31/05/2007
31/05/2007

19.04.2007: Hauptplatz Graz mit Veranstaltungszelt

21.04.2007: Hauptplatz Graz mit Kleinbahn

21.04.2007

22.04.2007: Hauptplatz beinahe unverstellt

22.04.2007: Hauptplatz endlich frei von temporären Aufbauten und Verladetätigkeiten. Doch das Glück währt nur kurz...

...bis zum nächsten Event am 24.04.2007. Pecunia non olet

26.04.2007: bis auf den Bereich des Schanigartens des Café Sacher ist der Hauptplatz ohne vorübergehende Aufbauten und gehört für einen Tag den BürgerInnen und BesucherInnen von Graz.

Am Abend des 26.04. findet man den Platz dann völlig freigeräumt.

Kletterevent am 30.04.2007

Vorbereitungen auf ein Sportevent am 05.05.2007

08.05.2007: Verladetätigkeiten und Zulieferdienste am Vormittag. Alle Fotos: E. Lechner

Grazer Hauptplatz ein Ort des Spektakels oder fast täglich grüßt das Murmeltier

Jemand, der täglich zweimal den Hauptlatz am Weg zur und von der Arbeit quert, erinnert sich zwangsläufig an den Film mit Bill Murray „ Und täglich grüßt das Murmeltier“, nur mit dem kleinen Unterschied, dass das Murmeltier täglich etwas anders aussieht. Beinahe tagtäglich, aber auf jeden Fall zu oft, wie die Fotodokumente beweisen, ist der Hauptplatz verstellt oder Bühne für ein Event, eine Präsentation oder sonst ein Spektakel. Der öffentliche, urbane Raum, der nur dann ein solcher ist, wenn er allen Bewohner/innen gleichermaßen zugänglich ist, wird zur Kommerz- und Showbühne und die Nutzer/innen werden (zwangsweise) zu passiven Beobachter/innen und Konsument/innen, oder sie meiden diesen Raum.

Der öffentliche Raum zeichnet sich aus durch Zugänglichkeit. Die Menschen bewegen sich in diesem Bereich frei. Zufällig oder geplant begegnen man sich hier. Das Grazer Stadtmarketing scheint Urbanität offensichtlich mehr als größtmöglich Verdichtung von Event und Erlebnis zu verstehen. Anders kann man die Entwicklungen in der Grazer City, wo eine Veranstaltung die andere schon manchmal nahtlos ablöst, nicht verstehen. Ob das auch die Grazer/innen, vor allem die, die in der inneren Stadt wohnen, so sehen und auch so wollen, kann man bezweifeln.

Ein Verlust des öffentlichen Raums hat konkrete gesellschaftliche und politische Auswirkungen. Die Gesellschaft kann sich in ihrer Gesamtheit nur im öffentlichen Raum konstituieren. Hier findet das aktive soziale Handeln statt. Wird die Zugänglichkeit des öffentlichen Raumes durch Verkommerzialisierung, Eventisierung und Festivalisierung eingeschränkt, geht der öffentliche Raum verloren. Er wird zum schein-öffentlichen Raum, Öffentlichkeit wird nur mehr simuliert. Wodurch unterscheidet sich der Hauptplatz noch von einem Marktplatz in einem privaten Einkaufs-Entertainment-Center? In diesen scheinbar öffentlichen Räumen gelten eigene Sicherheitsbestimmungen, unerwünschte Gruppen können ausgeschlossen werden. Ähnliches tut sich bereits rund um den Hauptplatz. Immer mehr diktieren private Interessen seine Nutzungsart, werden unerwünschte Gruppen, die die Verwertung stören, bereits ausgegrenzt. Noch deutlicher wird diese Entwicklung vom öffentlichen Raum hin zum Marktplatz eines privaten Einkaufs-Entertainment-Centers, wenn aus der kürzlich kolportierten Absicht, im Erdgeschoss des Rathauses luxuriöse Verkaufsflächen zu etablieren, Realität wird.

Verstärkt wird unter Stadtsoziologen der Verlust oder die Bedrohung des öffentlichen, urbanen Raumes diskutiert. (z.B. Richard Sennett oder Hartmut Häußermann)
"Wenn man von Urbanität spricht", klagt z. B. Häußermann, "sind heute meistens Äußerlichkeiten gemeint, etwa kulinarische Angebote, mit denen der Konsument unterhalten werden soll." Urbanität, verstanden nicht nur als Bild des Städtischen, sondern deren Wirklichkeit, kann für Häußermann nur dann entstehen, "wenn es auch Orte gibt, die nicht der ökonomischen Verwertung unterworfen sind, Orte, die sich nicht verplanen lassen, deren Nutzung den Nutzern vorbehalten bleibt", im Klartext eine Straße oder ein Platz, wo man sich auch auf den Bürgersteig setzen kann, ohne vertrieben zu werden, wo man sich ausruhen kann, wo man entlanggehen und an jeder Ecke Neues entdecken kann, die / den zu erreichen man gerne einen Umweg in Kauf nimmt, die / der einen vom geraden Weg abbringt, ein Ort, der einen fordert und gleichzeitig nicht nötigt.

Die Eventisierung und Übernutzung des Grazer Hauptlatzes bewirkt das Gegenteil: Menschen, die sich hier nicht an dem Dargebotenen vergnügen wollen, die nicht nur Unterhaltung und Zerstreuung suchen, die eben nicht eventhungrig sind, nehmen Umwege in Kauf, um nicht die Showbühne Hauptlatz zu betreten. Das Problem ist, es gibt wenige Ausweichmöglichkeiten, da große Teile der Innenstadt vom gleichen Bazillus befallen sind.
Diese falsch verstandene Belebung der Innenstadt kann und wird das Gegenteil des Zieles einer für alle Nutzer/innen positiven Aufwertung der inneren Stadt erreichen, nämlich den weiteren Rückgang der Innenstadtbevölkerung, die langfristige Musealisierung des Zentrums und die Vertreibung unerwünschter Gruppen.

Eine Umwandlung des Hauptlatzes zur regelmäßigen Show-Eventbühne mit Standl’n und Gastgärten und beschränktem Zutrittsrecht - ist das die Antwort der Innenstadtkaufleute und der verantwortlichen Politik auf die Konkurrenz der Shoppingmalls?
Die Architektin Elisabeth Lechner lebt in Graz und geht täglich über den Grazer Hauptplatz zur Arbeit.

Verfasser/in:
Elisabeth Lechner, Kommentar
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