14/03/2007
14/03/2007

Der Falter Steiermark erscheint wöchentlich, jeweils am Mittwoch.

Edi Schmeisser vom Verein „Barrierefreies Andritz“: Schon eine Treppe kann eine unüberwindbare Hürde werden / Foto: Max Wegscheidler

DISKRIMINIERUNG Seit einem guten Jahr gilt das Gleichstellungsgesetz für Behinderte. Verbessert hat sich seither kaum etwas, Behinderte stoßen täglich auf unüberwindbare Hürden. Nun drohen Klagen.

Ich bin kaum noch unterwegs, die Barrieren schrecken mich ab", erzählt Architekt Reinfried Blaha. Der 28-Jährige sitzt seit einem Schiunfall vor einem Jahr im Rollstuhl, kann seine Beine nicht mehr bewegen. Jeder Ausflug ist seither beschwerlich. Früher, als Blaha noch gehen konnte, sind ihm die vielen Schwellen, Stufen und verwinkelten Klos gar nicht aufgefallen. Beim Architekturstudium in Wien wurde das Thema barrierefreies Bauen nicht einmal angeschnitten. Jetzt versucht er sich vor Ausflügen zu erinnern, ob ein bestimmtes Lokal Treppen hat und der Eingang breit genug ist, meist gelingt ihm das nicht. Wer achtet schon auf so etwas, wenn er zwei gesunde Beine hat? Deshalb ist baha jetzt Immer mit Freunden unterwegs, die ihm helfen können. Das Café Ritter in der Uni-Gegend ist eine seltene Ausnahme, dort kann Blaha auch mal alleine vorbeischauen - die Eingangstür ist breit genug, es gibt ein Behinderten-WC. "Am meisten ärgert mich, wenn es nur eine Stufe ist, die man baulich leicht verhindern könnte."

Seit 2006 ist das bundesweite Behindertengleichstellungsgesetz in Kraft, das Diskriminierung aufgrund Behinderung untersagt - egal, ob es um bauliche Hindernisse oder soziale Ungleichbehandlung geht. Von Gleichstellung kann aber keine Rede sein, meint Franz Wolfmayr, Präsident der steirischen Behindertenhilfe. "In Irland und England stellen sich die politischen Spitzen hinter die Gleichbehandlung, in Österreich nicht." Was die Barrieren für behinderte Menschen betrifft, ortet Wolfmayr auch in der Steiermark Handlungsbedarf: "Seit 2003 gibt es einen Beschluss der Landesregierung, dass bis zum Jahr 2010 alle öffentlichen Ämter barrierefrei zugänglich sein müssen - einen Beschluss zur Umsetzung vermissen wir bis heute." Grünen-Obfrau Ingrid Lechner-Sonnek hat sich schon vor Jahren vorübergehend selbst in den Rollstuhl gesetzt, um Barrieren in Ämtern aufzuzeigen. Noch heute gibt es für sie Grund zum Ärgern: "Die wenigsten Gemeindeämter sind ohne Barrieren zugänglich."

Bis spätestens 2016 müssen per Behindertengleichstellungsgesetz aber alle Einrichtungen des öffentlichen Lebens barrierefrei zugänglich sein, Bauten, die neu errichtet werden, schon seit 2006. Seither kann ein behinderter Mensch auch klagen, wenn er zum Beispiel in einen Supermarkt oder ein Lokal nicht hineinkommt, vorausgesetzt die Umbaumaßnahmen kosten nicht mehr als 1000 Euro. Ab dem Jahr 2010 liegt die Höhe der zumutbaren Investitionen bei 3000 Euro, 5000 Euro dürfen es ab 2013 sein. Droht nun eine Klagswelle?

„Das ist durchaus möglich", sagt Elke Niederl von der Schlichtungsstelle des Bundessozialamts in der Steiermark. Geklagt werden könnten vor allem Einrichtungen, die dem täglichen Leben dienen, aber auch öffentliche Veranstaltungen, die nicht barrierefrei zugänglich sind. Auch bei allgemein ausgeschriebenen Mietwohnungen ist eine Klage denkbar. "Zuerst findet aber ein Schlichtungsverfahren statt, in dem man sich außergerichtlich einigen soll", relativiert Niederl. "Der Kläger trägt das volle Prozessrisiko", weiß Oskar Kalamidas vom Referat für Barrierefreies Bauen in Graz. Mit ein Grund dafür, dass es steiermarkweit bisher erst 17 Schlichtungsverfahren, aber keine Klage gab. "Bei derartigen Unwägbarkeiten stellt sich natürlich die Frage: Will ich kämpfen oder leben?"

Kampfbereit zeigt sich der Grazer Sebastian Ruppe. Seit einem Unfall auf den Rollstuhl angewiesen, brachte er Ende letzten Jahres mit einer Klagesdrohung gegen das Filmfestival Diagonale den Stein ins Rollen. Ein außergerichtliches Schlichtungsgespräch war zuvor gescheitert. Nach medialem Wirbel um die Klagesdrohung zogen Diagonale und Kinobetreiber die Konsequenz: Ab 2008 sollen alle Diagonale-Kinos barrierefrei sein, eine behindertengerechte Adaptierung vor dem diesjährigen Festival geht sich - abgesehen vom Geidorf-Kino - aber nicht mehr aus. Dort ist man stolz: "Bis zur Diagonale haben wir Rollstuhlplätze in den Sälen und behindertengerechte WCs."

Auch wenn derartige Umbauten vom Bundessozialamt mit bis zu 50.000 Euro gefördert werden, bleiben die Kinos ein seltener Lichtblick im Barriere-Dschungel. Zumal das Behindertengleichstellungsgesetz auch bei erfolgreicher Klage nicht die Entfernung einer baulichen Barriere, sondern nur einen Schadenersatz für den Kläger vorschreibt. Eine Regelung, die nicht zuletzt "aufgrund massiven Widerstands seitens der Wirtschaft gegen strengere Bestimmungen zustande kam", sagt Kalamidas. Wolfmayr von der Behindertenhilfe ist das zu wenig: "Es müsste Sanktionen geben."

Die Entfernung einer Barriere fällt in die Kompetenz des jeweiligen Landes", heißt es dazu aus dem Bundessozialamt. Im steirischen Baugesetz wird Barrierefreiheit derzeit nur in öffentlichen Einrichtungen vorgeschrieben. "Eine Gesetzesnovelle, die Anfang 2008 in Kraft treten soll, sieht Barrierefreiheit auch für andere Orte des täglichen Lebens verpflichtend vor", informiert Simone Skalicki vom Land Steiermark. Schulen, Geschäfte, Arztpraxen, aber auch Lokale mit einem Fassungsvermögen von über fünfzig Personen werden davon betroffen sein. Ob auch bald Altbauten barrierefrei sein müssen, will man erst prüfen lassen: "Das ist eine politische Entscheidung", so Paul Trippl, Baurechtsexperte des Landes Steiermark.

Derzeit ist in Österreich nicht einmal das Parlament barrierefrei: Für die Abgeordneten Theresia Haidlmayr (Grüne) und Franz Josef Huainigg (ÖVP) gestaltet sich der Weg zum Rednerpult als Hürdenlauf, ein Umbau scheitert derzeit an den angeblich zu hohen Kosten. Da hat es die steirische Landtagsabgeordnete Annemarie Wicher (VP) besser, im steirischen Landtag gibt es keine Höhenunterschiede zu überwinden, die Frau gelangt mühelos zum Rednerpult. Doch auch sie ärgert sich, zum Beispiel, wenn sie den Grazer Hauptplatz umrundet und in viele Geschäfte nicht hineinkommt. "Der Hauptplatz ist erst 2002 umgestaltet worden, da hätte man das mitbedenken müssen."

Edi Schmeisser, nach einem Verkehrsunfall von der Brustwirbelsäule abwärts gelähmt, hatte es irgendwann satt, sich über solche Dummheiten zu ärgern, und gründete den Verein "Barrierefreies Andritz". Für Laien sei es schwer zu sehen, meint er, aber seither sei Andritz der rollstuhlgerechteste Bezirk der Stadt. Sogar japanische Fernsehteams seien schon dort gewesen, um diese Tatsache zu filmen. Bei einem Behindertenstammtisch werden regelmäßig Mängel im Bezirk erhoben und an die Bezirkshauptmannschaft weitergeleitet. "Wir arbeiten gut zusammen", lobt Schmeisser. "Wenn im Winter zu viel Rollsplitt liegt und wir nicht weiterkommen, brauchen wir nur anzurufen und der Gehsteig wird gekehrt." Im Randbezirk Andritz, meint Schmeisser, lebten deshalb besonders viele Rollstuhlfahrer.

Körperliche Handicaps sind aber kein Randphänomen, erzählt Kalamidas. "Rund dreißig Prozent der Menschen in der Steiermark leben mit einer körperlichen Behinderung." Nicht nur Rollstuhlfahrer, sondern auch Blinde und Taube stehen oft vor unlösbaren Problemen. Hinzu komme die zunehmende Überalterung der Gesellschaft, weshalb Barrierefreiheit in Zukunft noch wichtiger wird.

Selbstverständlich ist sie noch lange nicht, weshalb Behinderte immer wieder auf die Hilfe Fremder angewiesen sind - und das kann unangenehm sein. Architekt Blaha ging kürzlich ins Annenhofkino und kam sogar hinein: "Aber sie rollten mich nicht durch die Besuchertür, sondern hinten herum, wo die Filmspulen laufen. Da komme ich mir irgendwie blöd vor."

Bei "Easy Entrance" - einem Projekt der EU und des Bundessozialamtes - gibt es kostenlose Beratung für Unternehmen, die barrierefrei werden wollen (siehe LINK).Der Falter Steiermark erscheint wöchentlich, jeweils am Mittwoch.

Verfasser/in:
Donja Noormofidi, Fabian Wallmüller, Bericht; erschienen im Falter Stmk. Nr. 11/07
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