18/05/2012
18/05/2012

A Funny Thing Happened on the Way to the Kunsthaus: Peter Cook, Urs Hirschberg

Plug-in City, Expendable Place-Pads Series 1966/67

CRAB Skopje Footbridge 2008

W. Heath Robinson, Cartoon (Englishness? ...)

Hidden City 2009-10. Alle Fotos: W. Mracek

Zur #6 der Master Lectures, organisiert von der Architekturfakultät der TU Graz in Kooperation mit dem HDA Graz,
war Peter Cook zu Gast in Graz. Ob Architektur auch etwas mit (britischem) Humor zu tun haben kann, werde sich weisen, merkte eingangs Urs Hirschberg an, Professor am Institut für Architektur und Medien.

Peter Cook in diesem Artikel vorzustellen erübrigt sich. Wikipedia kann das besser. Wohl als Titel des Vortrages zu verstehen war ein Foto der Grazer Kunsthaus-Blase, darauf zu lesen stand: IT’S ONLY DOWN THE STREET.
Kurios findet Peter Cook, dass eine Art Vermächtnis seit der Moderne sich in der Architektur immer noch darin abzeichnet, Gebäude für eine voraus bestimmte Funktion zu entwerfen: Immer noch, betont er, entwerfen Architekten Wohn-Häuser „oder“ Einkaufs-Häuser „oder“ Häuser, in denen man arbeitet, „oder“ in denen Industrie „oder“ Bildungsinstitutionen untergebracht sind. In einer Zeit, in der wir Mittel zum Anschluss an die gesamte Welt als kleines Objekt in der Tasche tragen, spielt es keine große Rolle mehr, wo wir uns gerade befinden. Wir können Emails aus Flugzeugen versenden und im Prinzip könnten wir auch in Höhlen wohnen, ohne dort isoliert zu sein. Dem stellt er seine Vorstellung von Architektur als Collage bei, dem Aneinanderfügen verschiedenartiger Teile in einer Komposition. Ein Foto zeigt den Entwurf einer Plug-In City (1966/67), die nach Anforderung um verschiedenste Elemente erweiterbar wäre. Die Needle am Kunsthaus ist tatsächlich ein Komposit-Element, das man in seiner Funktion wirklich nicht als „absolut notwendig“ bezeichnen kann. Colin Fournier und er seien sich aber einig gewesen, dass die Needle für die Komposition des Gebäudes „absolut notwendig“ ist. Tags darauf ergänzte Peter Cook sogar, er könne sich gut vorstellen, wie ein der Needle ähnlicher Arm in einem Winkel über die Mur reicht.

Die Ursprünge seiner mit Archigram entwickelten Idee der Instant City, als jederzeit zu entwickelndes Stadtelement für zunächst kleine Gesellschaften, vermutet Peter Cook, führen in seine eigene Kindheit zurück. Vielleicht stammt sein Faible für (bewegliche) Kioske aus der Zeit, als er mit etwa zwölf Jahren am Strand in Bournemouth Obst verkaufte. Dort sei er in einem kleinen gelben Kiosk gesessen – „only me and seven wasps“ – und habe auf Kundschaft gewartet. Mit der Zeit gewöhnte er sich daran, „in einer Kapsel zu sein, bei den Wespen; am Strand; mit dem Regen – weil es England ist“. In Nachbetrachtung mag daher sein Interesse am „Leben in Kapseln“ rühren. Später lebte er in einer kleinen Stadt an der Ostküste, in Felixstowe. Dort gab es einen Lunapark mit Achterbahn. Eine Achterbahn ist gewissermaßen eine Megastruktur. Und das „verrückte Haus“ am Fuß der Achterbahn war ein Beispiel expressionistischer Architektur. Das sind Erfahrungen, meint Sir Peter, die sich seinem Gedächtnis – er sagt, seiner Psyche – einprägten, und zwar stärker als spätere Erfahrungen im Rahmen seiner Ausbildung.

„Wir nehmen sehr oft an ‘stupid competitions’ teil.“ So 2008 an einem Wettbewerb für eine Fußgängerbrücke in Skopje. Inzwischen sammelt Cook Fotografien von Kiosken aller Art und er sagte, „Hey, warum stellen wir nicht einen Kiosk auf die Brücke?“ Einen, der sich über die Brücke bewegt und so die Uhrzeit anzeigen kann. „Und warum machen wir nicht eine Bar in diesen Kiosk und zu Sonnenuntergang klappen, wie an einem Flugzeug, Treppen aus, damit man zum Fluss hinunter gehen kann?“ – „And of course“, schließt Cook die Episode ab, „we didn’t win the competition!“

Seine Vorstellung von Architektur als Collage wird deutlicher, wenn er in diesem Zusammenhang auch noch einen Cartoon (W. Heath Robinson) zeigt, in dem die Bewohner eines Hochhauses dieses entsprechend ihrer Neigungen adaptieren: Aus den Fenstern wird Golf gespielt oder Cricket, ein Swimmingpool ist an der Fassade abgehängt, in den jemand aus dem Stockwerk darüber seine Angel ausgeworfen hat. Das könnte „Englishness“ bedeuten.
Theorie, Hypothesen respektive Experimente bleiben einstweilen Überlegungen zu beweglichen Räumen in hybriden Situationen zwischen Vegetation und urbanen Komplexen. Städte könnten, wie in der Zeichnung einer „Hidden City“ (2009-10), „drifting“, also sich ausbreitende Vegetation aufnehmen bzw. darin schon verschwinden. Ein „entspannter Mix“ von Vegetation und tektonischen Elementen. So ein Szenario wurde mit Studierenden durchgespielt unter dem Aspekt, was geschieht mit London, wenn die globale Erwärmung weiter fortschreitet. Möglicherweise würde London überschwemmt werden. Das Projekt nahm phantastische Ausmaße an, „it was getting crazy“. „And moving forward it got so crazy … I stopped the project!”

Zurück nach Graz: „Eine lustige alte Stadt“, gegenüber der sich Sir Peter an Laura Ashley erinnert fühlt. Das publizierte Bild der Stadt ist barock und nichts weist auf die Autoindustrie oder die Universitäten hin. Der Friendly Alien wirkt in dieser Stadt seines Erachtens nach paradox. Es sei dabei aber kein Hightech-Gebäude, sondern ein aus Handwerk entstandenes, zudem ein „Crab-Building“. Zum Vergleich nennt er Helmut Richter. Gegenüber dessen Bauten vermeint Cook ein ähnliches Prinzip zu erkennen, nämlich „verkrampfen wir uns nicht in der Definition von Details, lassen wir da etwas offen“. Das kann man unter Crabtech verstehen. IT’S ONLY DOWN THE STREET erschließt sich so wiederum in einem Vergleich mit Tokio, wo es „eine Menge von Gebäuden gibt“, auf deren Nutzung von außen nichts hinweist. Insofern widmete er sich in seinen Überlegungen immer deutlich auf den Raum zwischen den gebauten Objekten und einer Art „Theatralität“ aus der Inszenierung, der „Platzierung“ von Gebäudeformen. Was im Inneren des Grazer Blobs vorgeht, erfährt man wirklich erst nach dem Eintreten. Das zu sagen sei eigentlich „unanständig“, vorrangig ist es für ihn „ein große Sache“, ein solches Haus inmitten der Stadt zu haben, „egal, wofür es verwendet wird“. Exzeptionelle Gebäude, die dem bis dahin bestehenden Stadtbild opponieren, als Kunst- und Museumsbauten schon zu planen, sei eine Tendenz, die sich seit etwa 20 bis 30 Jahren in Europa durchgesetzt hätte. Für ihn ist die Haltung interessanter, zu planen, ohne an eine Bestimmung denken zu müssen. So kann er sich durchaus vorstellen, dass im Grazer Alien einmal Autoshows stattfinden, was er in der Diskussion tags darauf wiederholen sollte. Offenbar hat ihm niemand gesagt, dass etwas dieser Art im Auto-, pardon, Kunsthaus Graz ja schon der Fall war. Und da ist noch etwas, das ihm schon über lange Zeit im Kopf herumgeistert: „Provokation“. Travelators sind etwas „unglaublich Normales“, beginnt Peter Cook. Besonders in Österreich besteht eine Tradition, wie man sich bei Kunstereignissen benimmt: „White wine and saying hello to everyone.“ Es gilt schon als ausgesprochen höflich, wenn man auf einer Vernissage gesehen wird. Man hält sein Glas und spreizt den kleinen Finger ab. Auf dem Travelator aber geht das alles nicht mehr. Der Travelator ist ordinär, man muss jetzt die Körperbalance halten und kann das ganze „Höflichkeitszeug“ vergessen.
Persönliches schließlich gegenüber einem Foto der Kunsthausblase, das in einem Magazin veröffentlicht wurde. In Abwandlung eines Titels von George Simenon war der Artikel zu Peter Cook überschrieben: „Der große Blob“. Ironisch und mit sympathischem Understatement echauffiert er sich darüber, dass er in erster Linie als Blob-Architekt bezeichnet wird. In deutschen Medien sei es noch schlimmer, da nennt man ihn „Blob-Meister“. „Immer muss es Meister heißen in Deutschland, Meister, Meister! Warum nennen die mich nicht einfach Blobby?“

Tags darauf eine Podiumsdiskussion in der Needle: „Should buildings grow / adept / repair themselves? And if so, why not?” war die von Urs Hirschberg gefundene Frage, wie ein Sprachspiel paradox anmutend und durchaus witzig im Sinn eines seriösen Abwägens durch eine Expertenrunde. Man werde zu keinem von allen vertretenen Schluss kommen, meinte gleich zu Beginn der Moderator Marjan Coletti (Bartlett UCL; London und Institut für Experimentelle Architektur. Hochbau, Universität Innsbruck). Dennoch war man sich durchaus in einem Punkt einig: Why not?
Hausherr Peter Pakesch, gefragt nach der Funktionalität des Friendly Alien als Ausstellungsgebäude für (zeitgenössische) Kunst, erwähnte zwar die nahezu tägliche Herausforderung im Umgang mit Raumkonstellation und Technik, der überwiegende Teil der ausstellenden Künstler sei aber vom Haus durchaus angetan. In Verbindung mit ihren Arbeiten werde das Kunsthaus Graz jeweils „neu definiert“, daher der Schluss, es sei dies eben ein Ausstellungshaus des 21. Jahrhunderts.
Voraussetzungen für die Behandlung des Themas dagegen warf Wolfgang Tschappeller (Institut für Kunst und Architektur, Universität für bildende Kunst, Wien) aus einer eigentlich (sprach-)philosophischen Haltung auf. Tschapeller, hier interpretiert, führte seine Überlegungen in einen Bereich der künstlichen Intelligenz (KI). Wenn sie „sich anpassen“(adept), wären Gebäude als personifiziert zu verstehen. „Sie“, meint Tschappeller, müssten in der Lage sein, „ihre“ Umgebung „zu lesen und zu interpretieren“. Was utopisch oder nach Science Fiction klingt, wurde in der Diskussion zwar nicht angesprochen, denkt man aber an automatische Klimatisierung, so könnte man das inzwischen als rudimentäre Form des Sich-selbst-Lesens bzw. Interpretierens von Gebäuden verstehen. Kybernetiker und Neurowissenschafter würden hier ihre Vorbehalte einbringen, wollte man da schon – weil immens komplexer und bislang nicht zu erfassen – von Intelligenz sprechen oder von einem Objekt, das sich aufgrund bedingter Selbstwahrnehmung hin zum Subjekt bewegt. Einer Entität, meinte Tschapeller, einem Gebäude müsste Intelligenz attestiert werden und das bedeutete den Schritt in Richtung Subjektivierung. Wollte „ein Gebäude sich selbst reparieren“, müsste es nicht nur sich und die Umgebung wahrnehmen, es müsste auch über eine Art implementierten Code verfügen, über den Reaktionen ausgelöst werden. Unter solchen Voraussetzungen wäre an eine neue Kategorie zu denken, die nicht mehr Gebäude, vielmehr Subjekt wäre.

Eine „interessante Spekulation“ findet Peter Cook, sei die Frage ob Gebäude wachsen, sich anpassen oder selbst reparieren „sollten“. Hier klingt immerhin die Opposition zu „können und müssen“ an. Pragmatischer und weit realistischer ist sein Beispiel der Needle: Was ursprünglich ein Restaurant sein sollte, ist aus seiner Sicht kompositorisches Element – „and we couldn’t get a bloody citchen in!“ Also ist es ein „fehlgeschlagenes Restaurant“, letztlich etwas ganz anderes, nämlich der „wahrscheinlich beste Aussichtspunkt der Stadt“. Ob Gebäude „sich“ verändern sollen, erscheint weniger relevant, als „man“ sie verändern kann. Cook tendiert offenbar zum Konjunktiv, man „sollte“. Es wäre doch wunderbar, wenn die Verkleidung der Blauen Blase nach einer gewissen Zeit durch „cow hide“ ersetzt werden würde. Angestoßen durch Peter Cooks Einwurf, Ideen entstünden aus zunehmender Langeweile gegenüber Bestand und Konvention, ergänzte Wolfgang Tschapeller, Ideen entstünden aus Langeweile und Neugierde. Stimmt, sagt Cook, „Langeweile und Neugierde“ sind die Auslöser.

Verfasser/in:
Wenzel Mracek, Bericht
Netzwerktreffen
16. + 17.11.2023
 
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