07/11/2012
07/11/2012

Dr. Bernhard Astner (asset one), GR Gerald Grosz (BZÖ), Bürgermeister Siegfried Nagl (ÖVP), Vbgm. Lisa Rücker (Grüne) und StR Elke Kahr (KPÖ) sowie Genossenschaftsvertreter Ing. Johannes Geiger (v.l.) | bei der Präsentation des "Plan B", am 31.10.2012

©: Stadt Graz

In einer am 31. Oktober 2012 kurzfristig einberaumten Pressekonferenz – 25 Tage vor der Gemeinderatswahl – präsentierte Bürgermeister Siegfried Nagl (ÖVP) gemeinsam mit Vizebürgermeisterin Lisa Rücker (Grüne), Stadträtin Elke Kahr (KPÖ), Gemeinderat Gerald Grosz (BZÖ), Bernhard Astner (Vertreter von Asset One) und Johannes Geiger (Vertreter der Steirischen Wohnbaugenossenschaften und Direktor der Genossenschaft GWS) seinen „Plan B“ für die Reininghausgründe: Eine Absichtserklärung (Letter of intent) mit der Asset One, die nun in einem ersten Schritt die Umwidmung der Flächen beinhaltet.

Nachdem „Plan A“ des Bürgermeisters am Nein der Bürger zum Kauf der Reininghausgründe gescheitert ist, wurden in den letzten Monaten im Hintergrund Verhandlungen mit dem Grundeigentümer und potenziellen Investoren geführt. Das Resultat ist nun ein politischer Schulterschluss. Mit einer 2/3 Mehrheit wird in der kommenden Gemeinderatssitzung am 8. November der Entwurf zur Umwidmung der Reininghausgründe in Form einer Änderung des gültigen 3.0 Flächenwidmungsplans 2002 im Gemeinderat beschlossen. Das Gewerbegebiet soll einem höherwertigen Kern- und allgemeinem Wohngebiet, Park- und Sportflächen sowie Verkehrsflächen weichen. Die Verordnung sieht auch eine Bebauungsplanpflicht für alle umgewidmeten Baulandflächen vor.
Dieser Gemeinderatsbeschluss zur Weiterentwicklung der Reininghausgründe ist für Bürgermeister Siegfried Nagl „ein wichtiger Zündschlüssel, um Flächen zu verkaufen und zu investieren“. Die Rechtskräftigkeit dieser Umwidmung ist unter Berücksichtigung der Auflagen und Einspruchsfrist bereits mit März 2013 denkbar.
Der Investoren- und Neuwahldruck muss zuletzt enorm gewesen sein, sodass man seitens der Stadt nicht mehr bereit war, die Neuauflage des 4.0 Flächenwidmungsplanes abzuwarten.

Der Letter of Intent, eine mehr oder weniger rechtsverbindliche Willenserklärung der Vertragspartner, deren Inhalt der Öffentlichkeit nur auszugsweise vorliegt, soll lt. Bürgermeister Nagl bis zum rechtskräftigen Beschluss der Umwidmung in einen für alle potenziellen Käufer rechtsverbindlichen Vertrag umgewandelt werden.
Die Umwidmung der Gründe soll im Gegenzug der Stadt die notwendigen Infrastrukturkosten aus sogenannten Grundstücksaufwertungsgewinnen einbringen. Die Vereinbarung sieht vor, dass pro m² Bruttogeschoßfläche 30 Euro für Infrastrukturkosten bzw. Investitionen in Baukultur und Nachhaltigkeit an die Stadt fließen, und zwar Zug um Zug mit der Bebauung bzw. Baubewilligung – in Summe erwartet man 15 bis 20 Millionen Euro. Weiters beinhaltet die Vereinbarung Grundstücksschenkungen in der Größe von 65.000 m² für öffentliche Grünflächen, u. a. für den Central Park, und 89.000 m² für Verkehrsflächen. Nicht ausgeschlossen wird seitens der Stadt Graz, dass noch weitere Grundstücke für sozialen Wohnbau, Schulen etc. angekauft werden.

Die Tatsache, dass der derzeitige Eigentümer und die künftigen Investoren die Aufschließungskosten für das Areal mitfinanzieren und die Stadt nicht allein auf den hohen Infrastrukturkosten (Ausbau des öffentlichen Verkehrsnetzes, Kanal-, Wasser- und Stromaufschließung, Errichtung von öffentlichen Einrichtungen wie Schulen, Kindergärten, etc.) sitzenbleibt – sollte bei den zu erwartenden Aufwertungsgewinnen durch Umwidmung selbstverständlich sein.
Den großen Joker – die Umwidmung des Areals – hat die Stadt nun ausgespielt, ohne die Öffentlichkeit dabei einzubeziehen. Welchen Preis die Stadt zahlen wird bzw. wie fair dieser Deal wirklich ist, wird sich erst zeigen, wenn alle Fakten auf dem Tisch liegen.

Aussagen über eine Qualitätsvereinbarung, die Dichte des künftigen Quartiers bzw. die Definition der maximalen Größen der Parzellierungen blieben die politischen Verantwortlichen genauso schuldig wie eine Absichtserklärung zur verpflichteten Abhaltung von Architekturwettbewerben. Ebenso fehlt ein Gesamtkonzept für die schrittweise Stadtteilentwicklung von Reininghaus.

Einmal mehr wurde betont, dass als weitere Planungsgrundlage zur Grundstücksaufschließung der vom Gemeinderat beschlossene Rahmenplan (Architektengemeinschaft Pucher/Bramberger, 2010) dienen wird – trotz massiver Kritik aus Fachkreisen. Denn allein die gesetzlichen städtebaulichen Instrumente (Stadtentwicklungskonzept, räumliches Leitbild, Flächenwidmungsplan und Bebauungsplan) zu bedienen, reicht nicht aus, um ein hochwertiges Stadtquartier zu entwickeln, das die vielschichtigen Anforderungen erfüllt. Vielmehr sollten den fertigen Plänen wie z. B. Bebauungsplänen, die vordergründig der Rechtssicherheit der Eigentümer und Investoren dienen, öffentliche Diskussionen vorausgehen. So könnten die Pläne selbst im weiteren Verlauf als Diskussionsstoff und nicht als etwas Fertiges kommuniziert werden.

Stadtplanung im 21. Jahrhundert heißt vor allem auch die Einbeziehung von BürgerInnen, im Idealfall durch Öffnung der Flächen zu selbstorganisierten Zwischennutzungen – wie z.B. derzeit am Flugfeld Tempelhof Berlin. Die so entstehenden vielfältigen Projekte sind Wegbereiter und Teil einer zukünftigen Entwicklung. Auf diese Weise können Bedürfnisse abgefragt und ein breit getragenes Leitbild und Visionen entwickelt werden. Die Installierung einer eigenen weisungsfreien Arbeitsgruppe bzw. eines eigenen Fachbeirats für Reininghaus – nach Vorbild des Wiener Kabelwerkes oder der Seestadt Aspern – ist für die Absicherung der zu definierenden Qualitätskriterien unabdingbar. Im Leitbild sollten anspruchsvolle Architektur, soziale Nachhaltigkeit, Freiraumgestaltung, Bürgerbeteiligung etc. an vorderster Stelle stehen. Allein die Moderation und Lenkung durch einen Beirat könnte die Umsetzung der definierten Ziele und Wettbewerbsprojekte garantieren.

Für Visionen oder eine Kehrtwende in Richtung eines zukunftsweisenden, öffentlichen und partizipativen Wegs der städtebaulichen Planung ist es wahrscheinlich schon zu spät. Der sogenannte „Plan B“ ist ein voreiliger Start-up für den Ausverkauf, für die Verwertung und Zerstückelung der Flächen.

Ob das Stadtplanungsamt nach den letzten Turbulenzen im Amt (Kündigung des Stadtplanungsleiters Heinz Schöttli, GAT berichtete) und nun mit der Neubesetzung der Stadtplanungsleitung durch Bernhard Inninger den Aufgaben gewachsen ist, bleibt abzuwarten. Die Erstellung eines flächendeckenden Bebauungsplans auf Basis des Rahmenplans für das gesamte Betrachtungsgebiet Reininghaus (100 ha) und nicht nur für das umgewidmete Bauland mit zeitlicher Baubeginnstaffelung der Bauabschnitte  sollte auf jeden Fall der nächste Schritt sein.

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