08/12/2011
08/12/2011

Dropping a Han-Dynasty Urn (Eine Urne aus der Han-Dynastie fallenlassen), 1995, Triptychon, C-Prints, je 150 x 166 cm

Study of Perspective - The Eiffel Tower (Perspektivische Studie – Der Eiffelturm), 1995-2010, C-Print, 32,5 x 49,5 cm

Provisional Landscapes (Provisorische Landschaften), 2002-2008, Diptychon, Inkjet-Prints, je 66 x 84 cm

Profile of Duchamp, Sunflower Seeds (Duchamps Profil, Sonnenblumenkerne), 1983, Aus New York Photographs (New-York-Fotografien), 1983-1993, C-Print, 20 x 28,5 cm

Während über den chinesischen Künstler und Regimekritiker Hausarrest, Blog- und Interviewverbot verhängt ist, zeigt das Kunsthaus Graz ein Konvolut seiner Kunst und politischen Agitation.

Schon während seiner Studienzeit bei Sean Scully in New York ab 1983 entstanden hunderte Fotografien, die Leben, Freunde, Umgebung und eigene Arbeiten Ai Weiweis dokumentieren. Weil sein Vater erkrankte, ging er 1993 zurück nach China, wo er 1997 das China Art Archives & Warehouse mitbegründete und begann, sich mit Architektur zu beschäftigen. 2003 dann gründete Ai Weiwei das Architekturstudio FAKE Design und war am Bau des Bird’s Nest der Schweizer Herzog & de Meuron, dem Olympiastadion in Peking, beteiligt. Wie immer das auch möglich sein soll: Ai Weiwei distanzierte sich bald nach Fertigstellung von dieser Beteiligung.

In seiner künstlerischen Haltung beeinflusst von Marcel Duchamp, nachvollziehbar an Ais Umgang mit Ready mades, kann der zunehmende Widerstand gegen und die Kritik am chinesischen Regime bis zur bekannten derzeitigen Lage an einem Beispiel dargestellt werden: Zu Jahresbeginn 2008 war Ai von der lokalen Regierung Shanghais eingeladen worden, ein Kunst- und Kulturatelier am Stadtrand zu errichten. Nach seinen Recherchen um die Opfer des Erdbebens in Sichuan (12. Mai 2008, daher stammt auch der Stein auf dem Gipfel des Dachsteins) und während eines Polizeieinsatzes anlässlich eines Gerichtsprozesses gegen seine Kollegen 2009, erlitt Ai Weiwei eine Gehirnblutung. Kurz nach Fertigstellung des Ateliers in Shanghai im August 2010 wurde der Bau seitens der Stadtregierung als illegal ausgewiesen und der sofortige Abbruch angeordnet. Darauf wiederum organisierte Ai eine Abrissparty zu der sich per Internet etwa 1000 Besucher ankündigten. 800 davon feierten am 5. November, während Ai Weiwei, unter Hausarrest gestellt, nicht teilnehmen konnte. Der Deutschen Presseagentur zufolge erging allerdings am 6. November Ais Stellungnahme: „Die Regierung, das gesamte System […] opfert Bildung, Umweltressourcen und die Interessen der meisten Menschen, nur damit einige wenige Menschen mit Verbindung zur Regierung extrem reich werden können.“
Die Ausstellung „Ai Weiwei – Interlacing“, übernommen vom Fotomuseum Winterthur und derzeit im Kunsthaus Graz zu sehen, stellt den chinesischen Künstler als „Verflechter“, Netzwerker, Dokumentator und vor allem über alle verfügbaren Kanäle Kommunizierenden dar. Gleichermaßen könnte man die Fülle von Fotografien, Videos und Blogtexten auch als eine Art Selbstporträt im Gegenüber verstehen, die nicht selten bei Einzelobjekten ins Banale als Schnappschuss zu reichen scheint: Inmitten einer Reihe von Handyfotos Robert De Niro, offenbar auf irgendeinem Flughafen. Dagegen die entsprechend der Lesart durchaus subtile Kritik gegenüber architektonischen Zeichen der Macht in der Serie „Study of Perspective“, die als Standortanalyse zugleich Medien- und Bildkritik ist. Die Ambivalenz zwischen West und Ost behandelt Ai am Beispiel „Provisional Landscapes“, dem sich verändernden Stadtbild im Zeichen des verordneten Fortschritts. Und, erinnert man sich an Susan Sontags Essays „Über Fotografie“, ist eben diese Ambivalenz zwischen Individuum und „Volkskörper“ in den Serien um Detailaufnahmen der Person eines Uniformierten beziehungsweise „Fairytale“ thematisiert.
Schließlich sind auch Auszüge aus den Blogs von Ai Weiwei zu lesen wie:
„Ich bin bereit
Lehnt den Zynismus ab, lehnt die Zusammenarbeit ab, lehnt Angst und Einladungen zum Teetrinken ab [in der Bloggersprache bedeutet „Tee trinken“ von den Behörden verhört zu werden]. Es gibt nichts zu diskutieren. Es bleibt immer das Gleiche: Sucht mich nicht mehr heim. Ich werde nicht mit euch zusammenarbeiten. Wenn ihr kommen müsst, bringt euer Folterwerkzeug mit.“
Geposted am 28. Mai 2009

„Ai Weiwei – Interlacing“ ist bis zum 15. Jänner 2012 im Kunsthaus Graz zu sehen.

Verfasser/in:
Wenzel Mracek, Rezension
Netzwerktreffen
16. + 17.11.2023
 
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