Inkarnation eines erschreckenden Traums der Macht. Gleichzeitig sind sie das leere Objekt, die Nicht-Materialisierung, der radikale Anti-Körper, der für jegliche politische Subjektivität unempfänglich und somit vollkommen unnütz und gefährlich ist. Das Szenario des Politischen kehrt sich um: es ist nicht mehr die Macht, die die Masse in ihrem Kielwasser mit sich reisst, sondern es ist die Masse, die die Herrschenden in den Untergang treibt. Deshalb also täten die Politiker, denen die Verführung der Massen am Herzen liegt, besser daran, sich zu fragen, ob sie sich nicht im Gegenzug kannibalisieren lassen und ob sie ihr Simulakrum der Macht nicht genauso bezahlen müssen wie das Männchen, das nach der Paarung vom Weibchen verschlungen wird.“ Zitat Ende!

Baudrillard ist nun natürlich kein Defaitist: Er glaubt an die Revolution, aber anders als sie die marxistischen Denker gedacht haben. Die Revolution würde nicht symbolisch, glanzvoll und subjektiv sein, sie werde finster und ironisch sein. Sie würde nicht dialektisch, sondern fatal sein. In gewisser Weise gehe es nun nicht mehr um eine Revolution, sondern um eine massenhafte Devolution, um eine massive Übertragung der Macht und der Verantwortung auf sowohl politische und intellektuelle, wie auch auf technische und operative Apparate. Ein massenhafter Verzicht auf den Willen. Das geschehe nicht durch Entfremdung und freiwillige Knechtschaft, sondern durch eine souveräne Philosophie des Un-Willens, die eine Art Anti-Metaphysik darstelle, deren Geheimnis darin liege, dass die Massen (oder der Mensch) im Grunde wissen, dass sie nichts über sich selber und die Welt zu sagen haben, dass es nichts gibt, was sie wollen, wissen und begehren. Das tiefste Begehren liege vielleicht darin, sich dieses Begehrens zu entledigen und es jemand anderem zu übertragen. Das ist eine Strategie der Desillusionierung des „eigenen“ Begehrens, des „eigenen“ Willens, eine Strategie der ironischen Besetzung, eine Strategie der Auslieferung der philosophischen, moralischen und politischen Ansprüche an andere.

Denn dafür gebe es ja schließlich die Geistlichen, die Unter- und Oberleutnants des Begriffs und des Begehrens. Die ganze Werbung, die ganze Information und die gesamte politische Klasse seien dazu da, um uns zu sagen, was wir wollen, um den Massen zu sagen, was diese wollen. Im Grunde akzeptierten wir diesen massiven Transfer von Verantwortlichkeit gerne, denn es sei schlichtweg weder einleuchtend noch interessant, zu wissen, zu wollen, zu herrschen und zu begehren. Wer sonst als die Philosophen hat uns das aufgedrängt?

Laut Baudrillard sei die Selbstbestimmung ein hässliches Gebot. Jede Philosophie, die den Menschen dazu bestimme, seinen Willen auszuüben, mache nichts anderes, als ihn in Hoffnungslosigkeit zu stürzen. Wenn für das Bewusstsein nichts schmeichelhafter sei als zu wissen, was es will, ist im Gegensatz dazu für das andere Bewusstsein (das Unbewusste?), für dieses düstere und vitale Bewusstein, das das Glück von der Verzweiflung des Willens abhängig macht, nichts verführerischer, nichts faszinierender, als nicht zu wissen was es will, als von der Wahl befreit und dem eigenen objektiven Willen entfremdet zu sein. Es sei besser, sie an irgendein unbedeutendes Gelüst abzutreten, als aufgehängt zu sein an seinem eigenen Willen oder an der Notwendigkeit zu entscheiden. Beau Brummell, der erste Dandy der Geschichte, hatte genau dafür einen Diener. Angesichts einer wunderschönen Seenlandschaft wandte er sich an diesen und fragte: „Which lake do I prefer?“

Es ist nicht nur so, dass es den Massen gar nicht gefalle, gesagt zu bekommen, was sie wollen, sondern es gefällt ihnen auch nicht, es zu wissen. Es sei nicht mal sicher, dass sie überhaupt Lust hätten zu wollen. Angesichts einer solchen Überredung sei es im Grunde ihr böser Geist, der ihnen eingebe, dem Werbungs- und Informationsapparat zu übertragen, dafür zu sorgen, dass sie „überredet“ würden und dass ihnen die Entscheidung abgenommen würde (oder sie überlassen es einfach der politischen Klasse, aus den Dingen schlau zu werden) – so wie Brummell es mit seinem Diener gemacht hat. Klar, dass dann aus dieser Ecke die vielen Klagen über sinkende Wahlbeteiligungen und falsche Wahlprognosen kommen.

Baudrillard behauptet weiter, die Masse wüsste, das sie nichts weiss, und sie habe gar keine Lust zu wissen. Die Masse wüsste, dass sie nichts ausrichten könne, und sie habe auch keine Lust etwas auszurichten. Man mache ihr heftige Vorwürfe wegen dieses Zeichens von Dummheit und Passivität. Aber nicht doch: Die Masse sei sehr snobistisch, sie mache es wie Brummell und delegiert ihre Entscheidungsfreiheit souverän an jemand anders – durch so etwas wie ein Unverantwortlichkeitsspiel, eine ironische Herausforderung, einen souveränen Un-Willen, eine heimliche Lust. Alle Mittler (politische und intellektuelle, Erben der Aufklärungsphilosophen in ihrer Verachtung der Massen) würden im Grunde nur noch einem Zweck dienen: im Auftrag und per prokura dieses lästige Geschäft der Herrschaft und des Willens zu verwalten, den Massen zu deren größtem Vergnügen diese Transzendenz abzunehmen und ihnen obendrein noch das dazugehörige Spektakel zu bieten.

Wir hätten – so Baudrillard - immer eine traurige Vorstellung von den (entfremdeten) Massen gehabt und eine solche vom (verdrängten) Unbewussten. Auf unserer ganzen Philosophie laste diese traurige Korrelation. Zur Abwechslung wäre es einmal interessant, sich die Masse, die Objekt-Masse, als Inhaberin einer delusorischen, illusorischen, allusorischen Strategie vorzustellen, als Korrelat eines endlich ironischen, freudvollen und verführerischen Unbewußten. „Getting political again? Ja, sicher, aber eigentlich eh immer schon!

Danke für Ihre Aufmerksamkeit!

Verfasser/in:
Karl Stocker, Vortrag
gerald hirsch

auch ich würde mich sehr freuen, wenn architekten/innen die architektur wiederentdecken würden.
wobei mir anstelle einer "kritischen haltung" durchaus "haltung" genügen würde.
die postulation der qualität der "reinen architektur an (für) sich" bereitet mir eher bauchschmerz.
ich glaubte, dieses kapitel hätten wir bereits hinter uns?
jedenfalls bin ich gespannt darauf, dieses buch zu lesen.

Di. 05/01/2010 11:02 Permalink
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