23/05/2012
23/05/2012

Der Grazer Architekt Alexander Cziharz lebt und arbeitet seit 2009 in Mexiko. Im Januar dieses Jahres wurde er zum Rektor des Instituts für Architektur und Innenarchitektur an die Privatuniversität CEDIM in Monterrey (Mexiko) bestellt. Mit seinen 35 Jahren ist er damit der Jüngste unter seinen Kollegen.
An der angesehenen Privatuniversität Centro de Diseño, Cine y Televisión in Mexiko-Stadt hatte Cziharz zuvor die Seminare „Lightwight Structures und Entwerfen“ geleitet. Beide Universitäten, CEDIM und Centro de Diseño, Cine y Televisión, sind private Studieneinrichtungen.

GAT: Wie kam es zu Ihrer Bestellung als Rektor?
Cziharz: Es gab ein fundiertes Auswahlverfahren, basierend auf dem US-amerikanischen System des Headhuntings und bestehend aus einer Reihe von Eignungs- und Belastungstests sowie aus Gesprächen mit dem akademischen Direktor, dem ehemaligen Direktor und dem Besitzer der Universität.

GAT: Warum Mexiko?
Cziharz: Mein Interesse an Mexiko erwachte bereits während meiner Studienzeit in Graz. Im Jahr 1995, erstmals mit der Architekturfakultät der TU Graz, danach reiste ich im Rahmen einer Exkursion für das Studium aus Geografie erneut nach Mexiko. Anfang 2000 studierte ich zwei Semester in Valencia, was mir auch dabei half, den südamerikanischen Kontinent zu erschließen. Auch mein Studienaufenthalt in Belgrad im Jahr 2002/2003 verstärkte mein Interesse am Ausland und am Arbeiten in einem internationalen Umfeld.

GAT: Sie sind in Graz und in Mexiko stationiert.
Cziharz: Anfang 2007 gründete ich in Graz das Architekturbüro revolver architecture, 2009 eröffnete ich ein weiteres Büro in Mexiko-Stadt. Der Fokus unserer Architekturbüros liegt auf dem intensiven Austausch mit Spezialisten unterschiedlichster Sparten und bildungsinterdisziplinären Teams, die projektspezifisch zusammengestellt werden, um die unterschiedlichen Aufgabenstellungen so effektiv wie möglich zu lösen. Dieses netzwerkbezogene Arbeiten setzt sich auch in meinem akademischen Umfeld fort.

GAT: Was sind die Schwerpunkte Ihrer Arbeit an der Universität CEDIM?
Cziharz: Das aktive Arbeiten im akademischen Bereich stellt für mich eine gute Ergänzung zum professionellen Arbeitsfeld dar. Jetzt ist meine Aufgabe hauptsächlich administrativ, dennoch unterrichte ich ein multidisziplinäres Projekt , das die Abschlussarbeit ersetzt und auf folgendem Konzept beruht: Die Studierenden nähern sich einem Thema aus unterschiedlichen Richtungen und nutzen dabei die Ressourcen eines vielseitigen Netzwerkes. Konkret bedeutet dies, dass die Studierenden verschiedener Studienrichtungen wie Architektur, Mode, Industrie Design, Innenarchitektur, Marketing etc. anhand eines Projekts mit einem realen Klienten eine komplexe Aufgabenstellung lösen und dabei zu einer gesamtheitlichen Lösung kommen sollten.

GAT: Sie hatten auch österreichische Architekten zu Gast an der CEDIM.
Cziharz: Auf meine Einladung leiteten Thomas Pucher aus Graz und Johann Moser von BWM Architekten und Partner aus Wien Anfang dieses Jahres als Gastprofessoren Workshops für Architektur und Innenraumgestaltung im Rahmen sogenannter focus groups. Das funktioniert folgendermaßen: Wenn ein Klient eine Aufgabenstellung hat, die rasch gelöst werden soll, werden die geeignetsten Studierenden verschiedener Studienrichtungen unabhängig von ihrem Studiensemester ausgewählt und einer focus group zugeteilt. Bei ihrer Lösungsfindung werden die Studierenden von einem internationalen Professionisten unterstützt, der nach Monterrey eingeladen wird und die Studierenden in der Konzeptfindungsphase und beim Lösungsprozess begleitet. Ein zentraler Punkt dieser Arbeitsmethodik beruht auf den Verknüpfungen zwischen den verschiedenen Bereichen und deren gegenseitige Beeinflussung.

GAT: Was waren das konkret für Projekte, an denen gearbeitet wurde?
Cziharz: Thomas Pucher war unter anderem an der Ausarbeitung des Masterplans für ein Sozialprojekt zur Umsiedelung sozial benachteiligter Familien, an dem ich zurzeit arbeite, beteiligt. Das urbanistische Problem wurde mit Pucher gelöst. Pucher gehört zu jener jungen Generation von Architekten, die ort- und sozialspezifisch baut und deren Architektur mit dem Ort in Verbindung steht. Darin liegt der Unterschied zwischen einem guten und einem schlechten internationalen Architekten. Ein guter Architekt baut stets einen Bezug mit dem Kontext auf.

GAT: Wie ist die wirtschaftliche und soziale Situation in Monterrey/Mexiko?
Cziharz: Monterrey ist historisch bedingt eine der reichsten Städte Lateinamerikas. Das ehemals größte Industriezentrum Mexikos hat die Transition vom Industrie- in das Informationszeitalter gut gemeistert. In Norden des Landes ist die Wirtschaft stark mit den Vereinigten Staaten verwoben. Die meisten Mexikaner in dieser Gegend haben Häuser in Kalifornien, Florida, Texas etc. und betrachten den Süden der Vereinigten Staaten gesellschaftlich als einen Teil Mexikos. Das Durchschnittseinkommen in Monterrey ist abgesehen von den USA und Kanada das höchste in ganz Amerika. Der Unterschied zwischen Arm und Reich ist wie in allen Städten dennoch enorm.

GAT: Das spiegelt sich vermutlich in den Studiengebühren wider?
Cziharz: Ja, die Latte bei den Studiengebühren der Privatuniversitäten, so auch der CEDIM, wo die Studiengebühren etwa 1.000 US-Dollar pro Monat betragen, ist dementsprechend hoch.

GAT: Wer studiert an der CEDIM?
Cziharz: In Mexiko sind die Universitäten ausschließlich in den großen Städten angesiedelt. Daher kommen viele Studenten der CEDIM aus den umliegenden Bundesstaaten. Die Studierenden setzen sich hauptsächlich aus Mexikanern sowie ein paar Mittel- und Südamerikanern und US-Amerikanern zusammen. Es sind aber keine Studenten aus Europa darunter. An der CEDIM studieren ca. 1.200 Personen. Das administrative und akademische Personal besteht aus rund 40 Mitarbeiter/innen.

AKTUELLE UND GEPLANTE PROJEKTE

GAT: Welches sind Ihre aktuellen und zukünftigen Projekte?
Cziharz: Zurzeit arbeiten wir an einem Sozialprojekt, das sich als partizipatorisches Projekt versteht und in Zusammenarbeit mit den betroffenen Personen entwickelt wurde. Vor eineinhalb Jahren war in Monterrey nach einem Hurrikan ein Fluss über die Ufer getreten. Die sozial unteren Schichten, die sich entlang des Flusses angesiedelt hatten, waren in diesem unsicheren Gebiet besonders stark betroffen. Das Projekt, das sich in Zusammenarbeit mit der Stadtregierung und Sponsoren, wie eine der weltweit größten Betonfirma CEMEX zum Ziel gesetzt hat, 150 Familien umzusiedeln, ist nun in die letzte Phase eingetreten. Im Juni dieses Jahres werden die ersten Prototypenhäuser errichtet. 452 Personen sollen dort einziehen. Ich bin in dieses Sozialprojekt im zweiten Semester eingestiegen. Während der Fokus im ersten Semester auf Analyse, Konzeptentwicklung, Befragungen und der Abklärung der politischen und wirtschaftlichen Lage gelegen war, ging es im darauffolgenden Semester vom Konzeptualisieren bis zur Ausführungsplanung.
Es ist auch diese gut ausgebaute Infrastruktur der Universität und ein Netzwerk internationaler Experten, worauf ich im kommenden Sommer zurückgreifen werde. Im Rahmen des Programms Summer Stars werden drei Professoren jeweils eine Woche lang Intensivseminare im Ausmaß von 40 Wochenstunden anbieten: von Graftlab für Retail Design, von Frederiksen Architects aus Dänemark für Senior Living – Leben im dritten Lebensabschnitt, ein Projekt, dem ich mich in Zukunft zuwenden möchte, – und von PRODUCTORA, einem aufstrebenden Büro aus Mexiko-Stadt, für Hospitality Design.

GAT: Wie ist Ihr Blick in diesem Zusammenhang auf die österreichische Architekturlandschaft?
Cziharz: Projekte wie das oben genannte Sozialprojekt sind für mich auch in Österreich vorstellbar. Der Fokus wäre hier aber ein anderer als in Mexiko: In Österreich ist alles im Vorhinein reglementiert. Daher kommt es in den meisten Fällen nicht zu solchen Notwendigkeiten und somit auch nicht zur gleichen Problemstellung.
In Mexiko sehe ich, die kreativen Prozesse betreffend, im Allgemeinen mehr Möglichkeiten als in Österreich. Vieles ist unkomplizierter und unbürokratischer, mit allen Vor- und Nachteilen, die damit verbunden sind. Dafür gibt es mehrere Gründe: Beispielsweise sind die Menschen in Mexiko durch das Fehlen eines sozialen Netzwerks gezwungen, aktiver zu handeln als die Menschen es in Österreich gewohnt sind. In Österreich kann man sich relativ leicht zurücklehnen und auf eine Struktur verlassen. Natürlich spielen auch die Größe des Landes und die Vielfalt der Kulturen sowie die verschiedenen Klimazonen eine Rolle. Zudem sind die Mexikaner im Allgemeinen weltoffene Menschen, die auch aus beruflichen Gründen viel reisen. Businessreisen werden nach Europa, Nord- und Südamerika und immer öfter nach Asien unternommen, und auch mit Brasilien werden immer mehr Kontakte gepflegt.

GAT: Kennt man österreichische Architektur in Mexiko?
Cziharz: Im Allgemeinen wissen die Menschen in Mexiko gar nichts über die österreichische Architekturszene. Für mich persönlich ist Österreich dennoch weiterhin interessant, da die Problematiken andere sind als in Mexiko. Es gibt mittlerweile auch österreichische Architekten der jüngeren Generation, die international tätig sind und sich mit vielfältigen Problemfeldern beschäftigen. Österreich ist auf jeden Fall Vorreiter, was Umweltaspekte und Ressourcenschonung, auch in der Architektur, betrifft.

PERSÖNLICHE EINDRÜCKE VON MEXIKO UND PLÄNE FÜR DIE ZUKUNFT

GAT: Was sind Ihre ganz persönlichen Eindrücke und Pläne für die Zukunft?
Cziharz: Es gibt einige Aspekte des europäischen Lebensstils, die ich in Mexiko vermisse. Dazu gehört der Individualismus, denn in Europa sind wir mit einer größeren Spanne an unterschiedlichen Persönlichkeiten konfrontiert als in Mexiko. Das liegt daran, dass die Mexikaner eine gruppenorientierte Gesellschaft sind und tendenziell in die gleiche Richtung denken, gehen und handeln. In Europa ist alles diversifizierter und es existieren mehrere parallele Strömungen als in Mexiko.
Kulturell gesehen bietet Mexiko-Stadt mehr als Monterrey. Ausstellungen, Theater, Museen, Partys etc. sind in Mexiko-Stadt im Überfluss vorhanden, in Monterrey aber eher rückläufig. Darüber hinaus vermisse ich eine gewisse Art sozialer Verbindlichkeit zwischen den Menschen, da die Unterschiede zwischen den sozialen Klassen sehr markant ausgeprägt sind. Ich möchte die Bevölkerungsstruktur in Mexiko mit einem vermummten Kastenwesen, dem nicht religiöse, sondern soziale und wirtschaftliche Gründe zugrunde liegen, vergleichen.
Ich beabsichtige auf jeden Fall, in nächster Zeit in Mexiko zu bleiben, schließe aber nicht aus, aufgrund von Arbeitsumständen oder aus privaten Gründen wieder nach Österreich zu kommen. Anfang Sommer, wenn mein erstes Semester in der Funktion als Rektor zu Ende geht und die Einarbeitungsphase abgeschlossen sein wird, möchte ich mich wieder vermehrt Projekten und Wettbewerben für "revolver architecture" widmen.

GAT: Vielen Dank für das Gespräch.

Verfasser/in:
Susanne Baumann-Cox, Interview
Netzwerktreffen
16. + 17.11.2023
 
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