15/12/2006
15/12/2006

Ein Beitrag zur Budget-Debatte im Grazer Gemeinderat, am 14.12.2006. Verfasst und vorgetragen von Hermann Candussi, Gemeinderat der Grazer Grünen.

Wer ist arm? Wer ist reich?

Wenn ein slowakischer Bettler (angeblich) im Kaffeehaus sitzt, toben der Volkszorn und der Landeshauptmannstellvertreter. Letzterer wünscht sich ein Bettelverbot.

Wenn der für seine aggressive Bettlerei bekannte Hannes K., dem die öffentliche Hand gerade mit zig Millionen sein persönlich verursachtes Debakel finanzieren wird, (tatsächlich) im Kaffeehaus sitzt, dann umschwänzelt ihn zumindest die Seitenblicke-Redaktion. Und kein Landeshauptmannstellvertreter hat damit ein Problem.

Noch einen Unterschied gibt es zwischen dem slowakischen Bettler und Hannes K.: In der Innenstadt ist es meine Entscheidung, etwas zu geben oder nicht. Bezüglich der Steuernachlässe für Hannes K. wurde ich nie gefragt.
Wessen Anblick schwerer zu ertragen ist, ist Geschmacksache: Gegenüber dem dekadent zur Schau gestellten Prunk dicker Männer mit dicken Autos und dicken Zigarren halte ich sichtbare Armut für zumutbarer.

Wenn in einer Stadt, die bei frühlingshaften Wetterprognosen zigtausend Euro in eine Eiskrippe investiert, über ein Bettelverbot nachgedacht wird, dann ist diese Stadt eigentlich arm.

Arm, weil Grundfragen der Demokratie nicht für alle geklärt sind; arm, weil Grundwerte der Demokratie nicht für alle gelten.

Wenn in einer so genannten „Menschenrechtsstadt“ im Bürgermeisteramt laut über ein Bettelverbot nachgedacht wird, dann ist diese Stadt sehr arm.

Arm, weil an höchster Stelle Grundfragen der Demokratie nicht geklärt sind; arm, weil Grundwerte der Demokratie nicht für alle gelten.

Es ist noch nicht allzu viele Jahre her, da war das Bürgermeisteramt ein Bollwerk, das dagegenhielt, gegen simpel gestrickte Ressentiments gegenüber unterprivilegierten Randgruppen, gegenüber Menschen mit freiwillig oder unfreiwillig entstandenen anderen Lebensentwürfen.
Mittlerweile werden diese Ressentiments aus dem Bürgermeisteramt heraus regelmäßig bedient.
Wobei es letztendlich egal ist, ob dies aus politischem Kalkül passiert, oder aus innerer Überzeugung. Ein Blick auf die gängigen Internet-Foren sollte einem christlich-sozialen Bürgermeister genügen, um zu sehen, welche Un-Geister er da weckt!

Wenn Graz ein Defizit hat, über das wir nicht nur heute in der Budget-Sitzung reden sollten, dann ist es das Demokratie-Defizit.

Ein Defizit bekämpft man, wie man allerorten weiß, nicht nur mit Einsparungen, sondern auch mit klug gesetzten Investitionen.

Im Bürgermeisteramt in Graz meint man, das Demokratie-Defizit mit Einsparungen sanieren zu können. Deshalb spart man offensiv weiter bei der Demokratie, obwohl die nötigen Investitionen kaum einen Euro kosten würden:

Auch hausintern feiert das Demokratie-Sparen fröhliche Urständ:

Wir sparen bei den GR-Sitzungen (in diesem Jahr zumindest zwei Stück) unter dem Motto:„Sparen wir uns lästige Debatten“

Wir sparen uns die Auseinandersetzung mit anderen Meinungen, indem wir wesentliche Geschäftsfelder der Stadt in Gesellschaften (GBG, GPG, Handelsmarketing, Messe, Tourismus und ca. 20 andere) auslagern und damit dem Gemeinderat entziehen und indem wir nur Rot und Schwarz in den Aufsichtsräten der stadteigenen Gesellschaften zulassen.
(Je zwei Geschäftsführer pro Gesellschaft sind im Bedarfsfall ja trotzdem noch drinnen!)

Wir streichen den Platz für Nicht-Stadtregierer in der aus Steuergeldern finanzierten BürgerInnen-Information Graz, denn „Wir lassen unsere Stadt nicht öffentlich von der Opposition schlecht reden!“ (Nagl-O-Ton). Wen kümmert es, dass die BIG nicht die Zeitung der Stadtregierung ist, sondern die Zeitung der Stadt? Was soll es, dass SteuerzahlerInnen auch das Recht auf kritische Informationen haben? Dass es der Bürgermeister so will, ist beschämend, dass die SP diese Entscheidung mit unterstützt, ist bezeichnend!

Genauso bezeichnend, wie die angebliche Einigung von Rot und Schwarz auf ein tatsächlich so genanntes „Demokratie-Paket“, dessen Kernaussage die Ermächtigung der Bezirke zur Führung von Bezirkswappen ist! Leider gab es weder von Schwarz oder Rot auch nur ansatzweise eine Auseinandersetzung mit unseren Vorschlägen zu einem sparsameren Umgang mit den Steuergeldern zur Parteienfinanzierung.

Hier sitzen 56 GemeinderätInnen, alle gewählt, ins höchste Gremium der Stadt. Gewählt, um zu gestalten, und nicht zuletzt um zu kontrollieren. Beides braucht kritische Auseinandersetzung, beides braucht Raum.
Der wird immer enger – aber niemanden stört es.

Wir kriegen unsere 1.800 Euro brutto monatlich nicht dafür, dass wir dieser Stadtregierung abwechselnd brav apportieren und applaudieren!

Ich habe meine Tätigkeit im letzten Jahr im Wesentlichen auf die Arbeit im Planungsausschuss konzentriert. Auch dort ist eine seltsame Spargesinnung spürbar geworden.

Was ich meine, ist der sparsame Umgang mit den öffentlichen Interessen.

Die Wahrung öffentlicher Interessen, also die Vertretung des Gemeinwohls, ist nach meiner Auffassung Kernaufgabe der Stadtplanung.

Dazu gab es im vergangenen Jahr zwei „Meilensteine“: das BürgerInnenbeteiligungsprojekt „Planungswerkstatt“ und das „Grazer Modell“ zur Verbesserung der städtebaulichen Qualität.
Bei beiden Themen waren wir nicht unwesentlich beteiligt, dem Planungsstadtrat in den Ausschüssen und im Gemeinderat zur nötigen Mehrheit zu verhelfen. Freundlich hat er sich auch jedes Mal dafür bedankt, um postwendend in der täglichen Arbeit das Gegenteil von dem zu machen, was wir uns von den zwei Programmen versprechen.

Zwar läuft die Werkstatt, aber im täglichen Betrieb ist nichts von gesteigertem Interesse an BürgerInnenbeteiligung zu spüren.

Zwar laufen die Vorbereitungen für das Grazer Modell, aber bis es funktioniert, murksen wir noch schnell ein paar Projekte durch, bevor uns die eigenen höheren Standards das Murksen schwer machen!

Vor nicht all zu langer Zeit propagierte man – nicht zuletzt aus Spargedanken heraus – die drei goldenen P der Stadtentwicklung: Private – Public – Partnership. Immer öfter verkommt das mittlere P, das für „public“, also für die Wahrung der öffentlichen Interessen steht zur Unkenntlichkeit.

Stattdessen bleiben Private Partnerships. Der Volksmund nennt dies „Seilschaften“, die moderne Politik spricht von „Synergie-Effekten.“

Die stadteigene Handelsmarketing Graz beauftragt eine Firma mit der Erstellung einer Handels-Strukturanalyse. Die Firma empfiehlt ein Einkaufszentrum am bestimmten Ort. Just dort, wo eine andere, größere Firma ein Einkaufszentrum plant und Optionen auf die Flächen erwirbt. Angeblich ist die Firma, welche die Studie erstellt hat eine Tochter jener Firma, die das Einkaufszentrum bauen will. Während ich darauf warte, dass irgendwo aus der Kulisse der vorgehängten Fassade (potjemkinsche Bauqualitätssicherung!) des Einkaufszentrums die Säulenheiligen der wirtschaftlichen Regionalentwicklung, Herr Anton Rambold und der ehrenwerte Prälat Hinter aus dem „Bullen von Tölz“ auftreten, bezeichnet der Wirtschaftsstadtrat kritische Fragen als „Politisches Störmanöver“.

Die ungebrochenen Optimisten erzählen etwas vom „schlanken Staat“ und von „vereinfachten Abläufen“.

Der Planungs-Stadtrat träumt von einer Verkehrsgesellschaft, die alles in (s)einer Hand hat. Er träumt davon, was er alles könnte, wenn er nur könnte.
Amerikanische Städte haben es bereits vor Jahren probiert: Sie haben den Verkehr endgültig privatisiert.
Die Automobilindustrie hat den ÖV übernommen – und als lästigen Konkurrenten stillgelegt.

So weit wird’s in Graz nicht kommen. Wir gründen ohnedies höchstens eine Gesellschaft zur Verkehrsplanung – eh zu hundert Prozent im Eigentum der Stadt. Und (schlanker Staat – vereinfachte Abläufe!) im Aufsichtsrat begleitet nur von Rot und Schwarz. (Zwei Geschäftsführer sind ja tatsächlich genug!) Für den Gemeinderat reichen der vierteljährliche Bericht im Ausschuss und die jährliche Zustimmung zur Hauptversammlung.
Ab sofort können auch die lästigen Verkehrsdebatten hier im Haus entfallen, was uns in Summe vielleicht zwei weitere Gemeinderatssitzungen erspart.
(Unterm Strich: Was ändert sich schon – wenn wir uns heute hier fragen, warum die Fahrplananzeige der GVB nach knapp fünfjährigem Probebetrieb noch immer nicht funktioniert, kriegen wir ja auch nur die Auskunft, wir wären nicht zuständig!)

Auf den Reininghausgründen läuft der Probebetrieb für die Privatisierung der Stadtplanung.
Ein ganzer Stadtteil wird privat entwickelt. Politische Beteiligung offenbar unerwünscht.
Hab ich etwas verpasst, oder haben wir tatsächlich im zuständigen Ausschuss bisher kein einziges Wort darüber geredet? Liegen die Reininghausgründe nicht in Graz? Bin ich hier nicht Gemeinderat?

Graz – statt Planung. Ist da jemand?

Verfasser/in:
Hermann Candussi, GR der Grazer Grünen; freie Meinung
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