01/10/2008
01/10/2008

Am Podium diskutierten (von links) Alfred Stingl, Christina Jahn, Barbara Edlinger, Thomas Wolkinger, Martin Heller, Wolfgang Riedler, Günter Koberg, Helmut Strobl und Michael Petrowitsch. Foto: js

Im kommenden Jahr wird Linz die europäische Kulturhauptstadt sein – vor knapp fünf Jahren wurde in Graz das Kunsthaus eröffnet und Graz03 neigte sich seinem Ende entgegen. Diese Konstellation gab den Anstoß dazu, eine Bilanz zu ziehen und zugleich den Blick nach vorne zu richten. Im Grazer Stadtmuseum wurde am 24. September in der Podiumsdiskussion „Graz09: Klagen und Sparen“ von Politkern und Kulturschaffenden erörtert, wie derartige Großprojekte „nachhaltige“ Wirkungen in der Kulturszene und auch anderswo entfalten können. Moderator Thomas Wolkinger fasste die markantesten Äußerungen von graz03 als „Jubel in der Touristikbranche und Mangelwirtschaft für die Kulturinitiativen“ zusammen und stellte die Frage in den Raum, was man für die Zukunft und speziell Linz09 daraus lernen könne.

Martin Heller, der Intendant von Linz09, betonte die Vorbildfunktion von Graz03 für seine Aufgabe. Linz habe zwar nicht das breite kulturelle Portfolio und den Bekanntheitsgrad von Graz vorzuweisen, darum sei man angetreten, als „sich verändernde Stadt“ neue Akzente zu setzen. Sein „Claim“ besteht darin, Linz bis 2015 als „interessanteste Stadt Österreichs“ zu positionieren. Jedoch könne man nie früh genug mit Überlegungen zur Nachhaltigkeit beginnen, auch aus diesem Grund habe man bereits 2007 mit einem intensiven Vorprogramm begonnen: „Im Gegensatz zum Grazer Intendanten Lorenz halte ich diese Vorlaufphase für sinnvoll.“

Der ehemalige Grazer Bürgermeister Alfred Stingl räumte ein, dass bei Graz03 „manches besser vorbereitet werden hätte können“, aber kein Anlass für „Trauerarbeit“ bestünde. Man habe sich international profiliert, betont Stingl, etwas bedenklich mutet seine Aussage an, dass man mit neuen Labels wie „Stadt der Menschenrechte“ die geschichtliche Altlast „Stadt der Volkserhebung“ von 1938 aus den Köpfen der Menschen verdrängen könne. Auf der Habenseite nannte er den Aufbau der Infrastruktur, Einrichtungen wie Kunsthaus und Kindermuseum erfreuten sich hohen Zuspruchs. Diese Bauten seien ohnehin seit Jahrzehnten überfällig gewesen, replizierte Michael Petrowitsch (IG-Kultur Steiermark): „Einen Kulturplan gibt es dafür bis heute nicht, die Politik bringt sich insgesamt zuwenig ein.“ Christina Jahn (Grüne Gemeinderätin) brachte das Thema auf den Punkt: „Auf dem Papier haben die Nachnutzungspläne gut ausgesehen, in der Realität wurde von der Politik die Chance vergeben, die Netzwerke zu erhalten.“ Mit verantwortlich dafür war, so Jahn, dass die politischen Nachfolger ihre eigenen Pläne verfolgten.

Für Ex-Kulturstadtrat Helmut Strobl sind die Kulturbauten ein „nachhaltiger“ Erfolg, aber: „Dass die Marke 03 von der Touristik nicht weiter genutzt wurde, ist bedauerlich, und frustrierte Künstler, die nicht zum Zug gekommen sind, maulen immer.“ Als Angesprochene weist Barbara Edlinger (Werkstadt Graz) auf die schlechte Lage der Kulturschaffenden hin. In den Vermarktungsstrategien der KSG werde auf die Künstler keine Rücksicht genommen, sondern im Gegenteil ihr Werk in zynischer Weise benutzt.

Kulturstadtrat Wolfgang Riedler kann den Begriff „Nachhaltigkeit“ nicht mehr hören und verteidigt den Sparkurs mit dem bemerkenswerten Statement: „Das Kulturbudget hat nichts mit Nachhaltigkeit zu tun.“ Dass es immer Unzufriedene gäbe, liege in der Natur der Sache, man könne Projekte dieser Dimension „nicht jedes Jahr wie ein Oktoberfest wiederholen“. DI arch. Günter Koberg ortet in Linz weniger Saturiertheit, in Graz könnte man mit dem geplanten Schwerpunkt Architektur (projekt_A) auf den bestehenden Strukturen (UNESCO-Kulturerbe, Grazer Architektur) ebenfalls ein zeitgemäßes Image aufbauen, das weit über die Grenzen der Kunst hinauswirke.
In der anschließenden Diskussion wurden – abgesehen von der trotz Kunsthaus kulturell eher tristen Situation der Stadtteile auf der rechten Murseite, keine neuen Perspektiven eingebracht. Im Schlusswort bekräftigte Heller, dass für „nachhaltigen“ Erfolg von Linz09 klare Entscheidungen wesentlich sein werden: „Wenn man etwa verändern will, werden nie alle Beteiligten einverstanden sein, da muss man sich zusammenraufen.“

Verfasser/in:
Josef Schiffer, Bericht
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16. + 17.11.2023
 
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